Terror in Belgien Mitten ins Herz

Trotz Terrorbedrohung nach den Anschlägen von Paris blieb das Leben in Belgien seltsam unbeschwert. Ändert sich das jetzt, haben die Attentäter gewonnen.

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Silke Wettach Quelle: Privat

Am Samstag noch erzählte eine Freundin, dass Praktikanten nicht mehr nach Brüssel kommen wollten. Zu gefährlich. Alle am Tisch lachten und wandten sich ihrem Dessert zu.

Seit den Attentaten in Paris im vergangenen November war klar, dass auch Belgien ins Visier der Terroristen geraten war. Doch die wenigsten Brüsseler fühlten sich ernsthaft bedroht. Als die Terrorwarnstufe damals vorübergehend auf das höchste Niveau stieg, waren es vor allem Zugezogene, denen mulmig wurde. Belgier amüsierten sich über die Wichtigtuerei ihrer Regierung, die halt so tun müsste, als ob sie durchgreife. Trotz hoher Terrorwarnstufe gingen die Menschen aus, fuhren mit der Metro, das Leben ging weiter. Als dann auch noch die Sicherheitsstufe abgesenkt wurde, schien der Spuk vorbei.

Bis zu diesem Dienstag, einem sonnigen Frühlingstag, an dem Angreifer nach demselben Muster wie in Paris eine Stadt terrorisierten. „Sie wollen uns alle angreifen“, sagte am Morgen ein Passant im grauen Mantel zu seiner Begleiterin, als ich die Eingangstür zum Büro aufschloss. Er sprach wie ein Staatsmann.

Bei den Terroranschlägen in Brüssel sind auch mehrere Deutsche verletzt worden. Das Auswärtige Amt schloss am Mittwoch auch nicht mehr aus, dass Bundesbürger getötet wurden.
von Rahel Klein, Nora Jakob

Nüchtern betrachtet waren die Anschläge vom Dienstag keine Überraschung. Wer Europa ins Herz treffen will, der schlägt an einer U-Bahn-Station wie Maelbeek zu. In der einen Richtung geht’s zum Europäischen Parlament, in der anderen zur mächtigen Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission. Direkt um die Ecke liegen die ständigen Vertretungen Deutschlands und Griechenlands. In ihrer Perfidie hätten die Täter effizienter nicht sein können.

Die Sicherheitsvorkehrungen in Brüssel waren bisher extrem lax, selbst wenn sich Politprominenz in der Stadt aufhält. Ein getarntes Fernsehteam drang einmal in einer Gipfelnacht in das Hotel von Bundeskanzlerin Angela Merkel ein, Aktivisten haben mehrfach die Gipfelabsperrungen überwunden. Und wenn im Ratsgebäude die 28 Staats- und Regierungschef zu ihren Treffen zusammenkommen, dann rattert direkt darunter die U-Bahn durch, ehe sie in der Station Maelbeek einrollt. Nur die U-Bahn-Station Schuman direkt daneben blieb bisher geschlossen. Man muss kein Sicherheitsexperte sein, um das suboptimal zu finden.

In Brüssel wird sich wohl manches ändern

Als ich kürzlich mit dem Schnellzug Thalys nach Paris fuhr, kontrollierte auf dem Rückweg Sicherheitspersonal am Gleis. Ich fand das beruhigend. Vergangenen Sommer war ein Mann im Thalys zwischen Brüssel und Paris überwältigt worden, ehe er seine tödliche Waffe einsetzte. Weniger beruhigend: Auf dem Hinweg stiegen alle ohne jede Überprüfung in den Zug.

In Brüssel wird sich in Zukunft wohl manches ändern, schon weil die anderen 27 EU-Partner darauf bestehen werden, in der EU-Hauptstadt sicher zu sein. Aber nicht nur die belgische Hauptstadt wird aufrüsten, um sich gegen Terroristen zu wehren. An Flughäfen, Bahnhöfen und anderen Plätzen, an denen viele Menschen zusammenkommen, werden Kontrollen stattfinden, wie wir sie uns bisher nicht vorstellen konnten. Wir werden neu diskutieren, wie viel Freiheit und wie viel Sicherheit wir wollen. Nach den Anschlägen von Paris hatten wir die Debatte nie zu Ende gebracht.

Wenige Stunden nach den Anschlägen haben in Brüssel Anwohner mit Kreide Plädoyers gegen den Hass auf den Asphalt in der Fußgängerzone geschrieben. Die Geste macht Hoffnung, dass die Stadt offen und tolerant bleibt. „Wenn wir nicht mehr lachen, haben die Terroristen gewonnen“, sagte mir der belgische Regisseur Jaco Van Dormael kürzlich im Interview. Er saß beim Schnitt seines Kinohits „Das brandneue Testament“, als Terroristen in der Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ mordeten. Und beschloss, jetzt erst recht, andere zum Lachen zu bringen.

Bei dem Essen am vergangenen Samstag haben wir übrigens darüber gesprochen, dass Mitarbeiter aus den Vertretungen der deutschen Bundesländer in Brüssel einen Aufschlag fordern, als Gefahrenzulage für den riskanten Posten. Auch darüber haben wir gelacht. Wenn ich heute daran denke, finde ich es ein wenig unpassend. Aber vielleicht hat Van Dormael recht, der sagt, wir dürfen mit allen über alles lachen. Vielleicht ist das die Definition von Europa.

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