Ratschläge an die Politik Wie unabhängig sind Deutschlands Top-Ökonomen?

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Regierung setzt zunehmend auf Ökonomen

Während Sinn die Rettungsaktionen zugunsten des Euro wegen der damit verbundenen Sozialisierung der Risiken scharf kritisiert, verteidigt Fratzscher den Kurs der Euro-Rettung. Das gilt vor allem für das Versprechen der EZB, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen der Krisenländer zu kaufen. Das ostentative Eintreten für die Euro-Rettung ist nicht zuletzt deshalb bemerkenswert , weil Fratzscher vor der Übernahme des Präsidenten-Jobs beim DIW an führender Stelle für die EZB gearbeitet hat. Fratzscher, so merken Beobachter an, wirke zuweilen wie eine ausgelagerte PR-Abteilung der EZB.   

Das lässt sich von seinem Gegenspieler Hans-Werner Sinn nicht behaupten. Mit seiner massiven Kritik an der Euro-Rettung hat sich Sinn wenig Freunde im Finanzministerium und der EZB gemacht. Doch den ifo-Chef  ficht das nicht an. Er läuft zur Hochform auf, wenn ihm der Gegenwind kräftig ins Gesicht bläst. Ob Euro-Krise, Klimapolitik, Einwanderung in die Sozialsysteme oder Mindestlohn - Sinn mischt bei allen Diskussionen kräftig mit. Weil er sich nicht scheut, unbequeme Wahrheiten auszusprechen und zuzuspitzen, polarisiert er die eigene Zunft.  Kritiker, die den medialen Auftritt nicht so meisterhaft beherrschen wie Sinn, neiden ihm seine thematische Omnipräsenz.  Bewunderer loben die Hartnäckigkeit, mit der er für seine Positionen kämpft. „In der Euro-Krise hat Hans-Werner Sinn im Alleingang die Arbeit erledigt, die eigentlich der Sachverständigenrat hätte leisten müssen“, sagt ein Kenner der Szene.

Der Sachverständigenrat  war in der Euro-Krise geradezu abgetaucht. Allenfalls sein fragwürdiger Vorschlag,  einen Schuldentilgungsfonds einzurichten, der letztlich auf eine gemeinsame Haftung für die Staatsschulden in der Euro-Zone hinaus läuft, drang an die Öffentlichkeit. Dass ausgerechnet die fünf Weisen, die vom Geld der Steuerzahler leben, öffentliche Mittel für die Absicherung der Schulden anderer Staaten aufs Spiel setzen wollen, hat bei vielen Beobachtern Kopfschütteln ausgelöst.

Wurden im Sachverständigenrat in der Vergangenheit die großen wirtschaftspolitischen Grundsatzdebatten geführt, so ist die Strahlkraft des Gremiums in den vergangenen Jahren verblasst. Das hat auch damit zu tun, dass die Regierung bei der Auswahl der Wirtschaftsweisen zunehmend auf Ökonomen setzt, die eher in der akademischen Forschung als in der  wirtschaftspolitischen Beratung beheimatet sind.  Die „Laus im Peltz“ der Regierung, wie es weiland Bundeskanzler Konrad Adenauer formulierte, ist der Sachverständigenrat schon lange nicht mehr.  

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