Der Chefredakteur der regierungskritischen türkischen Zeitung „Cumhuriyet“, Murat Sabuncu, und acht seiner Mitarbeiter müssen ins Gefängnis. Ein Gericht in Istanbul verhängte am Samstag Untersuchungshaft gegen die Journalisten, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Sie waren am vergangenen Montag unter Terrorverdacht festgenommen worden.
Damit folgen die Presseleute dem Schicksal einer Reihe von pro-kurdischen Oppositionspolitikern. Erst am Freitag hatte ein Gericht in der südöstlichen Kurdenmetropole Diyarbakir Untersuchungshaft gegen die HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag verhängt. Der Partei zufolge ergingen Haftbefehle gegen insgesamt neun ihrer Abgeordneten, darunter auch gegen den Chef der Parlaments-Fraktion in Ankara, Idris Baluken.
Die Polizei hatte bei Razzien insgesamt zwölf HDP-Abgeordnete festgenommen. Der deutsch-türkische Abgeordnete Ziya Pir und zwei weitere Parlamentarier wurden unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt. Die HDP teilte mit, man müsse mit weiteren Festnahmen rechnen. Erdogan beschuldigt die zweitgrößte Oppositionspartei, der verlängerte Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein.
Probleme im deutsch-türkischen Verhältnis
Im Juni 2016 beschließt der Bundestag eine Resolution, die die Gräuel an den Armeniern im Osmanischen Reich vor 100 Jahren als Völkermord einstuft. Die Türkei reagiert erbost und unter anderem mit dem Besuchsverbot für Incirlik. Kanzlerin Angela Merkel erklärt Anfang September, die Resolution sei rechtlich nicht bindend - aus Sicht Ankaras die geforderte Distanzierung von dem Beschluss. Das Besuchsverbot wird aufgehoben, doch vergessen ist die Resolution nicht.
Die Türkei hat sich verärgert darüber gezeigt, dass sich nach dem gescheiterten Putsch keine hochrangigen Mitglieder der Bundesregierung zum Solidaritätsbesuch haben blicken lassen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) plant zwar einen Besuch, der aber immer noch nicht stattgefunden hat. Der türkische EU-Minister Ömer Celik kritisiert, stattdessen seien aus Deutschland vor allem Mahnungen zur Verhältnismäßigkeit gekommen: „Bei hundert Sätzen ist einer Solidarität mit der Türkei, 99 sind Kritik.“
Ankara droht immer wieder damit, die Zusammenarbeit mit der EU in der Flüchtlingskrise aufzukündigen. Hintergrund ist unter anderem eine EU-Forderung, die Türkei müsse Anti-Terror-Gesetze reformieren, damit diese nicht politisch missbraucht werden. Ohne diese Reform will die EU die Visumpflicht für Türken nicht aufheben - ohne Visumfreiheit aber fühlt sich Erdogan nicht an die Flüchtlingsabkommen gebunden.
Auf Betreiben Erdogans beschließt das türkische Parlament, vielen Abgeordneten die Immunität zu entziehen. Betroffen ist vor allem die pro-kurdische HDP, die Erdogan für den verlängerten Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK hält. Parlamentariern droht Strafverfolgung - für Merkel „Grund tiefer Besorgnis“. Apropos PKK: Ankara fordert ein härteres Vorgehen gegen PKK-Anhänger in der Bundesrepublik, wo die Organisation ebenfalls verboten ist.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lag die Türkei schon vor dem Putschversuch und dem anschließend verhängten Ausnahmezustand auf Platz 151 von 180 Staaten. Seitdem sind Dutzende weitere Medien geschlossen worden. Für Aufregung sorgt zudem, dass der türkische Sportminister Ende September die Aufnahme eines Interviews mit der Deutschen Welle konfiszieren lässt. Die Deutsche Welle klagt auf Herausgabe.
Ankara fordert von Deutschland die Auslieferung türkischer Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, den die Regierung für den Putschversuch von Mitte Juli verantwortlich macht. Neuer Streit ist damit programmiert.
Sowohl die Festnahmen der HDP-Abgeordneten als auch das Vorgehen gegen die Journalisten riefen international Kritik hervor. Die „Cumhuriyet“-Mitarbeiter werden beschuldigt, die PKK und die Gülen-Bewegung unterstützt zu haben. Erdogan macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch von Mitte Juli verantwortlich. Gülen weist das zurück. Unter dem nach dem Putschversuch verhängten Ausnahmezustand geht die Regierung mit harter Hand gegen Gegner vor.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) kritisierte die jüngsten Vorgänge in der Türkei als „völlig inakzeptabel“. Die sogenannten „Säuberungen“ widersprächen dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, sagte Maas dem „Donaukurier“ (Samstagsausgabe). „Wo kritische Journalisten und Oppositionelle in Angst leben müssen, ist die Demokratie in Gefahr“, sagte der Minister.
Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekannte sich unterdessen erstmals zu einem Selbstmord-Bombenanschlag in der Türkei. Über sein Sprachrohr Amak reklamierte der IS in der Nacht zum Samstag eine schwere Autobombenexplosion nahe einer Polizeizentrale in Diyarbakir für sich. Zuvor hatte der IS schon die Verantwortung für Attentate auf Personen in der Türkei übernommen.
Der Anschlag folgt einem Aufruf des IS-Anführers Abu Bakr al-Bagdadi gegenüber „ungläubigen, türkischen Soldaten“ Stärke zu zeigen, nachdem türkische Streitkräfte im August mit verbündeten Rebellen in Syrien einmarschiert waren und den IS aus einigen Gebieten an der Grenze vertrieben hatten. Die türkische Regierung hatte den Anschlag mit neun Toten am Freitag zunächst der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zugeschrieben.