SPD-Chef Sigmar Gabriel "Diesem Steuer-Irrsinn werden wir nicht zustimmen"

Der Bund häuft weiter Schulden an - und will die Steuern senken. Die SPD macht da nicht mit, sagt Sigmar Gabriel. Denn: Die Steuersenkungen seien lediglich ein Rettungsschirm für die strauchelnde FDP und ökonomisch nicht zu vertreten.

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Sigmar Gabriel griff im Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Herr Gabriel, was haben Sie eigentlich gegen Steuersenkungen?

Sigmar Gabriel: Nichts, solange sie nicht auf Pump finanziert werden. Niemand hat etwas von geringeren Steuern, wenn wegen der immer weiter wachsenden Staatsverschuldung am Ende die Inflation steigt und sein Geld weniger wert ist. Die Zeiten, in denen Parteien Wahlgeschenke auf Pump finanziert haben, müssen endlich vorbei sein. Die geplanten Steuersenkungen von Frau Merkel sind nichts anderes als ein Rettungsschirm für die FDP, die bei ihren Wahlversprechen einfach den Mund zu voll genommen hat.

Die Mehreinnahmen liegen in diesem Jahr bei 18 Milliarden Euro. Die Koalition denkt über Entlastungen von sieben bis zehn Milliarden nach. Da bleibt doch immer noch Geld zum Schuldenabbau.

Sie vergessen die neue Schuldenbremse in der Verfassung. Sie verbietet uns endlich, dauerhafte Mehrausgaben zu verursachen, ohne über dauerhafte Mehreinnahmen zu verfügen. Wir sind als Politiker nicht mehr frei im Umgang mit Staatsschulden, und das ist gut so. Diese Regierung hat das Problem, dass sie an keiner Stelle solide wirtschaftet: in der Energiepolitik nicht, beim Euro nicht und auch nicht in der Steuerpolitik. Ausgerechnet Union und FDP, die sich immer als Wirtschaftsparteien darstellen, versagen bereits beim ersten Mal, wenn sie die Schuldenbremse wirklich anwenden müssen.

Fast jede Ausgabe ist doch derzeit "auf Pump“. So gesehen dürfte man auch keine Ganztagsschulen und keine Schulmittagessen finanzieren.

Deswegen sind wir auch dafür, konsequent die konjunkturellen Mehreinnahmen zum Abbau der Verschuldung zu nutzen. Auch Mehrausgaben für Bildung oder für den Schutz vor Altersarmut dürfen nicht auf Pump finanziert werden. Dafür muss man an anderer Stelle im Bundeshaushalt einsparen.

Wo würden Sie denn kürzen?

Wir müssen weiter Subventionen abbauen. Ich habe zum Beispiel nichts gegen große Geländewagen als Dienstfahrzeuge, aber man sollte den viel zu hohen Spritverbrauch nicht vom Steuerzahler finanzieren lassen. Mehr als zwei Milliarden Euro geben wir dafür im Jahr aus. Ein anderes Beispiel: Ich verstehe nicht, wieso wir in einer liberalen Marktwirtschaft Niedriglöhne auf Dauer durch den Staat subventionieren. Das kostet uns sieben Milliarden Euro pro Jahr.

Angenommen, die christlich-liberale Koalition einigt sich doch auf Steuersenkungen. Würde die SPD es wagen, Entlastungen für Arbeitnehmer im Bundesrat zu blockieren?

Niedrige Einkommen kann man durch Steuersenkungen gar nicht entlasten. Durch die SPD-Reformen der vergangenen Jahre zahlen 40 Prozent der Haushalte gar keine Einkommensteuer mehr. Das sind die Haushalte mit niedrigen oder mittleren Einkommen. Auch die OECD sagt ja, dass deren Problem nicht die hohe Steuerbelastung ist, sondern die Sozialabgaben. Nehmen Sie mal die Modellrechnung des Bundes der Steuerzahler zu den Plänen der Regierung: Ein Ehepaar mit zwei Kindern, das 2000 Euro brutto im Monat verdient, soll um sage und schreibe einen Euro entlastet werden. Wer aber mehr als 6000 Euro verdient, soll 198 Euro pro Monat weniger zahlen. Da geht es nicht um den Abbau von Ungerechtigkeit.

Fürchten Sie nicht den Zorn der Wähler, wenn die Koalition nun behauptet: Wir würden die Leute ja entlasten, aber die böse SPD lässt uns nicht?

Nein. Für einen Euro Entlastung im Monat ist niemand bereit, zehn Milliarden Euro mehr Schulden für den Staat hinzunehmen. Die Menschen wollen, dass wir solide mit dem von ihnen erarbeiteten Geld umgehen. Es gibt nicht zuletzt wegen des Euro eine tiefe Vertrauenskrise.

Zur Glaubwürdigkeit von Union und FDP gehört es, die Steuerreform durchzuziehen, die sie im Wahlkampf versprachen.

Und zu unserer Glaubwürdigkeit gehört, dass wir das schon damals für eine Wahllüge hielten. Deswegen werden wir diesem Steuer-Irrsinn im Bundesrat nicht zustimmen. Steuersenkungen auf Pump sind in der jetzigen Situation ein glatter Verfassungsbruch.

Würden Sie eine Steuerentlastung denn mittragen, wenn es im Gegenzug Entlastungen bei den Abgaben gibt?

Wenn die Union bereit ist, den Spitzensteuersatz anzuheben, damit wir die Sozialabgaben bei den mittleren und unteren Einkommensgruppen senken können, kann sie mit uns sofort in Verhandlungen eintreten. Allerdings halten wir nichts davon, nur mal kurz die Sozialversicherungsbeiträge zu senken, wie es der Unions-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder vorgeschlagen hat. Das würde bedeuten, dass man die Beiträge in konjunkturell schlechteren Zeiten wieder erhöhen müsste – oder dass man für zukünftige Herausforderungen wie Altersarmut und Pflegerisiko kein Geld mehr hat. Wir vermuten mal, dass die CDU dieses Angebot nicht annehmen wird. Eher fühlen wir uns von der SPD an Oskar Lafontaine erinnert, der die Kohl-Regierung zwischen 1996 und 1998 mürbe machte, indem er alle Steuerreformen blockierte.

Die Wahlen 2013 werden nicht mit Parteitaktik entschieden. Sondern mit Solidität und wirtschaftlicher Vernunft. Wir Sozialdemokraten haben mit Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück während der Finanzkrise gezeigt, wie man solide arbeitet. Gemeinhin unterstellt man den Sozialdemokraten, sie könnten nicht mit Geld umgehen. Das hat man lange eher den Konservativen zugetraut.

Das war schon immer ein Vorurteil...

...aber die Ausgabefreude war lange Jahre in Ihrer Partei eindeutig höher.

Wir haben eben dazugelernt. Was mich wundert, ist, dass die andere Seite alles vergessen hat, was mit Solidität zu tun hat – bis auf den Bundesfinanzminister. Wolfgang Schäuble weiß ganz genau, dass das nicht geht, und ich kann nur hoffen, dass er sein Veto gegen die Pläne einlegt.

Die SPD ist auch nicht einig. Sie haben es immer noch nicht geschafft, ihr lang angekündigtes Steuerkonzept vorzustellen. Wo bleibt denn Ihr Alternativvorschlag?

Der Kern unserer Vorstellungen ist, dass wir nicht mehr auf Pump leben dürfen. Jetzt ist aber erst mal die Koalition am Zug. Sie muss klären, was sie will.

Noch mal: Sie hatten Ihr Papier für April versprochen. Wo hakt es denn?

Unsere Alternativen sind klar: Steuereinnahmen aus wirtschaftlichem Wachstum gehören in den Schuldenabbau. Mehrausgaben für Bildung und den Schutz vor Altersarmut finanzieren wir aus Subventionsabbau und Einsparungen. Solange die Koalition so chaotisch streitet, können wir denen beim besten Willen nicht mit einem Alternativmodell aus der Patsche helfen.

Die SPD will den Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer von 42 auf 49 Prozent erhöhen. Glauben Sie im Ernst, dass Sie damit Begeisterung ernten?

Wir wollen zugleich ja auch die Einkommensgrenzen verschieben. Im Übrigen gilt: Bei Kohl lag der Spitzensteuersatz noch bei 53 Prozent, eine sozialdemokratische Regierung hat ihn auf 42 gesenkt. Ich halte einen Satz von 49 Prozent für angemessen.

Wenn Sie den Spitzensteuersatz so stark erhöhen – braucht man dann die Reichensteuer noch?

Aus meiner Sicht nicht. Der Begriff riecht sehr nach Sozialneid. Ich habe nichts gegen Reiche. Es gibt in Deutschland nicht zu viel, sondern zu wenig Millionäre.

Weil Sie die richtig abkassieren können?

Niemand wird nur durch seine eigene Leistung reich. Sondern es geht fast immer um die Kombination aus eigener Leistung und guten Rahmenbedingungen in einer Gesellschaft. Bildung, Rechtsstaat und Sicherheit sind doch wichtige Voraussetzungen für jeden Wohlstand in unserem Land. Die Finanzierung dafür müssen wir fair verteilen. Dazu auch als Besserverdienender Ja zu sagen ist nichts anderes als sozialer Patriotismus.

Glauben Sie, dass das auch die Personengesellschaften im Mittelstand so sehen?

Wir haben auch die Mittelständler während unserer Regierungszeit drastisch entlastet. Wir haben keine überdimensionierten Steuersätze, in der Europäischen Union liegen wir im Mittelfeld.

Wann soll die Neuverschuldung nach ihrem Konzept auf null sinken?

Wenn konjunkturelle Steuermehreinnahmen ohne Wenn und Aber in den Abbau der Neuverschuldung gesteckt werden, können wir im Jahr 2017 ohne neue Schulden auskommen.

Und in der Haushaltsdebatte tritt dann Bundeskanzler Peer Steinbrück auf? 

Jedenfalls ein Sozialdemokrat, da bin ich sicher.

Was macht Sie denn so sicher?

Weil es 2013 für die heutige Koalition keine Mehrheit mehr geben wird. Und bei der Mehrheitsbildung jenseits der Union ist die SPD das Zentrum.

Die Grünen sind in den Umfragen aber fast so stark wie die Sozialdemokraten.

Ich halte es lieber mit Wahlergebnissen als mit Umfragen. Aber ich habe gar kein Interesse daran, dass die Zustimmungswerte zu den Grünen einbrechen. Wir brauchen sie ja als Koalitionspartner. Die Grünen sind die neue liberale Partei in Deutschland.

Das meinen Sie nicht als Kompliment.

Doch, durchaus. Die Grundeigenschaft einer liberalen Partei ist doch, dass sie koalitionsfähig für verschiedene Seiten ist. Die SPD hat viele Jahre dafür gekämpft, dass sich die sozialen Milieus auflösen. Damit hatten wir Erfolg – und so haben sich auch traditionelle Wählermilieus aufgelöst. Das hat die Chance für eine liberale Partei vergrößert. Die FDP hat das nicht gemerkt, die Grünen schon. Und natürlich könnten die Grünen auch mit der CDU koalieren.

Liberal heißt also: Macht es mit jedem?

Liberal zu sein heißt, offen und neugierig zu sein, nicht ideologisch fixiert. Das trifft für die FDP leider schon lange nicht mehr zu. Die Grünen profitieren natürlich auch von einem gewissen postindustriellen Bewusstsein. Darin sehe ich aber auch die Gefahren einer schwarz-grünen Koalition. Das wäre eine Koalition der Satten, die sich keine Gedanken mehr darüber machen, wie Wohlstand entsteht. Die Vorstellung, wir könnten auf Wachstum verzichten, kann man nur dann haben, wenn man selber ein ziemlich großes Stück vom Kuchen abbekommen hat.

Eine schwarz-grüne Koalition halten Sie für wachstumsfeindlich?

Das haben CDU und Grüne in Hamburg ja unter Beweis gestellt. Industrie und die gewerbliche Produktion sind immer noch der Kern unseres Wohlstandes. Angela Merkel hat völlig vergessen, dass eine erfolgreiche Volkswirtschaft Verlässlichkeit in den industriellen Rahmenbedingungen braucht. Sie hat diese Bedingungen mit ihrer Atomkehrtwende innerhalb weniger Monate umgestürzt – und zwar nur, damit sie koalitionsfähig für die Grünen bleibt.

Stänkern Sie gegen den Atomausstieg, den Sie selbst mitbeschlossen haben?

Der Beschluss zum Atomausstieg war ein großer Tag für die Sozialdemokratie. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass jetzt alles läuft. Merkels dramatische Kehrtwenden führen dazu, dass alles viel schneller, viel hektischer und viel teurer wird als nach dem rot-grünen Ausstiegsbeschluss. Der Staat muss dafür sorgen, dass die Belastung für die industrielle Wertschöpfung nicht zu groß wird. Wir müssen mit einem industriepolitischen Monitoring beobachten, wie sich die Energiepreise für das produzierende Gewerbe entwickeln. Im Zweifel müssen wir gegensteuern.

Wer soll diese neue Subvention bezahlen?

Auch deshalb rate ich ja dringend von Steuersenkungen ab. Wir wissen nicht, ob wir die Ausnahmetatbestände bei der Stromsteuer für die Unternehmen irgendwann erweitern müssen. Daher müssen wir Risikovorsorge treffen.

Die Performance der Bundesregierung ist mager, trotzdem bleiben die Zustimmungswerte für die SPD weit unter der 30-Prozent-Marke. Wie kommt das?

 Die Leute kommen nicht automatisch zu uns zurück, nur weil die anderen so schlecht sind. Frau Merkels Politik ist ein Turbolader für Politikverachtung. Die Leute halten nicht nur CDU, CSU oder FDP für überfordert, sondern leider fast alle Politiker und Parteien.

Dann müssen Sie jetzt Personal aufbieten, das Zutrauen gewinnt.

Personen und politische Inhalte hängen eng zusammen. Möglicherweise wirken wir in der SPD manchmal etwas langweilig, weil wir keine illusionären Versprechen machen. Aber das ist besser, als Versprechen zu machen, die man nicht halten kann.

Ist der Verweis auf Solidität bis zur Langeweile der Hinweis, dass der nächste Kanzlerkandidat wieder Frank-Walter Steinmeier heißen müsste?

Frank-Walter Steinmeier ist alles andere als langweilig. Es geht aber nicht um Personen, sondern darum, dass das Verantwortungsbewusstsein in den Parteien steigen muss.

Und wann will die SPD die Kandidaten-frage klären? Peer Steinbrück hat sich ja schon ins Rennen gebracht...

Ich sehe das eigentlich mit einem gewissen Amüsement. Wenn wir vor etwa eineinhalb Jahren als SPD über Kanzlerkandidaten im Jahr 2013 gesprochen hätten, wären wir von den Medien ausgelacht worden. Jetzt scheint es die Medien sehr zu interessieren, wer da von uns ins Kanzleramt einziehen wird. Ich finde das eine schöne Entwicklung.

Pardon, aber Peer Steinbrück hat im Mai ein Radio-Interview gegeben, indem er offen mit der Kandidatur kokettierte.

Ich finde, dass er das nicht getan hat. Und dass jetzt die Zeitungen voneinander abschreiben. In der SPD freuen wir uns über dieses Interesse an uns. Aber es bleibt eine Mediendebatte.

Wann wird die SPD denn entscheiden?

Gabriel: Das ist eine Frage frühestens für das Jahr 2012.

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