Die WirtschaftsWoche hat sich jüngst in einem Artikel kritisch mit den Geldleihgeschäften der Europäischen Zentralbank (EZB) auseinander gesetzt. Anlass war ein Buch des norwegischen Ökonomen Kjell Nyborg, in dem dieser der EZB vorwirft, den Geschäftsbanken Zentralbankgeld gegen fragwürdige Sicherheiten zu leihen und sich so vor den Karren maroder Banken und überschuldeter Staaten spannen zu lassen. Die EZB hat der WirtschaftsWoche daraufhin vorgeworfen, sich zum Adjutanten einer ungerechtfertigten Kritik an ihrer Geldpolitik zu machen.
In einem umfangreichen „Faktencheck“ haben die Notenbank-Ökonomen unter Leitung des EZB-Generaldirektors für Finanzmarktgeschäfte, Ulrich Bindseil, kritisch Stellung zu dem Artikel der WirtschaftsWoche bezogen und ihre Sicht der Dinge dargelegt. Wir haben uns entschlossen, an dieser Stelle die Kritik von Bindseil an dem von WiWo-Chefvolkswirt Malte Fischer verfassten Artikel zu veröffentlichen und mit den Gegenargumenten von Fischer zu konfrontieren.
Bindseil: Herr Fischer, Sie schreiben in Ihrem Artikel über die Wertpapiere, die die EZB als Sicherheit für Geldleihgeschäfte mit den Banken akzeptiert, folgendes: “Denn viele der Wertpapiere, die die EZB als sicher einschätzt, sind es in Wahrheit nicht; die EZB gibt sich mit fragwürdigen Zahlungsversprechen zufrieden.” Das ist eine unbelegte und falsche Aussage. Der Sicherheitenrahmen des Eurosystems basiert auf Regeln. Diese Regeln gelten für alle Wertpapiere und sind für jedermann – auch für Sie – auf der EZB-Website einsehbar (siehe beispielsweise den Rechtlichen Rahmen zur Geldpolitik und geldpolitischen Instrumenten, das Occasional Paper zum Thema „The Eurosystem collateral framework explained“ oder die Veröffentlichung zum Risikomanagement der geldpolitischen Operationen des Eurosystems).
Die Entscheidung, ob ein Wertpapier von Banken beliehen werden kann, fällen die Notenbanken des Eurosystems also nicht auf Basis von Stimmungen oder Annahmen über eine einzelne Bank oder ein Bankensystem, wie es Ihr Artikel insinuiert, sondern auf Basis objektiver Fakten und den Regeln folgend.
Eine dieser Regeln ist das geforderte Mindest-Rating, mit dem das Wertpapier, der Emittent oder ein eventueller Garantiegeber von mindestens einer Ratingagentur bewertet sein muss. Weiterhin können zum Beispiel unbesicherte Anleihen nicht vom Emittenten selbst beliehen werden. Dadurch ergibt sich immer eine doppelte Absicherung.
Fischer: Bei der Akzeptanz von Staatsanleihen als Sicherheiten für Geldleihgeschäfte orientiert sich die EZB nur am jeweils besten Rating der von ihr berücksichtigten Ratingagenturen. Dieses Vorgehen ist in höchstem Maße fragwürdig. Warum ignoriert die EZB die ungünstigeren Ratings der übrigen Agenturen? Schon das kaufmännische Vorsichtsprinzip, das jeder einigermaßen solide wirtschaftende Unternehmer zur Sicherung der eigenen Existenz anwendet, gebietet die Ausrichtung der Akzeptanz von Sicherheiten mindestens am Durchschnitt aller Ratings, besser noch am ungünstigsten Rating.
Aus der Tatsache, dass unbesicherte (Bank-)Anleihen nicht vom Emittenten selbst beliehen werden können, ergibt sich keinesfalls immer eine doppelte Absicherung, wie Sie behaupten. Im Fall einer systemischen Krise – und diesen Fall sollte eine Zentralbank im Blick haben, die sich nicht als permanenter Banken- und Staatenretter versteht – droht nicht nur die Bank als Kreditnehmer der EZB auszufallen. Auch das von ihr eingereichte Kollateral, das aus Anleihen anderer Banken oder aus Staatsanleihen besteht, droht dann wertlos zu werden.
Bindseil: Nur wenn die kreditnehmende Bank ausfällt und der Wert der Sicherheit nicht ausreichend ist, können Verluste auftreten. Dies ist umso unwahrscheinlicher, da der Wert der Sicherheiten täglich überprüft wird, entweder auf Basis von Marktpreisen oder durch Modellbewertung. Wenn also der Wert einer Sicherheit etwa im Laufe einer Krise sinkt, reduziert sich auch der zur Verfügung stehende Kreditbetrag. Ihr Artikel erwähnt diese für die Absicherung der Kreditgeschäfte entscheidenden Aspekte nicht.
Fischer: Die von Ihnen angesprochene Modellbewertung von Sicherheiten ist fragwürdig. Kein Modell der Welt kann ein Ersatz für echte Marktpreise sein. Zudem sind die Bewertungsmodelle der EZB und der nationalen Notenbanken für die Öffentlichkeit eine Blackbox, weil niemand außerhalb der Notenbanken weiß, wie die Parameter der Modelle spezifiziert sind. Hier mangelt es an Transparenz und Vergleichbarkeit mit alternativen Modellrechnungen. Zudem zeigt die Erfahrung, dass Modelle zur Bewertung von Finanzaktiva gerade in Krisenzeiten häufig versagen.
Beleihung der Sicherheiten
Bindseil: Die beschriebenen Regeln und Absicherungen haben dazu beigetragen, dass das Eurosystem bei Kreditgeschäften mit den Geschäftsbanken noch nie einen Euro Verlust erlitten hat. Das war selbst in der schwersten Finanzkrise seit vielen Jahrzehnten und der Insolvenz von Lehman Brothers nicht der Fall. Banken tendieren sogar dazu, weitaus mehr Sicherheiten einzureichen als sie in Form von Krediten von den Zentralbanken im Eurosystem in Anspruch nehmen. Das zeigt die Graphik zu Sicherheiten und ausstehenden Krediten auf unserer Website.
Fischer: Dass es noch nie zu Verlusten des Eurosystems bei den Leihgeschäften mit den Geschäftsbanken gekommen ist, ist nicht in erster Linie den angeblich soliden Regeln der EZB für Sicherheiten zu verdanken, sondern der Tatsache, dass die EZB sich in der Finanzkrise zum oberster Banken- und Staatenretter aufgeschwungen hat. Faktisch betreibt die EZB damit eine Rettungspolitik in eigener Sache. Denn käme es zu Banken- und Staatspleiten ,erlitte sie riesige Verluste, weil ihre Forderungen an die Banken und die unterliegenden Sicherheiten wertlos würden. Die Rettung von Staaten - etwa durch das Versprechen, notfalls unbegrenzt deren Anleihen zu kaufen – ist aber nicht die Aufgabe der EZB. Sie bewegt sich außerhalb ihres Mandats.
Bindseil: Ein weiterer Sicherheitsaspekt, den Sie, Herr Fischer, nicht erwähnen, ist die Beleihung der Sicherheiten zum Beleihungswert und nicht zum Nennwert. Die Kreditsumme, die mit einem Wertpapier besichert werden kann, wird täglich neu ermittelt. Beliehen wird der gegenwärtige Marktwert von Anleihen abzüglich der Sicherheitsabschläge, die abhängig von Laufzeit, Rating und Wertpapierklasse mehr als 80 Prozent betragen können.
Fischer: In meinem Artikel bin ich ausführlich auf die Sicherheitsabschläge eingegangen, die die EZB bei der Beleihung von Wertpapieren anwendet. Das Problem ist, dass die EZB die Höhe der Abschläge selbst festsetzt. In der Eurokrise hat sie sich dabei nicht gerade mit Ruhm bekleckert. So setzte sie für italienische und spanische Staatsanleihen die gleichen Bewertungsabschläge an wie für deutsche Staatsanleihen – obwohl das Ausfallrisiko für die Anleihen der Südländer schon damals deutlich höher war als für Bundespapiere. Das legt den Verdacht nahe, dass politische Überlegungen eine Rolle spielen, wenn es um die Höhe der Abschläge geht.
Bindseil: In Ihrem Artikel sprechen Sie von „Ramschanleihen“, die als Sicherheit akzeptiert würden; außerdem stellen Sie weitere unbelegte Behauptungen auf, raunen von „Ungereimtheiten“ oder schreiben „viele der Wertpapiere, die die EZB als sicher einschätzt, sind es in Wahrheit nicht; die EZB gibt sich mit fragwürdigen Zahlungsversprechen zufrieden“. Für all diese schwerwiegenden Anschuldigungen wird kein Beleg erbracht.
Fischer: Die EZB akzeptiert zum Teil Sicherheiten, die noch nicht einmal das Rating einer Agentur aufweisen. Die Liste dieser Kollaterale ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Wenn die EZB behauptet, keine fragwürdigen Zahlungsversprechen als Sicherheiten zu akzeptieren, warum veröffentlicht sie diese Liste dann nicht? Ebenso gern würde die Öffentlichkeit erfahren, was die nationalen Zentralbanken, etwa die griechische Zentralbank, auf dem Höhepunkt der Euro-Krise für ihre Notfallkredite an die Geschäftsbanken des Landes an Sicherheiten akzeptiert hat. Mehr Transparenz in diesem Bereich täte der Glaubwürdigkeit des Eurosystems und dem Vertrauen der Bevölkerung in das gemeinsame Geld gut.
Krisenbanken unter den akzeptierten Sicherheiten
Bindseil: Sie schreiben über die Liste der von der EZB akzeptierten Wertpapiere: „Die Liste, die 30.000 bis 40.000 Papiere umfasst, wird täglich aktualisiert. Und doch befinden sich derzeit Anleihen der spanischen Bank Banco Popular darauf… Auch Anleihen der notleidenden italienischen Banken Banca Popolare di Vicenza, Veneto Banca und Banca Monte dei Paschi di Siena nimmt die EZB als Sicherheiten entgegen.“
Anders als sie behaupten, wird die Akzeptanz von Sicherheiten auf Basis von Regeln bestimmt. Diesen Regeln folgend wurden die betreffenden Anleihen von Banco Popular von der Sicherheitenliste gestrichen, als der Emittent in die Abwicklung ging. Sie wurden demselben Regelwerk folgend wieder aufgenommen, nachdem die Anleihen nach der Übernahme durch Santander wieder ein ausreichendes Rating erhielten. Diese Änderungen können auf der täglich aktualisierten Liste von akzeptierten Sicherheiten auf der EZB-Website verfolgt werden.
Von den drei erwähnten italienischen Emittenten werden derzeit nur gedeckte Anleihen (Pfandbriefe) oder vom italienischen Staat garantierte Anleihen akzeptiert. Gedeckte Anleihen sind mit einem eigenständigen Deckungsstock, der im Fall der Fälle dem Zugriff des Insolvenzverwalters entzogen ist, besichert. Deshalb gelten für sie besondere Regeln, zumal das Rating weniger als bei anderen Anleihen von der Kreditwürdigkeit des Emittenten und mehr von der Qualität des Deckungsstocks abhängig ist. Auch diese wichtigen Unterschiede, die für die Beurteilung entscheidend sind, finden in Ihrem Artikel keinen Niederschlag.
Fischer: Die wundersame Mutation der Anleihen von Banco Popular von beleihungsfähigen zu nicht-beleihungsfähigen und wieder zu beleihungsfähigen Sicherheiten ist das Ergebnis einer hektischen Bankenrettungspolitik, die erforderlich wurde, weil die Bankenaufsicht unter dem Regime der EZB die Ausfallrisiken in den Bankbilanzen zu lange ignorierte.
Dass die EZB die vom italienischen Staat garantierten Anleihen der italienischen Krisenbanken als Sicherheiten für Geldleihgeschäfte akzeptiert, offenbart das absurde Ausmaß, das die allumfassende Rettungspolitik der EZB mittlerweile erreicht hat. Der italienische Staat ist nur deshalb kreditwürdig, weil die EZB ihn durch ihre Anleihekäufe kreditwürdig hält. Die EZB produziert auf diese Weise Schein-Sicherheiten, die sie dann als Grundlage für Geldleihgeschäfte mit den Banken nutzt. Das erinnert eher an Finanzalchemie als an solide Geldpolitik.
Geldpolitik der EZB
Die EZB setzt ihre ultralockere Geldpolitik unverändert fort: Der Leitzins bleibt bei null Prozent. Monatlich kauft die Notenbank weiter Staatsanleihen und andere Wertpapiere im Milliardenumfang. Basierend auf den aktuellen Daten halte der EZB-Rat die expansive Geldpolitik nach wie vor für angemessen, begründete Draghi. Immerhin sagt Europas oberster Währungshüter, dass die Notenbank derzeit keine Notwendigkeit sehe, noch mehr Geld in die Hand zu nehmen - etwa über neue Langfristkredite für Banken.
Die EZB strebt für den Euroraum eine Inflationsrate von knapp unter 2,0 Prozent an - weit genug von der Nulllinie entfernt. Im vergangenen Jahr wuchs die Wirtschaft im gemeinsamen Währungsraum robust um 1,7 Prozent. Im Februar 2017 dann knackte die Teuerung erstmals seit vier Jahren wieder die Marke von zwei Prozent - die von den Währungshütern angepeilten Ziele scheinen erreicht. Allerdings sind die Unterschiede zwischen den 19 Ländern des gemeinsamen Währungsraumes groß. „Die EZB hat einen Auftrag für den Euroraum insgesamt, und darauf muss sie ihre Geldpolitik ausrichten“, sagte der frühere EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing dem „Handelsblatt“.
Hauptgrund für den Anstieg der Inflation ist ein kräftiger Sprung der Energiepreise. Ökonomen rechnen damit, dass der Höhepunkt zunächst erreicht ist. „In den nächsten Monaten dürfte die Inflationshysterie wieder etwas nachlassen“, erklärt die Commerzbank. Wichtig ist für die Währungshüter eine nachhaltige Entwicklung der Verbraucherpreise. Dabei haben sie auch die Kerninflation im Blick - also die Teuerung ohne stark schwankende Energie- und Nahrungsmittelpreise. Im Februar verharrte diese Rate bei vergleichsweise niedrigen 0,9 Prozent.
„Der große Belastungstest steht vermutlich am 7. Mai an, wenn die Stichwahl darüber entscheidet, ob mit Marine Le Pen eine erklärte Euro-Feindin französische Präsidentin wird“, erläutern Ökonomen der Landesbank Helaba. Solange dies nicht geklärt sei, dürfte EZB-Präsident Draghi keine geldpolitische Kursänderung zulassen. Ähnlich sieht das ING-Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Sollte sich die politische Unsicherheit nach den Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich legen, könnte die Notenbank im Sommer Hinweise auf einen Ausstieg im Jahr 2018 geben. „Dieses Timing könnte helfen, das EZB-Bashing im beginnenden Wahlkampf in Deutschland zu dämpfen“, sagt Brzeski.
Das dürfte noch eine Weile dauern. Draghi bekräftigte erneut, dass die Zinsen auf absehbare Zeit niedrig bleiben werden - mindestens bis zum Auslaufen der Anleihekäufe Ende 2017. Für Sparer ist das Zinstief bei steigender Inflation bitter. Sparbuch und Co. werfen ohnehin kaum noch etwas ab. Solange die Teuerungsrate nahe der Nulllinie dümpelte, glich sich das in etwa aus. Bei steigenden Verbraucherpreisen bleibt Sparern unter dem Strich aber weniger Geld.
Alle, die Kredite aufnehmen, zum Beispiel Immobilienkäufer. Auch wenn die Zinsen wieder leicht steigen, sind Hypothekenkredite immer noch günstig. Die ultralockere Geldpolitik kommt auch dem deutschen Fiskus zugute, weil er sich günstig verschulden kann. „Wären die Zinsen auf dem Niveau des Jahres 2007 geblieben, hätte der deutsche Staat über die Zeit um rund 250 Milliarden Euro höhere Zinsausgaben stemmen müssen“, rechnete Bundesbank-Präsident Jens Weidmann jüngst in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vor.
Die EZB kann nicht von heute auf morgen einfach den Geldhahn zudrehen. Das würde zu schweren Turbulenzen an den Finanzmärkten führen. Um den Markt vorzubereiten, müssten die Währungshüter das Auslaufen der Wertpapierkäufe einige Monate vorher ankündigen, erläutert Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Friedrich Heinemann, Experte am Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW, mahnt: „Dringend nötig wäre eine klare Perspektive für 2018 mit einer realistischen Strategie zum Auslaufen der Anleihekäufe. Wie bei jedem Ausstieg aus einer Droge ist mit Entzugserscheinungen an den Anleihemärkten zu rechnen, auch Panikattacken sind denkbar.“
Bindseil: Herr Fischer, Sie behaupten in Ihrem Artikel zudem, dass die Akzeptanz der Ratingagentur DBRS finanzschwächeren Ländern im Euroraum helfe und dass die Nutzung von eigenen Kreditbewertungen durch die Notenbanken des Eurosystems ein Missbrauch des Systems sei. Beides ist falsch. Die Qualität aller Quellen für Kreditbewertungen, auch die der eigenen Bewertungen, wird jährlich anhand objektiver Kennzahlen gemessen und überwacht. Für alle gelten dieselben Anforderungen. DBRS wurde bereits vor Beginn der Finanz- und Schuldenkrise in die Liste der akzeptierten Ratingagenturen aufgenommen.
Fischer: Die kanadische Ratingagentur DBRS ist für ihre vergleichsweise großzügige Bewertung von Schuldnern bekannt. Das gilt auch für die Bewertung von staatlichen Kreditnehmern. So hat es Portugal allein DBRS zu verdanken, dass die EZB weiter portugiesische Staatsanleihen kauft. Denn DBRS ist die einzige der von der EZB berücksichtigten Ratingagenturen, die portugiesische Staatsanleihen noch als kreditwürdig einstuft, was wiederum die Voraussetzung dafür ist, dass die EZB die Anleihen des Landes kauft. Dank des großzügigen Ratings von DBRS kann die EZB die Beleihungswerte für die Staatsanleihen von Krisenländern höher ansetzen. Das verschafft den Banken Zugang zu mehr Krediten der EZB.
Bankanleihen als Sicherheiten
Bindseil: Sie behaupten, es habe eine Ausweitung des Sicherheitenrahmens „zu Beginn der Eurokrise“ gegeben. Das ist in zweierlei Hinsicht falsch. Die meisten Änderungen sind lange vor Beginn der Eurokrise erfolgt. Sie haben weder bestimmte Regionen begünstigt, noch war das die Absicht. Banken im gesamten Euroraum haben von diesen Anpassungen profitiert und damit der gesamte Euroraum.
Fischer: Formal betrifft jede Änderung des Sicherheitenrahmens alle Banken im Euroraum. Doch profitieren diese in unterschiedlichem Maße davon, je nachdem in welchem Umfang sie über die zulässigen Sicherheiten verfügen beziehungsweise sich diese beschaffen können. So hat die EZB auf dem Höhepunkt der Eurokrise mehr als 10.000 unbesicherte und auf unregulierten Märkten gehandelte Bankanleihen ihrer Liste notenbankfähiger Sicherheiten hinzugefügt. Zugleich stattete die italienische Regierung zahlreiche fragwürdige Bankanleihen mit staatlichen Garantien aus, damit die Banken diese als Sicherheiten für die Geldleihe bei der EZB einreichen konnten.
Bindseil: Keinesfalls sind alle Änderungen des Sicherheitenrahmens mit Erleichterungen verbunden gewesen. Tatsächlich war die Aufnahme von zusätzlichen Sicherheiten für die Beleihung zugleich generell mit schärferen Bewertungsabschlägen verbunden. In anderen Fällen gab es auch Verschärfungen bei den geforderten Mindestratings (zum Beispiel für Kreditverbriefungen, ABS).
Fischer:Dass die EZB die Mindestratings für Kreditverbriefungen und ABS verschärft hat, stellt keine Abkehr von der krisenbedingten qualitativen Lockerung ihrer Beleihungspolitik dar. Vielmehr soll mit den erhöhten Rating-Anforderungen der Markt für ABS wiederbelebt werden. Dieser leidet bis heute an dem schlechten Image, das ihm als Mit-Auslöser der Lehman-Pleite anhaftet.
Bindseil: Sie erwecken den Eindruck, es gäbe politisch motivierte Bewertungen von Sicherheiten. Das ist schlicht falsch. Das Eurosystem nutzt Marktwerte, soweit das eben möglich ist. Für handelbare Wertpapiere, für die kein Marktpreis ermittelt werden kann, gibt es anerkannte Bewertungsmethoden, die täglich angewendet werden unter der Federführung der Bundesbank und der Banque de France. Diese Methoden spiegeln Marktentwicklungen wider und werden regelmäßig vom Rat der EZB überprüft und genehmigt. Auch hier gibt es keinen Raum für willkürliche Entscheidungen.
Viele von den in Ihrem Artikel erwähnten Sicherheiten scheinen nicht-marktfähige Sicherheiten zu sein, also von Banken an Unternehmen der Realwirtschaft oder öffentliche Stellen vergebene Kredite. Auch hier gelten strenge Anforderungen an die Kreditqualität der Schuldner, die innerhalb des regulären Sicherheitenrahmens des Eurosystems mindestens eine Bonität äquivalent zu einem Rating von „BBB-“ aufweisen müssen. Gibt es dafür keine Marktpreise, werden sehr hohe Abschläge verwendet. Auch solche Sicherheiten werden nach klaren Regeln bewertet.
Im Rahmen einer Erweiterung des Sicherheitenrahmens ist es nationalen Zentralbanken gestattet, auf Basis nationaler Kriterien weitere Kreditforderungen als Sicherheit zu akzeptieren, dies jedoch auf eigenes Risiko, also ohne Verlustteilung.
Bewertungsabschläge - ausreichend oder nicht?
Fischer: Um den Wert von Sicherheiten zu bestimmen, für die keine Marktpreise vorliegen, orientiert sich die EZB an Wertpapieren mit ähnlichen Charakteristika, die am Markt gehandelt werden. Aber woran wird die Ähnlichkeit von Wertpapieren gemessen? Hier entstehen zwangsläufig diskretiönäre Entscheidungsspielräume.
Die Tatsache, dass es den nationalen Zentralbanken möglich ist, zusätzliche Kreditforderungen auf eigenes Risiko als Sicherheiten zu akzeptieren, gibt ebenfalls Anlass zu Besorgnis. Wird das Eurosystem wirklich an der für diese Fälle vereinbarten nationalen Haftung festhalten, wenn milliardenschwere Verluste einer nationalen Zentralbank deren Eigenkapital auszulöschen drohen? Die Erfahrungen der vergangenen Jahre lassen eher vermuten, dass im Rahmen der „europäischen Solidarität“ dann die Steuerzahler der anderen Länder die finanziellen Lasten mittragen müssen.
Die Rolle der EZB nach dem Maastricht-Vertrag
Artikel 104 (1) Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der EZB oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten (...) für Organe oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die EZB oder die nationalen Zentralbanken.
Artikel 104 b (1) Die Gemeinschaft haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein. (...)
Artikel 107 Bei der Wahrnehmung der ihnen durch diesen Vertrag und die Satzung des ESZB übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten darf weder die EZB noch eine nationale Zentralbank, noch ein Mitglied ihrer Beschlussorgane Weisungen von Organen oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen.
Artikel 105 (1) Das vorrangige Ziel des ESZB (Europäisches System der Zentralbanken, d. Red.) ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft, um zur Verwirklichung der in Artikel 2 festgelegten Ziele der Gemeinschaft beizutragen.
Bindseil: Sie behaupten, die Bewertungsabschläge der EZB bei Sicherheiten seien zu niedrig und werden zu selten angepasst. Diese Behauptungen sind falsch. Eine generelle Überprüfung der Bewertungsabschläge findet alle zwei Jahre statt, das können Sie auf unserer Website nachlesen. Darüber hinaus werden Anpassungen kurzfristig durchgeführt, wenn dies aus Risikosicht erforderlich erscheint, ebenfalls auf unserer Website nachzulesen. Außerdem sorgt die tägliche Bewertung von Sicherheiten (mit Nachschusspflicht, wenn notwendig) für eine wesentliche Verringerung der Risiken.
Fischer: Eine generelle Überprüfung der Bewertungsabschläge im Abstand von zwei Jahren ist angesichts der raschen Änderungen des gesamtwirtschaftlichen und politischen Umfelds nicht ausreichend. Zudem bleibt es dem Ermessensspielraum der EZB überlassen, ob es darüber hinaus zu kurzfristigen risikoadäquaten Anpassungen kommt. Besser wäre es, dem Vorschlag von Professor Kjell Nyborg zu folgen und die Höhe der Bewertungsabschläge für Staatsanleihen für jedermann nachvollziehbar direkt an der Höhe der Verschuldung des jeweiligen Staates auszurichten. Gegenwärtig wirkt sich die Verschuldung nur als eine von vielen Bestimmungsfaktoren auf das Rating einer Staatsanleihe aus, welches neben anderen Faktoren den Bewertungsabschlag bestimmt. Orientierte sich der Abschlag direkt an der Schuldenquote, reflektierte er die Ausfallwahrscheinlichkeit von Staatsanleihen besser und reduzierte zudem die Anreize für die Regierungen, Schulden aufzunehmen.