Rente Was uns die Rentenpläne von Andrea Nahles kosten

Ein Jahr vor der Wahl sondieren SPD und Union fieberhaft, was ihnen politisch nützt. Arbeitsministerin Andrea Nahles will das Rentenniveau stabilisieren und so die CDU vor sich hertreiben. Für den Finanzminister könnte das teuer werden.

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Volker Kauder, als Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Zusammenhalt zuständig, hatte die Marschrichtung eigentlich klar vorgegeben. „Der großen Koalition“, sagte Kauder kürzlich im Bundestag, „rate ich, dass wir das letzte Jahr auch als Beweis dafür bringen, dass wir in der Lage sind, diesem Land eine gute Regierung zu stellen, dass wir die Arbeit machen, die von uns verlangt ist.“
Man dürfe den Bundesbürgern nicht Anlass zum Glauben geben, mahnte der Christdemokrat, die große Koalition liefere in erster Linie nur noch parteipolitisches Gezänk ab.

Wunschdenken. Das wusste Kauder wohl selbst, als er die Worte aussprach. Die Bundesregierung besteht nun mal aus zwei konkurrierenden Blöcken, Union und SPD. Ein Jahr vor der Bundestagswahl gehen deren Interessen immer weiter auseinander. Niemand versteht das so gut wie Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, lange als SPD-Generalsekretärin für Wahlkämpfe zuständig. Nahles weiß genau: Die Rente ist ein prima Wahlkampfthema.

So viel Rente bekommen Sie
DurchschnittsrentenLaut den aktuellen Zahlen der Deutschen Rentenversicherung bezogen Männer Ende 2014 eine Durchschnittsrente von 1013 Euro. Frauen müssen inklusive Hinterbliebenenrente mit durchschnittlich 762 Euro pro Monat auskommen. Quellen: Deutsche Rentenversicherung; dbb, Stand: April 2016 Quelle: dpa
Ost-Berlin mit den höchsten, West-Berlin mit den niedrigsten RentenDie Höhe der Rente schwankt zwischen den Bundesländern. Männer in Ostberlin können sich mit 1147 Euro Euro über die höchste Durchschnittsrente freuen. In Westberlin liegt sie dagegen mit 980 Euro am niedrigsten. Aktuell bekommen männliche Rentner: in Baden-Württemberg durchschnittlich 1107 Euro pro Monat in Bayern durchschnittlich 1031 Euro pro Monat in Berlin (West) durchschnittlich 980 Euro pro Monat in Berlin (Ost) durchschnittlich 1147 Euro pro Monat in Brandenburg durchschnittlich 1078 Euro pro Monat in Bremen durchschnittlich 1040 Euro pro Monat in Hamburg durchschnittlich 1071 Euro pro Monat in Hessen durchschnittlich 1084 Euro pro Monat in Mecklenburg-Vorpommern durchschnittlich 1027 Euro pro Monat in Niedersachsen durchschnittlich 1051 Euro pro Monat in Nordrhein-Westfalen durchschnittlich 1127 Euro pro Monat im Saarland durchschnittlich 1115 Euro pro Monat in Sachsen-Anhalt durchschnittlich 1069 Euro pro Monat in Sachsen durchschnittlich 1098 Euro pro Monat in Schleswig-Holstein durchschnittlich 1061 Euro pro Monat in Thüringen durchschnittlich 1064 Euro pro Monat Quelle: AP
Frauen mit deutlich weniger RenteFrauen im Ruhestand bekommen gut ein Drittel weniger als Männer. Auch sie bekommen in Ostberlin mit durchschnittlich 1051 Euro die höchsten Bezüge. Am wenigsten bekommen sie mit 696 Euro in Rheinland-Pfalz. Laut Deutscher Rentenversicherungen beziehen Frauen inklusive Hinterbliebenenrente: in Baden-Württemberg durchschnittlich 772 Euro pro Monat in Bayern durchschnittlich 736 Euro pro Monat in Berlin (West) durchschnittlich 861 Euro pro Monat in Berlin (Ost) durchschnittlich 1051 Euro pro Monat in Brandenburg durchschnittlich 975 Euro pro Monat in Bremen durchschnittlich 771 Euro pro Monat in Hamburg durchschnittlich 848 Euro pro Monat in Hessen durchschnittlich 760 Euro pro Monat in Mecklenburg-Vorpommern durchschnittlich 950 Euro pro Monat in Niedersachsen durchschnittlich 727 Euro pro Monat in Nordrhein-Westfalen durchschnittlich 749 Euro pro Monat im Saarland durchschnittlich 699 Euro pro Monat in Sachsen-Anhalt durchschnittlich 964 Euro pro Monat in Sachsen durchschnittlich 983 Euro pro Monat in Schleswig-Holstein durchschnittlich 744 Euro pro Monat in Thüringen durchschnittlich 968 Euro pro Monat Quelle: dpa
Beamtenpensionen deutlich höherStaatsdienern geht es im Alter deutlich besser. Sie erhalten in Deutschland aktuell eine Pension von durchschnittlich 2730 Euro brutto. Im Vergleich zum Jahr 2000 ist das ein Zuwachs von knapp 27 Prozent. Zwischen den Bundesländern schwankt die Pensionshöhe allerdings. Während 2015 ein hessischer Staatsdiener im Ruhestand im Durchschnitt 3150 Euro ausgezahlt bekam, waren es in Sachsen-Anhalt lediglich 1940 Euro. Im Vergleich zu Bundesbeamten geht es den Landesdienern dennoch gut. Im Durchschnitt kommen sie aktuell auf eine Pension von 2970 Euro. Im Bund sind es nur 2340 Euro. Quelle: dpa
RentenerhöhungIm Vergleich zu den Pensionen stiegen die normalen Renten zwischen 2000 und 2014 deutlich geringer an. Sie wuchsen lediglich um 15,3 Prozent. Quelle: dpa
Reserven der RentenkasseDabei verfügt die deutsche Rentenversicherung über ein sattes Finanzpolster. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung betrug die sogenannte Nachhaltigkeitsrücklage Ende 2014 genau 35 Milliarden Euro. Das sind rund drei Milliarden Euro mehr als ein Jahr zuvor. Rechnerisch reicht das Finanzpolster aus, um fast zwei Monatsausgaben zu bezahlen. Nachfolgend ein Überblick, mit welcher Rente die Deutschen im aktuell im Durchschnitt rechnen können: Quelle: dpa
Abweichungen vom StandardrentnerWer 45 Jahre in den alten Bundesländern gearbeitet hat und dabei den Durchschnittslohn verdiente, bekommt pro Monat 1314 Euro ausgezahlt. Bei 40 Arbeitsjahren verringert sich die monatliche Auszahlung auf 1168 Euro. Wer nur 35 Jahre im Job war, bekommt 1022 Euro. Quelle: Fotolia

Die Ministerin arbeitet an detaillierten Reformmaßnahmen, zu denen die „Lebensleistungsrente“ ebenso gehört wie die geplante Angleichung der Renten im Osten und die betriebliche Altersvorsorge. Und Neues zur Riester-Rente darf auch nicht fehlen.

Seit Wochen ringen Nahles und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) um eine Einigung. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel schaltet sich immer wieder ein. Die Kanzlerin weiß um die Sensibilität des Rententhemas im alternden Wahlvolk und will die Reformen möglichst harmonisch mit ihrem Koalitionspartner abarbeiten.

Doch Nahles wittert einen echten Wahlkampfschlager für die SPD, während sich ihr Parteichef und Vizekanzler Sigmar Gabriel an TTIP und Ceta abarbeitet.

Neue Berechnungen über das Rentenniveau

Die kampferprobte Sozialdemokratin will in den nächsten Tagen oder Wochen neue Berechnungen über die künftige Entwicklung des Rentenniveaus veröffentlichen. Bisher reicht die offizielle Prognose bis zum Jahr 2029, bis dahin wird ein Absinken von aktuell 47,9 Prozent auf 44,6 Prozent des jeweiligen Durchschnittserwerbseinkommens (gemindert um Sozialabgaben und Steuern) vorhergesagt. Das klingt bedrohlich genug.

Nahles’ Leute arbeiten nun aber an einer Fortschreibung der Prognose bis zum Jahr 2045, bei dieser Extrapolation könnte das Rentenniveau auf einen Wert unter 40 Prozent sinken. Ein öffentlicher Aufschrei wäre die Folge, da den Deutschen kaum etwas so wichtig ist wie Sicherheit im Alter.

Altersvorsorge: So viel Rente darf der Standardrentner erwarten

Nahles hätte einen Wahlkampfhit: Die Sozialdemokraten könnten die CDU mit Forderungen nach einer Stabilisierung des Rentenniveaus vor sich hertreiben. Und CSU-Chef Horst Seehofer wiederum, der bereits öffentlich für höhere Renten plädiert, würde wohl ins gleiche Horn wie die Sozialdemokraten stoßen – sehr zum Ärger des CDU-Wirtschaftsflügels, der vor einem zu starken Anstieg der Rentenversicherungsbeiträge warnt. Der wäre nämlich nötig, um die Stabilisierung zu finanzieren. Also gäbe es neuen Streit zwischen den christlichen Schwesterparteien.

Nahles dürfte ihn anheizen, indem sie in den nächsten Monaten ein Gesamtrentenkonzept vorlegt, an dem sich die Unionsgeister scheiden. Und die Arbeitsministerin könnte damit – angenehmer Nebeneffekt – von ihren Schwierigkeiten bei der Umsetzung der im Koalitionsvertrag beschlossenen Rente-Teilreformen ablenken.

Nahles und Gabriel sind bei der Lebensleistungsrente uneins

In der rentenpolitischen Alltagswelt kämpft Nahles nämlich mit nur mäßigem Erfolg, etwa bei der Lebensleistungsrente. Für dieses Vorhaben hat der Bundesfinanzminister bereits Mittel in der mittelfristigen Finanzplanung bereitgestellt. Für 2017 sind es 202 Millionen Euro, die bis 2020 auf 990 Millionen ansteigen sollen.

Eigentlich ist eine derartige Finanzzusage gut für die Arbeitsministerin, die sonst wie jedes Kabinettsmitglied lange kämpfen muss, um Schäuble Geld zu entlocken. Und auf dem Papier klingt die „solidarische Lebensleistungsrente“ sympathisch. Sie zielt laut Koalitionsvertrag darauf ab, „dass sich Lebensleistung und langjährige Beitragszahlung in der Sozialversicherung auszahlen“. Wer jahrzehntelang gearbeitet hat, soll im Alter nicht auf ergänzende Sozialhilfe angewiesen sein. SPD-Chef Gabriel forderte die Lebenleistungsrente gerade mal wieder ein: „Ich verstehe dieses Projekt vor allem als ein Signal der Leistungsgerechtigkeit.“

Nahles aber hadert mit dem Konzept, das von ihrer CDU-Amtsvorgängerin Ursula von der Leyen ins Spiel gebracht wurde. Denn die Ausgestaltung wäre extrem bürokratisch und streitanfällig. Wo zieht man die Grenze für Rentner, die einen Zuschlag bekommen sollen, bei wie vielen Jahren Beitragseinzahlungen? Wie werden Arbeitslosen- und Pflegezeiten berücksichtigt? Welche Rentenhöhe soll gelten?

Schließlich gibt es bundesweit sehr unterschiedliche Bedarfshöhen für die Grundsicherung im Alter. In Hamburg waren es zuletzt 843 Euro, in Thüringen nur 688 Euro, im Bundesschnitt sind es rund 760 Euro. Für jeden Niedrigrentner müsste zudem die Rentenversicherung eine Bedürftigkeitsprüfung durchführen – sie würde wie ein zweites Sozialamt fungieren.

Kein Wunder, dass Nahles’ Beamte einen Entwurf nach dem anderen verwerfen. „Wir werden auf jeden Fall die Konzepte beraten“, sagt SPD-Fraktionsvize Carola Reimann tapfer. Sie will aber nicht darauf schwören, dass die Lebensleistungsrente vor der Bundestagswahl noch Gesetz wird.

Ost und West: Es bleibt kompliziert

Heikel für Nahles ist auch das Versprechen der Koalition, die Rentenwerte in Ost und West anzugleichen. Für jedes Beitragsjahr gibt es in Ostdeutschland einen Rentenwert, der bei 94,1 Prozent des Westwerts liegt. Wegen des niedrigeren Durchschnittsentgelts im Osten (87,1 Prozent des Westniveaus) existiert aber auch ein Hochwertungsfaktor, mit dessen Hilfe die Ostrenten um 14,8 Prozent aufgewertet werden – und unter dem Strich eine Überkompensation stattfindet. Erstere Ungleichbehandlung empfinden die Bürger zwischen Ostsee und Erzgebirge seit Jahren als Schmach. Der für sie günstige Hochwertungsfaktor spielt hingegen öffentlich kaum eine Rolle.

Die Angleichung von Ost- und Westwerten hätte aber zur Folge, dass die heutigen Beitragszahler im Osten später weniger als bisher bekämen, während die jetzigen Rentner noch einmal ordentlich profitieren würden. Für die Schlechterstellung der arbeitenden Ostbürger will in der Koalition niemand die politische Verantwortung übernehmen.

von Cordula Tutt, Max Haerder

Nach einem Gespräch Mitte August mit Kanzlerin Merkel prüft Nahles, ob sich der Angleichungsprozess um zwei Jahre strecken lässt. Danach würde der Rentenwert Ost am 1. Juli 2017 erstmals angehoben, und zwar auf 95,5 Prozent, während der Hochwertungsfaktor Anfang 2018 auf 1,09 sänke. Mit einer Streckung bis Mitte 2021 und Anfang 2022, so die Beamten im Arbeitsministerium, würde eine „harte Landung abgemildert“.

Gleichwohl lägen die Mehrkosten für die Angleichung der Rentenwerte ab dem Jahr 2020 bei rund vier Milliarden Euro. Ob das der Bund aus Steuermitteln übernimmt – wogegen sich Finanzminister Schäuble sperrt – oder die Rentenversicherten zahlen müssen, ist innerhalb der Bundesregierung umstritten. Gleichwohl rechnet die SPD-Arbeitsexpertin Reimann noch in diesem Jahr mit einem Gesetzentwurf.

Für Schäuble könnte es teuer werden

Mehr Fortschritt herrscht dagegen auf einer weiteren Nahles-Baustelle, dem sogenannten Betriebsrentenstärkungsgesetz. Seit die Zinsen Richtung Nullpunkt sinken, müssen Unternehmen die Rückstellungen für ihre Betriebsrentenzusagen um einen zweistelligen Milliardenbetrag aufstocken. Folglich sinkt deren Bereitschaft, den Beschäftigten eine betriebliche Altersversorgung (bAV) anzubieten. Arbeitgeberverbände fordern deshalb eine Garantieenthaftung und werden von Schäuble unterstützt. Nach dem Pay-and-forget-Modell, so der Fachausdruck, sollen Unternehmen zwar Beiträge für ihre Mitarbeiter zahlen, aber nicht mehr über viele Jahrzehnte für eine bestimmte Rentenhöhe geradestehen müssen.

Im Gegenzug fordern die Gewerkschaften die Einzahlung in ein „Sozialpartnermodell“, bei dem sie über die Mittelverwendung mitentscheiden. Angesichts der vielen Milliarden Euro, die dort verwaltet würden, hätten Gewerkschaftsfunktionäre ein immenses (zusätzliches) Mitspracherecht in der deutschen Wirtschaft. Das gefällt Industrieverbänden gar nicht.

Ein kleines Häkchen kann Nahles hingegen hinter die Flexi-Rente machen. Am Mittwoch verabschiedete das Kabinett den Gesetzentwurf. Wer über die normale Altersgrenze hinaus arbeitet, soll dafür nicht durch Rentenabzüge bestraft werden. „Ein großer Erfolg für uns“, sagt Carsten Linnemann vom CDU-Wirtschaftsflügel.

Stabilisierung kostet

Nahles wird den Bürgerlichen etwas Jubel auf diesem Nebenschauplatz gönnen. Die SPD-Ministerin setzt auf die große Rentendebatte, die Deutschland erfassen dürfte, wenn sie ihre Prognose bis 2045 veröffentlicht. Für Kassenwart Schäuble könnte es dann richtig teuer werden. Eine Stabilisierung des gesetzlichen Rentenniveaus bei 45 Prozent würde ab dem Jahr 2040 zusätzlich mehr als 25 Milliarden Euro pro Jahr kosten, heißt es im Bundesfinanzministerium. Beinahe tröstlich für Schäuble, dass selbst der Kabinettsveteran dann wohl schon lange in Rente sein wird.

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