Dabei ist er ein eher unscheinbarer Typ: graue Haare, mittelgroße Statur. Gern dunkler Anzug und Krawatte. Wer ihn nicht kennt, ist geneigt, ihn zu übersehen. Doch obwohl er nur die drittgrößte deutsche Gewerkschaft anführt, sich Talkshows verweigert und seltener in den Medien auftaucht als die Kollegen Frank Bsirske (Verdi) und Detlef Wetzel (IG Metall), ist er zu einem wichtigen Strippenzieher der Energiewende geworden, genauer: zum Schutzpatron der energieintensiven Industrie und deutschen Braunkohle. Manche sagen: Dass Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel so vehement die Befreiung energieintensiver Betriebe von der EEG-Umlage verteidigt und die Eigenstromerzeugung nur sanft belasten will, hat nicht nur mit Druck aus der Wirtschaft zu tun. Sondern auch mit dem Schulterschluss von Industrie und IG BCE.
In der Politik schätzen sie den gelernten Chemielaboranten parteiübergreifend als verlässlichen Gesprächspartner und gut vernetzten Spindoktor, mitunter auch als Transporteur politischer Botschaften in die Arbeitnehmerschaft. Das mag daran liegen, dass Vassiliadis zwar seit 33 Jahren der SPD angehört, aber „politisch gern cross-border geht“. Kanzlerin Angela Merkel hat ihn in die Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung und den Rat für Nachhaltige Entwicklung berufen. Jüngst war er Redner beim CDU-Wirtschaftsrat. Auch mit FDP-Chef Christian Lindner hat er sich getroffen; für traditionelle Gewerkschafter eine Todsünde. Als er im März in der IG-BCE-Zentrale seinen 50. Geburtstag feierte, kamen mehr als 100 Gäste aus Gewerkschaften, Politik und Wirtschaft; Hannelore Kraft und Gerhard Schröder sendeten Grußbotschaften per Video.
Angst vor der Deindustrialisierung
Bei der Energiewende inszeniert sich Vassiliadis gleichermaßen als Stimme der Arbeitnehmer und Verteidiger des Industriestandorts. Sein Credo: „Wir können nicht gleichzeitig aus Kernkraft und Kohle aussteigen.“ Da der Atomausstieg nun mal beschlossen sei, könne Deutschland auf den Grundlastträger Braunkohle, „den einzigen subventionsfreien Energieträger am Markt“, auf viele Jahre nicht verzichten. Die damit verbundenen CO2-Emissionen müssten halt woanders eingespart werden.
Vassiliadis fürchtet eine schleichende Deindustrialisierung, ausgelöst durch steigende Energiekosten: „Investitionen wandern wegen der Energiewende ins Ausland, weil hier keiner mehr dem Braten traut.“ Es sei „ein überfälliger Schritt, die Energiepolitik nicht nur unter den Aspekten Klimaschutz und Versorgungssicherheit zu betrachten, sondern auch unter Wettbewerbsaspekten“. Grüne Jobs betrachtet der IG-BCE-Boss „als nicht per se wettbewerbsfähig“, die Union hält er „bei der Energiewende für einen Totalausfall“, die Grünen reizt er mit der Aussage: „Wir haben es bei den Erneuerbaren mit einer teuflischen Kombination zu tun – Weltrettungsgesinnung trifft auf hohe Rendite.“