Es fängt schon mit dem Titel an. „Deutschlands Zukunft gestalten“ steht als Überschrift über dem Koalitionsvertrag. Eine bemerkenswerte Null-Botschaft. Nicht einmal auf die sonst so beliebten Zusätze sozial, gerecht, innovativ oder fortschrittlich haben sich die Unterhändler offenbar einigen können. Die Zukunft gestalten – ja, wer wollte das nicht? Wer würde das von einer Bundesregierung nicht erwarten? Die Frage ist nur: wie?
Finanzen & Haushalt
Klar ist: Den vorher gesteckten zusätzlichen Finanzrahmen von 15 Milliarden Euro, den mittelfristige Planung und Steuerschätzung hergaben, haben die Koalitionäre vergangene Nacht überschritten. Wie das ohne neue Schulden und höhere Steuern tatsächlich zu finanzieren sein soll, darüber schweigt sich das Papier aus. Das Tableau listet „prioritäre Maßnahmen“ in Höhe von mehr als 20 Milliarden Euro auf, bleibt aber bisweilen sehr vage: Die Kommunen sollen sofort mit einer Milliarde Euro pro Jahr entlastet werden; wann die ebenfalls versprochene Übernahme von Eingliederungskosten für Behinderte in Höhe von satten fünf Milliarden kommen wird, ist hingegen offen. Weitere sechs Milliarden Entlastung bis 2017 bekommen Länder und Gemeinden, um in ihre Bildungsstätten von den Kitas bis zu den Hochschulen zu investieren. Straße, Schiene und Wasserstraßen erhalten insgesamt fünf Milliarden, die Städtebauförderung 600 Millionen. Die Rentenkasse wird mit zwei Milliarden mehr bezuschusst, drei Milliarden investiert der Bund in außeruniversitäre Forschung.
Gewinner der Finanzverhandlungen sind deshalb weder Union noch SPD, sondern die Länder. Denn im Finanzteil des Vertrages gibt es noch den zusätzlichen Passus, dass „in dieser Legislaturperiode zusätzlich entstehende finanzielle Spielräume des Bundes zu einem Drittel für die Entlastung der Länderhaushalte eingesetzt werden“. Die Teilnahme der Ministerpräsidenten hat sich schon gelohnt.
Fazit: Schwarz-Rot konnte sich nur bedingt einschränken, Details der Haushaltsplanung bleiben dennoch offen. Die Prioritäten-Liste dürfte einige Luftbuchungen enthalten.
Mindestlohn
Über kaum etwas haben Konservative und Sozialdemokraten so lange gerungen wie über Details zum Mindestlohn. Die Einigung trägt die Züge eines klassischen Kompromisses: Die SPD bekommt die 8,50 Euro ab dem 1. Januar 2015 als Trophäe, um Basis und Gewerkschaften befriedigen zu können. Die Union konnte durchsetzen, dass bestehende Tarifverträge mit geringeren Löhnen bis Ende 2016 weiterlaufen dürften und Abweichungen der Tarifpartner nach unten ebenfalls bis zu diesem Zeitpunkt möglich sind. Alles andere hätte den schönen Bekenntnissen zur Tarifautonomie auch Hohn gesprochen.
Brisant hingegen: Im Vorentwurf des Vertrages von Montagnacht gab es jedoch noch explizite Ausnahmen für Azubis, Schüler, Studenten und Praktikanten. Der Passus war Konsens, ist aber nun gestrichen geworden. Auf andere problematische Bereiche des Arbeitsmarktes, etwa Erntehelfer, wird auch nur noch kurz und nichts sagend Bezug genommen.
Die Wirkungen des Mindestlohn-Kompromisses dürften deshalb mittelschwer ausfallen: Die Anpassungsfristen nehmen der Untergrenze die härteste Wucht und lassen die Tarifentwicklungen der letzten Zeit weiter wirken. Völlig offen allerdings ist, was die 8,50 Euro für Azubis und Praktikanten bedeuten werden. Zudem gibt es keine konkrete Öffnungsklausel für Ostdeutschland.
Fazit: Der jetzt beschlossene Mindestlohn wird ein Experiment – mit hohem wirtschaftlichem Risiko.