Sozialstaat Die Sozialkosten explodieren – und niemand handelt

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Bremswirkung der Agenda ist schon aufgezehrt

Wie hoch die sozialen Kosten der Zuwanderung insgesamt sind und noch werden, kann man nur schätzen. Auch hier gilt: Vermutlich wollen es die politisch Verantwortlichen lieber gar nicht so genau wissen. Die Schätzungen, die existieren, kommen zumindest in der Regel nicht von staatlichen Stellen, sondern von unabhängigen Ökonomen. Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen warf der Bundesregierung schon vor, dass sie mehr über die erwartbaren Kosten wisse, als sie preisgebe. Er errechnete, dass pro Flüchtling dem deutschen Staat Kosten von 450.000 Euro entstehen – wohlgemerkt über dessen gesamte Lebenszeit in Deutschland.

Hans Werner Sinn hält die Rechnung noch für zu optimistisch, weil sie davon ausgeht, dass die jetzigen Asylbewerber so schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden können wie frühere Einwanderer.

Fazit: Die Zuwanderung von Hilfsempfängern hat die Entlastungswirkung des Arbeitsmarktbooms für den deutschen Sozialstaat bei weitem übertroffen. Zum Jahresende 2015 erhielten in Deutschland laut Destatis knapp 8,0 Millionen Menschen und damit 9,7 Prozent der Bevölkerung soziale Mindestsicherungsleistungen. Im Jahr zuvor hatten knapp 7,4 Millionen Menschen beziehungsweise 9,1 Prozent der Bevölkerung Mindestsicherung erhalten.

Die Hartz-Reformen

Die bremsende Wirkung der Agenda-Reformen auf die Sozialexpansion im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts ist also längst verpufft.  Diese Reformen waren nicht zuletzt eine Antwort auf die steigende Sozialquote in den späten Neunzigerjahren, über die man sich in jeder zweiten Talksendung die Köpfe heiß redete. Sie lag damals zwischen 28 und 29 Prozent, was man als Alarmzeichen für die Überforderung des Sozialstaats wertete. Jetzt nähert sie sich längst der 30-Prozent-Schwelle, die sie in der deutschen Geschichte bisher nur einmal erreichte – nämlich 2009. Aber damals hatte eine scharfe Rezession das BIP um 5,6 Prozent verringert, während 2016 ein BIP-Wachstum von 1,9 Prozent zu verzeichnen ist.

Und dennoch scheint sich kaum ein Politiker Sorgen zu machen um den Sozialstaat. Die Kostensteigerungen durch die Zuwanderung scheinen keinen Sparimpuls auszulösen, sondern ein trotziges: Jetzt erst recht! Im Superwahljahr 2017 machen alle Parteien, vor allem aber die SPD munter Versprechungen:  Wenn hunderttausende Zuwanderer in den Genuss deutscher Sozialleistungen kommen, ohne dass je in einem Parlament darüber gestritten wurde, dann sollte es schließlich doch kein Problem sein, wenn diejenigen, die schon länger hier sind und eingezahlt haben, dafür einen Nachschlag aus dem großen Topf kriegen.

Wenn Steigerungen um 169 Prozent ohne parlamentarische Gegenworte durchgehen, dann wäre es doch kleinlich, Arbeitslosen den längeren Bezug des Arbeitslosengelds vorzuenthalten oder Rentnern ihre Steigerungen nicht zu gönnen.

Goldene Zeiten für Martin Schulz und andere Wahlkämpfer der „sozialen Gerechtigkeit“ scheinen das zu sein. Und für den Fall, dass er sein Versprechen umsetzen kann, dürften es auch wieder goldene Zeiten für Arbeitgeber werden, die die verlängerten Bezugszeiten als Hilfsprogramm für die Frühverrentung nicht mehr gebrauchter älterer Beschäftigter nutzen. Goldene Zeiten vor allem aber für jene, die das Verteilen der Sozialausgaben professionell betreiben. Für Ministerialbeamte und Sozialpolitiker natürlich, die ein persönliches Interesse daran haben müssen, dass ihr Aufgabenbereich expandiert. Und natürlich für die längst professionalisierte Branche der engagierten Helfer.

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