Die Absage von Grünen-Spitzenpolitikern für die Grundsteinlegung von Stuttgart 21 löst beim Architekten des Bahnhofsprojekts, Christoph Ingenhoven, Kopfschütteln aus. Sowohl Ministerpräsident Winfried Kretschmann als auch Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (beide Grüne) hatten abgesagt. „Das ist für mich unverständlich“, sagte Ingenhoven der Deutschen Presse-Agentur. Kretschmann und Kuhn hatten ihre Absagen mit anderen Terminen begründet.
Der Festakt am Freitag sei ein wichtiger Schritt in einem staatlich subventionierten Großprojekt, das die Zustimmung der Volksvertreter und auch direkt der Bevölkerung bekommen habe, sagte Ingenhoven. Er sieht die Absage als Beleg, dass es politischen Entscheidungsträgern noch immer an der notwendigen Sachlichkeit beim Thema S21 mangele. Mit Blick auf den Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), der ebenfalls nicht kommt, sagte Ingenhoven: „Da wird eine persönliche Agenda verfolgt, anstatt eine mehrmalige Mehrheitsentscheidung zu akzeptieren.“
Anstelle der Grünen-Spitzenpolitiker nehmen Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut und der für Wirtschaft zuständige Stuttgarter Bürgermeister Michael Föll (beide CDU) teil. „Die Absagen [der Grünen] sind auch deshalb erschreckend, weil sie zeigen, dass auch heute noch kein Miteinander in diesem Projekt erreicht ist“, empört sich Ingenhoven. Es zeige zudem, dass mit einem so wichtigen Projekt nicht angemessen umgegangen werde - „und dies zum Nachteil der Stadt Stuttgart“, so Ingenhoven.
Die Pannen bei Stuttgart 21
Der für Stuttgart 21 zuständige Bahn-Vorstand Volker Kefer hatte im Sommer 2013 eingeräumt, mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit werde das Vorhaben 2022 fertig, mit 40-prozentiger erst 2023. Vor diesem Hintergrund scheint es wenig realistisch, dass die Inbetriebnahme 2022 zu halten ist. Offiziell hält die Bahn am Fertigstellungstermin für den Stuttgarter Bahnknoten Ende 2021 fest, auch um den Druck auf beteiligte Firmen aufrecht zu erhalten. Gegner wie Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) halten 2025 für machbarer.
Der Baufortschritt wird immer wieder durch neue Auflagen etwa beim Brand- oder Artenschutz gebremst. Ein weiterer Grund sind schleppende Baugenehmigungen - dabei ist unklar, ob das Eisenbahnbundesamt als Aufsichtsbehörde mit zu wenig Fachpersonal oder die Bahn mit womöglich unvollständigen Unterlagen verantwortlich ist. Die Verzögerungen schlagen insofern zu Buche, als dass die Bahn Firmen länger vorhalten muss als vorgesehen. Und die Erlöse aus dem Betrieb des Bahnhofs rücken immer weiter in die Ferne.
Der Puffer im vom Bahn-Aufsichtsrat 2013 beschlossenen Finanzierungsrahmen von 6,526 Milliarden Euro ist laut einer neuen Prognose des Unternehmens fast ausgeschöpft. Wenn alle neu identifizierten Risiken einträten, verblieben nur noch 15 Millionen Euro für weitere Unwägbarkeiten in den nächsten Jahren. Daraus ergibt sich ein sogenannter Gegensteuerungsbedarf von 524 Millionen Euro, der in internen Unterlagen für die nächste Aufsichtsratssitzung an diesem Mittwoch (15. Juni) in Berlin zu finden ist. Dort wird sich der Bahn-Vorstand Berichten zufolge auf starke Kritik gefasst machen müssen. Vize-Chefaufseher Alexander Kirchner sagte der Deutschen Presse-Agentur, er werde Aufklärung vom Management fordern.
Es gibt erste Überlegungen - wie den Schichtbetrieb an den Baustellen auszuweiten, eine neue Autobrücke am Bahnhof zu errichten, um die Bauarbeiten zu erleichtern, und die Bauabläufe weiter zu optimieren.
Es gibt drei große Posten. Mehrkosten von 144 Millionen Euro könnten durch eine veränderte Tunnelbauweise entstehen, um Schäden durch das aufquellende Mineral Anhydrit zu vermeiden. 147 Millionen Euro gehen auf Risiken zurück, die mit über 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit auftreten, zum Beispiel beim Arten- und Lärmschutz. Der größte Block sind 290 Millionen Euro, die womöglich durch einen langsameren Fortschritt wegen schleppender oder neu beantragter Baugenehmigungen verursacht werden. So kamen Verzögerungen zustande, weil die Bahn im Tiefbahnhof die Fluchttreppen an die Enden der Bahnsteige verlegt und den Brandschutz für deutlich stärkere Feuer auslegen muss.
In den Koalitionsverhandlungen war das Thema heftig umstritten. Die CDU wollte der Bahn Entgegenkommen signalisieren; die Grünen wollten auf jeden Fall die bisherige strikte Ablehnung, sich an Mehrkosten zu beteiligen, nicht aufweichen. Laut Koalitionsvertrag will das Land in möglichen neuen Finanzierungsgesprächen darauf bestehen, „dass über die im Vertrag genannten Kostenanteile in Höhe von 930,6 Millionen Euro hinaus von Seiten des Landes keine Zahlungen zu leisten sind“. Beim Treffen des Lenkungskreises am 30. Juni muss die Bahn den Projektpartnern von Land, Landesflughafen, Stadt und Region Stuttgart die Lage erklären. Diese fordern vehement mehr Transparenz ein.
Das S-21-Tunnelsystem von knapp 60 Kilometern Länge ist zu einem Viertel erstellt. Die Grundsteinlegung der Bodenplatte des Tiefbahnhofs ist für spätestens September 2016 anvisiert. Aus Bahn-Sicht ist dieses Ereignis der größte Meilenstein vor der Inbetriebnahme der neuen Station - wann auch immer diese sein mag.
Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 meint: ja. Ein modernisierter Kopfbahnhof sei verkehrstechnisch sowie finanziell weit günstiger als die bisherige Durchgangslösung, die die Kritiker auf Kosten von 9,8 Milliarden Euro taxieren. Und was soll mit der Grube geschehen? Die kann nach Ansicht der S-21-Gegner als Bahnhof für Fernbusse dienen.
Der Architekt aus Düsseldorf hatte 1997 bei einem Wettbewerb den Zuschlag bekommen mit seinem Modell. Heute ist der 56-Jährige für den Bau des eigentlichen Bahnhofs zuständig. Der Kostenrahmen für S21 liegt bei rund 6,5 Milliarden Euro, Kritikern zufolge drohen aber Gesamtkosten von bis zu zehn Milliarden Euro. Wird es wirklich teurer? Er sei nur für einen Teil des Baus zuständig, „und bei uns sind die Kostenmehrungen sehr überschaubar“, sagt Ingenhoven. Die Diskussion um die mögliche Kostensteigerung findet Ingenhoven „unehrlich“, schließlich läge dies vor allem an der „jahrzehntelangen politischen Diskussion“. „Dadurch wurden Genehmigungsabläufe langwierig und es gab zusätzliche Wünsche, wodurch umgeplant werden musste.“ Dies seien neben der reinen Verlängerung des Planungsablaufes die „wichtigen Gründe“ für bisherige oder eventuelle zukünftige Kostensteigerungen. Zudem hätten sich gesetzliche Vorgaben etwa zur Sicherheit verändert, wodurch unter anderem Brandschutz-Maßnahmen teurer geworden seien, sagte der Architekt.
Noch immer finden in Stuttgart Montagsdemos statt, an den sich mitunter etwa 1000 Menschen beteiligen. Der Protest gegen S21 ist also deutlich schwächer als 2010/11, aber noch vorhanden. Die Vorschläge der S21-Gegner, das Bauvorhaben doch noch in einen modernisierten Kopfbahnhof zu wandeln, hält Ingenhoven für realitätsfern. „Das hätte doch nur die Nachteile beider Lösungen - man hätte ebenfalls enorme Kosten, aber keine freien Flächen für die dringend notwendige städtebauliche Ergänzung Stuttgarts.“
Die Vorwürfe der S21-Gegner, wonach das Projekt gefährlich für die Umwelt sei, hält Ingenhoven für „Verschwörungstheorien“ ohne Wahrheitsgehalt. „Noch immer tritt man uns Planern aggressiv gegenüber auf und tut so, als seien wir entweder unfähig oder führten Böses im Schilde.“ Nach Darstellung von Ingenhoven tut die Bahn „alles Erdenkliche“, um Mehrkosten zu vermeiden. „Die Bahn zahlt einen großen Teil des Projekts mit Eigenmitteln und hat selbst das größte Interesse, die Kosten einzuhalten“, sagt der Architekt.