Europäische Zentralbank nach dem Brexit Die EZB kann Europa nicht alleine retten

Beim Treffen der internationalen Notenbanker-Elite in Portugal spart Gastgeber Mario Draghi das Thema Brexit aus. Trotzdem liefert er eine wichtige Erkenntnis: Die EZB kann Europa und Euro-Zone nicht allein am Leben halten.

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Die größten Netto-Zahler der EU
Touristen in Helsinki Quelle: dapd
Eine Windkraftanlage nahe Dänemark Quelle: dapd
Der Wiener Opernball Quelle: dpa
Da Atomium in Belgien Quelle: REUTERS
Eine Mitarbeiterin in der Schwedischen Botschaft in Minsk Quelle: REUTERS
Frau Antje Quelle: AP
Das Colosseum Quelle: REUTERS

Der Brexit hat die Laune verhagelt. Eigentlich soll das große Treffen der Europäischen Zentralbank (EZB) in Sintra ein entspanntes Beisammensein der internationalen Notenbanker-Gemeinde sein. Das Örtchen nahe dem Atlantik, rund 25 Kilometer von Lissabon entfernt, soll als idyllische Kulisse dienen für den entspannten Austausch abseits von Bürotürmen und Newstickern, sei es beim Golfspielen oder Wandern.

In diesem Jahr ist die Stimmung in dem in den Bergen von Sintra gelegenen Fünf-Sterne-Resort allerdings gedrückt. Eigentlich wollte EZB-Chef Mario Draghi hier am Mittwoch seine Notenbank-Kollegen Janet Yellen (Fed) und Mark Carney (Bank of England) willkommen heißen. Daraus wird nun nichts.

Sowohl Yellen als auch Carney hatten das Treffen bereits am Montag abgesagt, Draghi selber wird schon am Dienstag wieder nach Brüssel reisen und am EU-Gipfel teilnehmen, um dort mit Europas Regierungschefs über den Austritt Großbritanniens aus der EU zu verhandeln.

Traurigkeit beschreibe den Brexit am besten, sagte Draghi bei seiner kurzen Eröffnungsrede am Montagabend. Und tatsächlich sah man dem Italiener an, dass die vergangenen Tage nicht spurlos an ihm vorbeigegangen sind.

Wer auf mehr gehofft hat, wird allerdings enttäuscht. Bei seiner mit Spannung erwarteten Rede am Dienstagmorgen vor der versammelten Notenbanker-Elite sparte der EZB-Chef das Thema Brexit komplett aus. Während andere Teilnehmer der akademischen Konferenz zumindest einzelne Äußerungen zum Referendum einstreuten und das Thema wie ein Damoklesschwert über dem Tagungsort hing, kam in Draghis Rede nicht einmal die Worte „Brexit“ oder „Großbritannien“ vor.

Geldpolitik der EZB: Belastungen durch Niedrigzinsen

Stattdessen nutzt der Italiener seine Rede für einen Appell an seine Notenbankkollegen: „Wir brauchen vielleicht keine formelle Koordination der Geldpolitik“, sagte Draghi. Aber Zentralbanken könnten profitieren, wenn sie ihre Geldpolitik genauer abstimmen würden, erklärte der EZB-Präsident.

Das gelte insbesondere beim Thema Inflation. „In den vergangenen Jahren waren wir alle mit der gleichen Aufgabe beschäftigt“, sagte Draghi im Hinblick auf die noch immer niedrigen Inflationsraten in weiten Teilen der Weltwirtschaft. Das sei kein Zufall, erklärte Draghi, denn immerhin seien es globale Faktoren, die dafür sorgten, dass die Preissteigerung deutlich unterhalb des Inflationsziels der EZB von knapp zwei Prozent rangiere.

Geldpolitik der EZB: Entlastungen durch Niedrigzinsen

Draghi verweist auf die Nebenwirkungen, zu denen auch die unkonventionellen Maßnahmen der Notenbanken gehörten. Die extremen Wechselkursschwankungen der global bedeutenden Währungen würden das zeigen, so der Italiener. Sie seien aber nicht so sehr das Ergebnis der schieren Maßnahmen der Notenbanken, sondern der Intensität, mit denen diese Instrumente der Geldpolitik genutzt worden wären. Laut Draghi könnten bessere geldpolitische Absprachen und ein globaler Mix der Geldpolitik dafür sorgen, ungewollte Nebeneffekte wie instabile Märkte zu verhindern.

Draghi fordert globalen Aufbau

Einerseits scheint Draghis Rede völlig aus der Zeit gegriffen, da er das dominierende Thema der vergangenen Tage prominent ignoriert. Andererseits passt sie aber auch bestens zu Tagen wie diesen und sendet ein wichtiges Signal: Die EZB kann das hier nicht mehr alleine.

Insbesondere in turbulenten Zeiten wird klar, dass die EZB sowie andere Notenbanken nicht alleine dafür sorgen können, Europa und die Euro-Zone auf einen stabilen Wachstumspfad zurückzubringen.

Diese Anleihen rentieren unter Null
Top 15: Daimler AGDie EZB startete den Ankauf von Firmenbonds in der vergangenen Woche und sammelte an einem einzigen Tag Titel im Volumen von 348 Millionen Euro ein. Daneben kaufen die Währungshüter Staatsanleihen im Volumen von inzwischen 80 Milliarden Euro monatlich. Dies drückt unter anderem die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe erstmals unter die Marke von null Prozent. Bei kürzeren Laufzeiten gehören Negativzinsen bereits zum Alltag. Daimler verzinst seine bis zum 27. Juni 2018 ausgegebene Anleihe mit 2,125 Prozent. Die Rendite beträgt bei einem Gesamtvolumen der Anleihe von 935.617.500 Dollar minus 0,1049266 Prozent. Quelle: dpa
Top 14: Cooperatieve Rabobank UADas Gesamtvolumen europäischer Unternehmensanleihen mit dem Gütesiegel Investment Grade, die grundsätzlich von der Europäischen Zentralbank (EZB) aufgekauft werden können, liegt aktuell bei 2,8 Billionen Euro. Das entspricht in etwa der jährlichen Wirtschaftsleistung Frankreichs. Auf platz 14 kommt die Rabobank mit einer Anleihe von 4,75 Prozent Normalzins. Der Titel der Niederländer läuft bis zum 15. Juni 2018 und rentiert bei derzeit -0,0853134 Prozent. Das Volumen: 5.084.241.250 Dollar Quelle: REUTERS
Top 13: Commerzbank AGAuch die Anleihen des zweitgrößten Geldhauses der Bundesrepublik rentieren mit -0,1815399 Prozent negativ. Der Titel läuft bis zum 2. Juni 2019, hat einen Zinskupon von 4,375 Prozent und kommt damit auf ein Volumen von 2.101.800.000 Dollar. Quelle: REUTERS
Top 12: Caixa SADie Ausweitung der EZB-Anleihekäufe auf Schuldscheine europäischer Großkonzerne drückt deren Renditen immer tiefer. Inzwischen müssten Anleger bei 16 Prozent der Papiere dafür zahlen, den Firmen Geld leihen zu dürfen, teilte Tradeweb mit. Anfang Mai habe die Quote noch bei fünf Prozent gelegen. Anleihen der spanischen Bank CatalunyaCaixa kommen trotz eines Zinskupons von 4,25 Prozent auf eine Effektivverzinsung von -0,036232066 Prozent. Der Schein wird am 26. Januar 2017 fällig und hat ein Volumen von 2.507.600.000 Dollar. Quelle: REUTERS
Top 11: BNP Paribas SADer Französische Bankenriese verzinst seinen bis zum 27. Juni 2017 laufenden Bond mit 2,875 Prozent. Doch die Rendite ist auf -0,1012968 Prozent gefallen. Das Volumen: 1.559.362.500 Dollar. Quelle: REUTERS
Top 10: BMW Finance NVDer Langläufer der Bayern ist mit einem Normalzins von 3,25 Prozent ausgestattet und verfällt am 14. Januar 2019. Aktuelle Rendite: -0,0732932 Prozent. Der Ertrag beläuft sich auf 1.584.700.000 Dollar. Quelle: AP
Top 9: Berlin Hyp AGDie Deutsche Pfandbriefbank legte einen Bond auf mit einem Normalzins von 4,5 Prozent. Das Papier läuft bis zum 3. Mai 2019 und rentiert bei minus 0,1940956 Prozent. Der Ertrag beläuft sich auf 1.359.410.000 Dollar. Quelle: PR

Im Gegenteil, viele sehen gerade bei den Zentralbanken eine Mitschuld für die Skepsis der Bürger. Die ultra-expansive Geldpolitik nimmt den Sparern ihren Zins, gleichzeitig scheitern die Notenbanker aber zu oft daran, ihnen zu erklären, warum die Zinsen so niedrig sein müssen, wie sie sind.

Bisher haben die Notenbanken den Regierungen mit dem billigen Geld Zeit gekauft. Nun ist es an der Zeit, dass Strukturreformen folgen. Aber nicht nur die Regierungen stehen unter Handlungsdruck. Auch für die EZB dürfte der Brexit eine Prüfung werden, denn es sind vor allem die von der Notenbank beaufsichtigten Banken, die unter den Verwerfungen an den Finanzmärkten leiden. Allein die Aktien der Deutschen Bank rutschten innerhalb der vergangenen sieben Tage rund 13 Prozent ins Minus.

Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid

Viele Beobachter glauben, dass die EZB ihr Anleihekaufprogramm angesichts des Brexit weiter ausweiten könnte. In puncto Unabhängigkeit würde es dann schwierig für die Zentralbank. Einerseits wacht sie als Aufseher über die Stabilität der Banken, andererseits schwächt sie sie mit ihrem negativen Zins, den sie auf kurzfristige Einlagen der Institute erhebt.

Die „neue Realität“ erfordere einen globalen Aufbau, um die Effekte der Geldpolitik zu maximieren, sagte Draghi am Ende seiner Rede in Sintra.

Er hat es zwar nicht gesagt, aber vermutlich hat er dabei auch an den Brexit gedacht.

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