Politik in der Hansestadt musste eben schon immer beides ansprechen, den kühl kalkulierenden Kaufmannskopf wie das sozial schlagende Herz. Scholz ist in dieser Disziplin ein Meister. Beim dringend nötigen Wohnungsbau hängt sich die Stadt geschickt mit subventionierten Sozialwohnungen an den privaten Bauboom, um die horrenden Mieten zu drosseln. Die Jugendberufsagenturen wiederum sind das in Ämter gegossene Versprechen, keinen Jugendlichen ohne Ausbildung ins Leben zu entlassen. Die von ihm exekutierte Politik schimmert je nach Lichteinfall zutiefst staatsfürsorglich oder clever liberal.
Scholz schätzt hierfür Bücher, die ihm dabei helfen, seine Arbeit an einer attraktiven Großstadt bei Bedarf intellektuell zu unterfüttern. Eine Zeit lang hat er das Werk „Triumph of the City“ des Harvard-Forschers Edward Glaeser wärmstens empfohlen, zuletzt hat es ihm die Studie „Arrival City“ des kanadischen Autors Doug Saunders angetan. Scholz dürfte außerdem zur raren Spezies von Spitzenpolitikern gehören, die den jüngsten Deutschen Buchpreisträger „Kruso“ gelesen haben.
Stolz auf den Hafen
Auf nichts allerdings sind sie so stolz wie auf ihren Hafen. Wie gründlich Scholz seine Karriere plant, zeigt die Wahl seines Wirtschaftssenators, der für diesen Hafen zuständig ist. Frank Horch war der Inbegriff eines ehrbaren Hamburger Kaufmanns, Präses der Handelskammer, einst Ingenieur bei Blohm + Voss, ein Mann für Handschlaggeschäfte - und parteilos. Scholz und Horch kannten sich zwar eher flüchtig, als dieser ihn im Wahlkampf 2011 fragte, ob er im Fall des Falles in seinen Senat wechseln wolle. Aber Scholz hatte ihn gründlich beobachtet. Horchs Ja war ein Coup.
Alles in Horchs bescheidenem Senatorenbüro im achten Stock der Behörde macht Platz für das grandiose Stadt-Panorama hinter den Fenstern: Der Wellenkamm der Elbphilharmonie ragt in den flanellgrauen Himmel, man kann die Containerkräne an der Elbe sehen, den Rathausturm und den Michel. Vier Jahre hat Horch nun im einst so fernen Feld der Politik verbracht. Und er sagt: „Einen so zuverlässigen Partner wie Olaf Scholz habe ich in meinem ganzen Berufsleben selten erlebt.“
Die Berufung Horchs ist eine Verneigung vor der hanseatischen DANN, er dürfte auch dem kommenden Senat wieder angehören „Wir müssen“, sagt Scholz, „immer und zuallererst dafür sorgen, dass Hamburg wirtschaftlich prosperiert.“ Er muss das nicht spielen, nicht nur, weil Schauspielern und Politik für ihn in etwa so viel gemeinsam haben wie Labskaus und Jakobsmuscheln. Gerhard Schröder, dessen Interpretation von Sozialdemokratie Scholz immer imponiert hat und dessen Gefährte er zu Agenda-Zeiten war, formuliert es so: „Olaf Scholz ist absolut verlässlich. Sein Wort zählt.“
"Politisches Gewicht in der Bundespolitik"
Für die SPD im Bund hat Scholz sich zum Finanzfachmann auf Länderseite emporgearbeitet, als Nachfahre Peer Steinbrücks. Das Kapitel Finanzen im schwarz-roten Koalitionsvertrag hat Scholz mit Wolfgang Schäuble geschrieben, bei allen Bund-Länder-Verhandlungen, in denen es ums Geld geht, sitzt Scholz an entscheidender Stelle. Er habe „politisches Gewicht in der Bundespolitik“, lobt Altkanzler Schröder. „Seine Wiederwahl wird diese Position noch stärken.“ Für den Ministerpräsidenten eines kleinen Landes ist das nicht selbstverständlich.
Ist das also nicht der nächste logische Schritt? Der Gang zurück nach Berlin, ein Ministerposten, vielleicht sogar mehr? Natürlich weiß Scholz, dass sein Name nun stets fallen wird, wenn es um die Kanzlerkandidatur geht. Aber er verzieht bei solchen Fragen nur das Gesicht. „Ich wünsche mir, dass Hamburg die Chance erhält, Olympische Spiele auszurichten“, antwortet er dann. „Und wenn die Hamburger mich dann noch wollen, könnte ich mir sehr gut vorstellen, die Spiele in dieser Stadt als Bürgermeister zu eröffnen.“
Was man eben so sagen sollte, in der bisherigen Rolle seines Lebens.