Die Grundlage für die Vattenfall-Klage ist die von Deutschland ratifizierte Energiecharta. Darin ist eine Investitionsschutzklausel festgelegt – ähnlich der in CETA und TTIP geplanten. Auch RWE und Eon klagen gegen die Bundesregierung – mit derselben Argumentation. Allerdings müssen sie den herkömmlichen Rechtsweg bestreiten, da sie als inländische Unternehmen nicht durch die Energiecharta geschützt sind.
Nur wenige Details über das Vattenfall-Verfahren dringen an die Öffentlichkeit. „Allerdings sind es oft die Staaten, die verhindern, dass ein Schiedsspruch öffentlich wird“, weiß Klaus Sachs. Sachs ist Partner einer Münchener Wirtschaftskanzlei und einer von vier deutschen Juristen, die von der Bundesregierung als Schiedsrichter für solche Verfahren benannt wurden. „Manche Staaten haben aus Wettbewerbsgründen ein Interesse daran, dass ihre Verstöße gegen völkerrechtliche Pflichten nicht an die große Glocke gehängt werden.“
Was ein Freihandelsabkommen zwischen EU und USA bringt
Die Zölle zwischen den USA und den EU sind bereits niedrig. Sie liegen im Schnitt zwischen fünf und sieben Prozent, sagt der deutsche Außenhandelsverband BGA. Da jedoch jährlich Waren im Wert von mehr als einer halben Billion Euro über den Atlantik hin- und herbewegt werden, kann die Wirtschaft Milliarden sparen. Europäische Chemieunternehmen haben 2010 für Exporte in die Vereinigten Staaten fast 700 Millionen Euro in die US-Staatskasse gezahlt. Umgekehrt führten die USA gut eine Milliarde Euro nach Brüssel ab. Wirtschaftsverbände erwarten durch den Fall der Zollschranken weniger Bürokratie für mittelständische Unternehmen und mehr Geld für Investitionen, etwa in Forschung und Entwicklung.
Die deutsche Wirtschaft verspricht sich Impulse in Milliardenhöhe. "Das Freihandelsabkommen könnte unsere Exporte in die Vereinigten Staaten um jährlich drei bis fünf Milliarden Euro erhöhen", sagt der Außenhandelschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier. Die Amerikanische Handelskammer in Deutschland (AmCham) rechnet mit einem zusätzlichen Wachstum des Bruttoinlandsproduktes in Höhe von 1,5 Prozent. Viele Unternehmen hoffen zudem darauf, einen besseren Zugang zu öffentlichen Aufträgen in den USA zu bekommen.
Fast unlösbar scheinen die unterschiedlichen Auffassungen zwischen den USA und der EU in Fragen der Landwirtschaft. "Für die Amerikaner sind Hormonfleisch und Genmais kein Problem, für Europäer ist das dagegen ein 'No-Go'", sagt der Geschäftsführer des Außenhandelsverbandes BGA, Jens Nagel. "Da kann man sich auch nicht in der Mitte treffen." Die Handelskammer AmCham empfiehlt daher, dass Thema außen vor zu lassen. "Das Thema Agrar würde die Gespräche nur belasten", sagt AmCham-Ehren-Präsident Fred Irwin. "Deshalb wäre es gut, das beiseite zu schieben."
Bei der Angleichung technischer Standards. "Das fängt bei der Länge der Stoßstangen an und hört beim Krümmungswinkel des Rückspiegels auf", sagt BGA-Experte Nagel. "Hier gibt es seit Jahrzehnten unterschiedliche Standards, die sich nicht in wenigen Jahren angleichen lassen." Die Chemieindustrie fordert, vor allem Umwelt-, Verbraucher- und Gesundheitsschutz stärker aufeinander abzustimmen.
Die deutschen Exporteure warnen davor, aus dem Freihandelsabkommen eine Art Wirtschafts-Nato zulasten anderer Handelspartner zu schmieden. "Uns stört das Gerede um eine Wirtschafts-Nato", sagte der Geschäftsführer des Außenhandelsverbandes BGA, Jens Nagel. "Ein Freihandelsabkommen ist nicht dazu da, sich gegen Dritte abzuschotten nach dem Motto 'Jetzt verbünden wir uns gegen die bösen Chinesen'." In der Politik wird das zum Teil genau andersherum gesehen. "Es bleibt nur noch wenig Zeit, gemeinsam mit den USA Standards zu prägen, bevor Wachstumsmärkte wie China und Indien den Takt angeben", sagte der Geschäftsführer des CDU-Wirtschaftsrats, Thomas Raabe.
Sie können Produkte billiger einkaufen, verspricht beispielsweise der Verband der Automobilindustrie (VDA). "Das würde auch die Kosten eines Autos für den Verbraucher senken", sagt VDA-Präsident Matthias Wissmann. Auch andere Branchen können mit einer Kostensenkung rechnen. Ob sie den Vorteil an ihre Kunden weitergeben oder den eigenen Gewinn damit steigern, bleibt ihnen überlassen. Produkte können außerdem schneller erhältlich sein, wenn sie einheitlich zugelassen werden - etwa wenn die US-Aufsicht FDA ein neues Medikament freigibt, das damit automatischen die Zulassung in den EU erhält. (Quelle: Reuters)
Kritiker monieren immer wieder, dass der deutsche Gerichtsschutz ausreiche und es keiner Geheimjustiz bedürfe. „Investitionen und Eigentum von Unternehmen sind in Deutschland juristisch schon sehr gut abgesichert“, sagt Süß von Attac Deutschland.
Dem stimmt auch Sachs zu. Allerdings verweist er darauf, dass die USA und Kanada sich nicht nur mit Deutschland auf eine Freihandelszone einließen, sondern mit allen 28 EU-Staaten. „Nicht in jedem ist ein Justizsystem vorhanden, das kanadische Investoren ruhig schlafen lässt.“ Deswegen drängten sowohl Kanadier als auch Amerikaner auf internationale Schiedsgerichte.
Was viele Kritiker missachten: Mit CETA und TTIP könnten Schiedsgerichtsverfahren deutlich transparenter werden. Denn Nichtregierungsorganisationen sollen die Verfahren als Beobachter begleiten. „Das soll dazu beitragen, dass Investitionsschiedsverfahren den Ruf der Geheimjustiz verlieren“, sagt Sachs. „Eine vollkommen berechtigte Forderung.“
Die neue Transparenz stimmt die Kritiker nicht milde
Auch Krajewski ist davon überzeugt. Allerdings dürfe man nicht glauben, die Europäer hätten Kanada und den USA Transparenz abgetrotzt. Denn die Abkommen sehen vor, dass die seit April 2014 gültigen UNCITRAL-Transparenzregeln eingehalten werden.
UNCITRAL, die UN-Kommission für Internationales Handelsrecht, hat diese Regeln 2013 veröffentlicht. Sie sehen vor, dass das öffentliche Interesse bei Schiedsverfahren zwischen Investoren und Staaten künftig stärker berücksichtigt wird. Bei den Verhandlungen dieser Transparenzregeln hatte sich die Bundesregierung noch gewehrt – und stand mit dieser Position in einer Reihe mit Staaten wie China und Bahrain. Die Transparenz in puncto Schiedsgerichtbarkeit spiele im nordamerikanischen Raum eine weitaus größere Rolle, so Krajewski.
Die zusätzliche Transparenz stimmt die Kritiker allerdings keineswegs milde. „Das Sonderklagerecht für ausländische Unternehmen ist ein ganz besonderes Privileg“, sagt Scherrer. „Die Unternehmen kriegen ihre eigene Gerichtsbarkeit gegen Staaten – das erhöht die Macht der Konzerne drastisch.“