Wir haben lernen müssen, dass die Währungsunion gerade deshalb nicht funktioniert, weil die Unterschiede bei Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftskraft so groß sind. Und nun kommt die Politik und sagt: Wir müssen nur noch enger zusammenarbeiten, dann klappt das schon. Aber niemand will eine gemeinsame Steuer- oder Wirtschaftspolitik, schon gar keine gemeinsame Haushaltspolitik.
Ich teile Ihre Einschätzung, dass die politische Bereitschaft und die Unterstützung der Bevölkerung nicht sehr ausgeprägt sind, nationale Souveränität aufzugeben. Am wenigsten übrigens oft in den Ländern, die eine verstärkte Gemeinschaftshaftung fordern. Ich sehe deshalb auch nicht den großen Sprung in Richtung Fiskalunion. Das heißt dann aber, sich an das zu halten, was wir bei Gründung der Währungsunion vereinbart hatten: den Maastricht-Vertrag, in dem die Mitgliedstaaten für sich selbst verantwortlich sind. Wir sollten uns jedenfalls davor hüten, Risiken immer stärker zu vergemeinschaften, ohne die nationale Souveränität anzutasten. Denn wenn Haftung und Kontrolle nicht im Einklang stehen, wird das Fundament der Währungsunion untergraben.
Die Rolle der EZB nach dem Maastricht-Vertrag
Artikel 104 (1) Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der EZB oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten (...) für Organe oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die EZB oder die nationalen Zentralbanken.
Artikel 104 b (1) Die Gemeinschaft haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein. (...)
Artikel 107 Bei der Wahrnehmung der ihnen durch diesen Vertrag und die Satzung des ESZB übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten darf weder die EZB noch eine nationale Zentralbank, noch ein Mitglied ihrer Beschlussorgane Weisungen von Organen oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen.
Artikel 105 (1) Das vorrangige Ziel des ESZB (Europäisches System der Zentralbanken, d. Red.) ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft, um zur Verwirklichung der in Artikel 2 festgelegten Ziele der Gemeinschaft beizutragen.
Wird die EZB zur Supermacht, wenn sie von 2014 an nicht nur die Preisstabilität sichert, sondern auch die wichtigsten 200 europäischen Banken beaufsichtigt?
Zunächst einmal: Wir in der Bundesbank halten die Bankenunion für einen im Grundsatz sehr wichtigen und richtigen Schritt, um den institutionellen Rahmen der Währungsunion für die Zukunft solider zu machen. Es geht unter anderem darum, durch eine effektive Aufsicht und einen strengen Regulierungsrahmen die enge Verbindung zwischen Risiken aus den öffentlichen Finanzen eines Landes und der Lage des dortigen Bankensystems so weit wie möglich aufzulösen. Bei derart wichtigen Entscheidungen sollte Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen. Aus unserer Sicht ist insbesondere wichtig, dass Interessenkonflikte zwischen der Bankenaufsicht und der Geldpolitik vermieden werden. Das sehe ich noch nicht zufriedenstellend gelöst.
Kann der geplante Vermittlungsausschuss das Problem lösen?
Es soll künftig drei Gremien für die Bankenaufsicht geben: Zunächst den Aufsichtsausschuss, der in der EZB angesiedelt ist und die Entscheidungen für den EZB-Rat vorbereitet. Diese Beschlussvorschläge soll der EZB-Rat nur ablehnen oder annehmen, nicht aber verändern können. Das finde ich eigenartig: Wenn ich schon politische Verantwortung tragen soll, muss ich auch in der Lage sein, die Entscheidung zu gestalten. Damit nicht genug: Lehnt nun beispielsweise der EZB-Rat eine Vorlage des Aufsichtsgremiums ab, und ein Land ist damit nicht einverstanden, dann kommt ein drittes Gremium ins Spiel: der Vermittlungsausschuss. Er entscheidet mit einfacher Mehrheit. Doch seine Entscheidungen können nicht bindend sein – aufgrund des geltenden EU-Rechts muss der EZB-Rat das letzte Entscheidungsgremium sein.
Klingt nach einer sinnlosen, aber komplizierten Konstruktion. Warum tut man das?
Man versucht, auf einer dafür nicht wirklich geeigneten Rechtsgrundlage eine chinesische Mauer zwischen den geldpolitischen und den aufsichtsrechtlichen Aufgaben einzuziehen. Es ist aber eher eine japanische Wand oder ein Paravent. Vorzuziehen wäre es meiner Ansicht nach, durch eine Änderung der EU-Verträge eine robuste Trennung zwischen geldpolitischen und aufsichtlichen Entscheidungsstrukturen hinzubekommen.