Die Frage, ob sich unsere Zeit mit den Jahren zwischen den Weltkriegen und dem Erstarken des Faschismus und Nationalsozialismus vergleichen lassen, kann man mit einem klaren Ja beantworten. Die Bedingungen, die dazu führen, dass sich die Bewohner der Alten Welt wieder von nationalem Geschwätz und der damit einhergehenden Rhetorik von Allmacht einlullen lassen, sind sicher anders als damals. Aber die Anfälligkeit für Abgrenzung und Isolationismus ist wieder zurück, sie bricht sich Bahn in der Dämonisierung des Anderen. In der Gegenwart ist es der Islam, sind es die Muslime, ein Feindbild, das viele Europäer eint. Daneben gibt es aber die vielen kleinen „anderen“, wie in England der polnische Arbeiter beispielsweise.
Was ist der Westen? In den vergangenen siebzig Jahren war das für Europa: Multilateralismus, Demokratie, öffentliche Debatte, Überwindung von Landesgrenzen, Harmonisierung der Lebensbedingungen (rechtlich, wirtschaftlich) aller Menschen, die innerhalb der Europäischen Union leben. Diese Entwicklung hat die größte liberale demokratische Fläche der Erde hervorgebracht. Noch nie haben so viele Menschen so dauerhaft in Frieden und Wohlstand gelebt. Dieses Projekt zeigt allen Radikalismen, die sich im Morast unter der Oberfläche vegetierend erhalten haben, den Mittelfinger. Der Nationalismus ebenso wie der Sozialismus sind untergegangen. Ein Schelm ist aber der, der denkt, dass sich diese Ideen für immer verabschiedet hätten.
Der Westen ist nicht untergegangen. Er wird auch nicht untergehen, weil das Vereinigte Königreich am Ende nicht wirklich aus der Europäischen Union austreten wird. Das Wahlvolk ist aufgewacht und hat erkannt, dass es zum einen von seinem Wahlrecht nicht Gebrauch gemacht hat (das sind die jungen Nichtwähler) und das andere sind die Prothesen-Wähler, die lernen mussten, dass Nigel Farage ihnen kein goldenes Hüftgelenk spendieren wird.
Der Westen geht dann unter, wenn Politiker wie Boris Johnson oder Viktor Orban in ganz Europa an die Macht kommen. Ihnen fehlt die innere Spannkraft, um eine liberale Demokratie wie die Europäische Union am Leben zu erhalten.