Konjunktur Die Regierung hemmt die Wirtschaft

Die niedrigen Zinsen, das billige Öl und der schwache Euro fachen die Wirtschaft an. Doch die Firmen gehen lieber ins Ausland – auch wegen der wachstumsfeindlichen Politik der Bundesregierung.

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Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel Quelle: dpa Picture-Alliance

Richtig gute Laune kommt bei Jürgen Reinemuth in diesen Tagen auf, wenn er an der Tankstelle vorfährt. „Einen Euro und zwölf Cent für einen Liter Diesel, wann hat es das zuletzt gegeben?“, freut er sich. Doch die Freude über den billigen Sprit verfliegt rasch, wenn Reinemuth auf die eigenen Geschäfte zu sprechen kommt. Denn die könnten besser laufen. Reinemuth ist geschäftsführender Gesellschafter von Thaletec, einem mittelständischen Hersteller von Spezialtanks für die chemische und pharmazeutische Industrie. Zu seinen Kunden zählen Weltkonzerne wie BASF, Bayer, Dow und Roche.

Das sagen Experten zur kalten Progression
Die Abschaffung der kalten Progression würde nach Berechnungen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zu mehr Wachstum in Deutschland führen. Das Bruttoinlandsprodukt könnte bis 2016 um fünf Milliarden Euro zusätzlich steigen, sollte die kalte Progression entfallen, sagte ZEW-Präsident Clemens Fuest der "Bild"-Zeitung. Das Plus entspricht einem zusätzlichen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 0,2 Prozent. Zur Begründung sagte Fuest, die steuerliche Entlastung würde den Konsum der Bundesbürger ankurbeln und die Nachfrage nach Dienstleistungen und Produkten erhöhen. Quelle: dpa
Die Koalitionsfraktionen von Union und SPD hatten Ende April bekräftigt, dass ein Abbau der sogenannten Kalten Progression bei der Einkommensteuer in absehbarer Zeit nicht mehr zu erwarten ist. Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte zum Abschluss einer Klausurtagung der Fraktionsspitzen in Königswinter bei Bonn, dies stehe nicht im Koalitionsvertrag. Die CSU sieht für einen Abbau der kalten Progression frühestens 2018 Spielraum. Quelle: dpa
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht aktuell keinen Spielraum für eine Steuerentlastung. Dies bekräftigte sie nach Angaben aus Teilnehmerkreisen auf einer CDU-Vorstandssitzung. Schon zuvor hatte Regierungssprecher Steffen Seibert betont, 2014 und 2015 gebe es keine Spielräume. Quelle: AP
Auch Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) sagte gegenüber dem "Weser Kurier", der Abbau der kalten Progression sei "sicherlich erstrebenswert", er habe aber aus ihrer Sicht keine Priorität. Vorrang habe der angestrebte ausgeglichene Haushalt. Nahles verwies zugleich darauf, dass die Verminderung der kalten Progression eine "faire Finanzierung" voraussetze. Über die Gegenfinanzierung gibt es jedoch Streit. Quelle: dpa
Ungeachtet der Absage der großen Koalition hält die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) einen baldigen Abbau schleichender Steuererhöhungen für nötig. „Wir haben Handlungsbedarf und sollten die kalte Progression gemeinsam angehen. Wenn die Steuereinnahmen weiter so sprudeln, kann das ein Thema für den Haushalt 2015 werden“, sagte sie der Zeitung „Die Welt“. Für die Länder wären Korrekturen bei der kalten Progression allerdings „ein Riesenkraftakt“, schränkte die Ministerpräsidentin ein. „Wir müssten daher über Kompensationen sprechen.“ Quelle: dpa
Nach der Absage der schwarz-roten Koalition an rasche Steuersenkungen will Bayern ein eigenes Konzept zum Abbau der kalten Progression vorlegen. Die Vorlage solle nicht aktuell umgesetzt werden, sondern erst in einigen Jahren. „Wir müssen in dieser Frage Schrittmacher bleiben“, sagte Finanzminister Markus Söder (CSU) „Spiegel Online“. Der Gesetzentwurf solle bereits in wenigen Wochen vorliegen. Ein Einstieg in den Abbau der „kalten Progression“ ist nach Einschätzung des CSU-Politikers erst ab 2018 realistisch: „Es gibt da keine schnelle Lösung.“ Quelle: dpa
Die Linke will die Abschaffung der kalten Progression parlamentarisch in Gang bringen. "Wir werden das Thema im Bundestag auf die Tagesordnung setzen", sagte Parteichef Bernd Riexinger der "Rheinischen Post". Es sei ein Armutszeugnis, dass die große Koalition nicht einmal den Einstieg in eine Gerechtigkeitswende zustande bringe. "Die Abschaffung der kalten Progression ließe sich mit ein wenig Mut aus der Portokasse finanzieren", erklärte Riexinger. Wenn die Mövenpick-Steuer abgeschafft und 500 Steuerprüfer für die gezielte Kontrolle der Vermögens- und Einkommensmillionäre abgestellt würden, wäre das Geld bereits beisammen, so Riexinger. Quelle: dpa

Nicht, dass die Existenz des 190-Mann-Betriebs aus Thale auf dem Spiel stünde. Der Umsatz steigt leicht, immerhin. Doch das Unternehmen leidet unter dem weggebrochenen Geschäft mit Russland, das für zehn Prozent des Umsatzes stand. „Unsere Kunden in Russland haben aus politischen Gründen alle Aufträge auf Eis gelegt“, klagt Reinemuth. Die Lücke sei kaum durch neue Auftraggeber zu schließen. „Wir müssen unsere Investitions- und Beschäftigungspläne für 2015 daher auf den Prüfstand stellen.“ Allenfalls an den Ersatz alter Anlagen sei zu denken. Die Belegschaft will er halten, wenn es geht.

Die Russland-Krise hinterlässt hässliche Bremsspuren in den Bilanzen vieler deutscher Unternehmen – nicht nur bei Thaletec. Der Absturz des Rubel und die panikartigen Zinserhöhungen der Moskauer Zentralbank sind die Symptome einer Wirtschaft, die sich im freien Fall befindet – die aber immer noch drei Prozent der deutschen Exporte aufnimmt. Nächstes Jahr, so schätzen die Volkswirte der Commerzbank, werden sich die deutschen Ausfuhren nach Russland halbieren, nachdem sie schon jetzt um 22 Prozent unter dem Vorjahreswert liegen. Das wird Deutschland 0,3 Prozentpunkte Wachstum kosten, so die Berechnungen der Bank.

Erwartete Maßnahmen der Unternehmen, die vom Mindestlohn betroffen sind.

Russland-Krise, Absturz des Ölpreises, Mini-Zinsen, Achterbahnfahrt an den Börsen, schwacher Euro, drohende Neuwahlen in Griechenland, anziehende US-Konjunktur – es ist ein wildes Gemisch an Einflussgrößen und unerwarteten Ereignissen, das in diesen Tagen Konsumenten, Unternehmer und Börsianer ratlos macht. Hektisch versuchen die Analysten in Banken und Instituten durchzurechnen, wie sich das alles auf die Konjunktur auswirken könnte. Sicher ist nur, dass alles unsicher bleibt. Und in den Betrieben? Dort erweisen sich die Planungen für 2015 in diesen Tagen so wackelig wie Götterspeise.

Keine idealen Voraussetzungen also für einen nachhaltigen Aufschwung. In einer exklusiven Umfrage des Münchner ifo Instituts für die WirtschaftsWoche unter rund 500 Unternehmen aus Industrie, Bau, Einzelhandel und Dienstleistungen zeigt sich die Mehrheit der befragten Manager daher zurückhaltend, was die Geschäftsperspektiven für das nächste Jahr betrifft. Von den Befragten gehen 61 Prozent davon aus, dass die deutsche Wirtschaft 2015 allenfalls langsam wächst, 31 Prozent erwarten, dass sie stagniert, fünf Prozent befürchten gar, dass sie schrumpft.

Wackelige Erholung

Von einem neu erwachten Konjunkturoptimismus, wie er sich in Frühindikatoren andeutet, scheint in den Betrieben noch nicht allzu viel angekommen zu sein. Hoffnungen, Deutschland werde nach dem (vermeintlichen) Ende der Euro-Krise als Zugpferd der europäischen Konjunktur fungieren und den alten Kontinent quasi im Alleingang aus dem Krisenmorast schleppen, drohen sich als allzu forscher Wunschtraum zu entpuppen. Immer größer wird daher der Druck auf die Währungshüter der Europäischen Zentralbank (EZB), die Geldschleusen noch weiter zu öffnen, um der Wirtschaft unter die Arme zu greifen.

Was hat die EU den Bürgern gebracht?
ReisefreiheitIn Europa verreisen, ohne an der Grenze den Pass vorzeigen zu müssen - das können mehr als 400 Millionen EU-Bürger. Basis dafür ist das Schengener Abkommen von 1985, dem inzwischen 26 Staaten - darunter Deutschland - angehören. Diese Länder kontrollieren Reisende an den Grenzen untereinander nur per Stichprobe oder bei Großereignissen. Zum Schengen-Raum gehören neben 22 EU-Ländern auch Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein. Die Landgrenzen des Areals sind mehr als 7700 Kilometer lang. Quelle: dpa
Glühlampen-VerbotEin von EU-Kritikern gern vorgebrachtes Argument ist das Verbot der geliebten Glühlampe. Doch stammt das Verbot nicht aus Brüssel, sondern nahm unter dem damaligen Umweltminister Sigmar Gabriel im Jahr 2007 Gestalt an. Die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel wollte sich als Vorreiter in Sachen Klimaschutz präsentieren und brachte die Idee beim EU-Gipfel ein, der es abnickte. Später winkte auch das Parlament den Vorstoß durch - die Kommission war dabei also vor allem ausführendes Organ, und keiner der Mitgliedsstaaten erhob Einspruch. Quelle: dpa
BankenkontrolleNie mehr sollen Banken mit riskanten Geschäften Europa an den Rande des Abgrunds bringen - so lautet die Lehre aus der Krise. Dafür sollen bessere Kontrollen sorgen. Von November 2014 an wird es eine zentrale Bankenaufsicht („Single Supervisory Mechanism“/SSM) unter dem Dach der Europäischen Zentralbank (EZB) geben, die die 130 größten und wichtigsten Banken im Euroraum direkt überwacht. Von 2016 an greifen gemeinsame Regeln zur Sanierung und - im Notfall - Schließung von Banken („Single Resolution Mechanism“/SRM). Dies schützt die Sparer, weil im Fall der Schieflage einer Bank zunächst deren Aktionäre herangezogen werden. Die EU hat auch die Bonus-Zahlungen für Banker begrenzt. Quelle: dpa
Karamellbonbon-VerordnungDiese Verordnung ist eine Legende, allerdings eine besonders hartnäckige. Immer wieder wird dieses angebliche Zitat, in leicht abgewandelter Form, hervorgezaubert - etwa in einer Ausgabe des "Spiegel" von 1974:"Das Vaterunser hat 56 Wörter, die Zehn Gebote haben 297 und die amerikanische Unabhängigkeitserklärung 300. Aber eine Verordnung der EWG-Kommission über den Import von Karamellen und Karamellprodukten zieht sich über 26.911 Wörter hin." Der Ausspruch wird Alwin Münchmeyer, dem damaligen Präsidenten des Bundesverbands deutscher Banken, zugeschrieben. Eine solche Karamell-Verordnung hat es jedoch nie gegeben. Das tut der Popularität des Ausspruchs aber keinen Abbruch, der immer wieder gern als Argument für das bürokratische Monstrum EU angeführt wird. Quelle: Fotolia
RoamingSeit Jahren macht die EU-Kommission Telekom-Anbietern Druck, die Preise beim Handy-Telefonieren im EU-Ausland zu senken. Seit 2007 sind diese Gebühren für Telefonate, SMS und mobiles Internet-Surfen laut EU-Kommission um mehr als 80 Prozent gesunken. Vom 1. Juli an dürfen abgehende Telefonate nicht mehr als 19 Cent pro Minute kosten - heute sind es 24 Cent (jeweils plus Mehrwertsteuer). Brüssel will Roaming-Gebühren in zwei bis drei Jahren vollständig abschaffen. Quelle: dpa
EurokriseDie Überwindung der Euro-Schuldenkrise gilt als große Gemeinschaftsleistung Europas. Seit 2010 haben die Euro-Staaten milliardenschwere Rettungsschirme (EFSF und ESM) gegründet, um Krisenstaaten finanziell unter die Arme zu greifen. Fünf Länder - neben Griechenland auch Irland, Portugal, Spanien und Zypern - erhielten Hilfspakete. Inzwischen hat sich die Lage gebessert. Die Anleger kaufen wieder Papiere der Krisenländer, weil sie wissen, dass die Europartner, allen voran Deutschland, hinter dem Euro stehen. Doch bei der Bewältigung der sozialen Folgen der Krise tut sich die EU schwer. Die Arbeitslosigkeit in Südeuropa ist hoch, fast jeder vierte ist in Spanien und Griechenland ohne Job. Bei Protesten machen enttäuschte Bürger die Sparpolitik der EU dafür verantwortlich. Quelle: dpa
ÖlkännchenBrüsseler Bürokraten werden regelmäßig beschuldigt, mit Verwaltungsschikanen das Leben der Bürger zu stören. Eine Niederlage erlitt die EU-Kommission im vergangenen Jahr mit Plänen, offene Ölkännchen in Restaurants zu verbieten. Auf den Tischen sollten nur noch Einweg-Ölflaschen stehen, damit Gäste an der Flasche das Öl erkennen konnten. Brüssel erntete Hohn und Spott und begrub die Pläne. Quelle: dpa

Doch Geld allein kann kein Wachstum herbeizaubern. „Was Deutschland und der Euro-Zone fehlt, sind Investitionen der Unternehmen“, sagt Elga Bartsch, Euro-Land-Chefökonomin der US-Bank Morgan Stanley. „Ohne Investitionen gibt es kein nachhaltiges Wachstum“, so Bartsch. Eine schnelle Belebung der Investitionen, so wünschenswert sie auch sein mag, ist allerdings nicht in Sicht. In den Krisenländern Europas bremsen hohe Schulden die Investitionsbereitschaft der Unternehmen. Und in Deutschland vermiest ihnen die wachstumsfeindliche Politik der großen Koalition die Lust am Investieren. So bleibt die Erholung wackelig – und das Rückfallrisiko hoch.

Der Mangel an Investitionen hat auch dazu geführt, dass die deutsche Konjunktur nach einem fulminanten Start im Frühjahr inzwischen auf die Kriechspur gewechselt ist. Nicht nur der Konflikt zwischen Russland und dem Westen sowie die Unruhen im Nahen Osten haben die Investitionsbereitschaft ausgebremst. Auch die abebbende Nachfrage aus den einst boomenden Schwellenländern in Asien und Lateinamerika hat sie dazu veranlasst, ihre Investitionspläne wieder in den Schubladen verschwinden zu lassen.

Das billige Öl und der schwache Euro.

Denn die großen BRICS-Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika stehen für rund zwölf Prozent der deutschen Warenexporte. Im dritten Quartal strichen die Unternehmen unter dem Eindruck der schlappen Nachfrage aus diesen Ländern ihre Ausgaben für neue Maschinen und Anlagen um 2,3 Prozent zusammen. Dass die deutsche Wirtschaft nicht in die Rezession schlitterte, hat sie allein der ungebrochenen Kauflust der Bürger zu verdanken.

Boom Boom Konsum

Die meisten Analysten setzen daher weiter auf den deutschen Konsumenten als Stützpfeiler der Konjunktur. Doch können die Verbraucher die Wirtschaft alleine über Wasser halten, bis die Investitionen endlich anspringen? Noch läuft der Arbeitsmarkt gut, die Unternehmen stellen weiter Personal ein, wenn auch nicht mehr ganz so großzügig wie zuletzt. Dahinter dürfte auch die Sorge stehen, dass Arbeitskräfte wegen der demografischen Zeitenwende bald zur Mangelware werden. Wer sich jetzt nicht ausreichend Stammpersonal sichert, guckt in einigen Jahren in die Röhre.

Wer vom schwachen Euro profitiert - und wer nicht
Verlierer: AutofahrerBeim Tanken könnte der schwächere Euro zu höheren Preisen führen. Denn Rohöl und Benzin werden international in Dollar gehandelt. Je weniger der Euro zum Dollar wert ist, umso mehr kostet im Gegenzug ja der Dollar - und damit jede Ware, die in US-Währung bezahlt werden muss. Zu einem richtig ernsten Problem an den Zapfsäulen würde dies aber erst, wenn parallel das Rohöl auf den internationalen Märkten drastisch teurer wird. Das ist im Moment aber eher nicht zu erwarten: Die Rohölpreise sind aktuell eher rückläufig. Quelle: dpa
Verlierer: TouristenEuropäer konnten sich in den USA lange wie Krösus fühlen, als der Euro richtig viel wert war. Wie sich der aktuelle Trend in ihrer Reisekasse bemerkbar macht, zeigt ein Rechenbeispiel: Für ein Frühstück, das in New York gleichbleibend 4,79 Dollar kostet, mussten Touristen aus der Eurozone zur Euro-Spitzenzeit 2006 umgerechnet nur rund 3 Euro umtauschen, im Mai 2014 dagegen schon 3,45 und mittlerweile sogar etwa 3,75 Euro. Auch für Englandreisende gibt es dieses Problem. Währungseffekte sind allerdings für all die Urlauber kein Thema, die ihre Ferien in der Heimat oder den inzwischen 17 Partnerländern der Eurozone verbringen. Quelle: dpa
Gewinner: ExportFür die Exportwirtschaft kann die Schwächung des Euro wie ein kleines Konjunkturprogramm wirken. Je weniger ein Euro im fremder Währung kostet, umso billiger können ausländische Kunden in der Eurozone einkaufen. Das kurbelt die Nachfrage nach europäischen Produkten an. Quelle: AP
Gewinner: FrankreichDie Nummer zwei der Eurozone steckt in der schweren Wirtschaftskrise - und appelliert seit Jahren an die EZB: Schwächt den Euro. Um das Problem der Franzosen zu verstehen, ist ein Rückblick in die Währungsgeschichte nötig. Als es den Euro noch nicht gab, war die D-Mark die „teuerste“ aller Währungen in Europa. Im Gegenzug verloren fast alle anderen zum Teil kräftig an Wert, zum Beispiel eben auch der französische Franc. Das sorgte über Jahre dafür, dass französische Unternehmen trotz steigender Kosten im Ausland relativ billig anbieten konnten - weil „ihr“ Geld eben immer weniger wert wurde. Dieser Effekt ist mit der gemeinsamen Währung seit 1999 passé. Dauerhaft kann Frankreich das Problem aber nur lösen, wenn die Wirtschaft wettbewerbsfähiger wird - oder wie es manche Ökonomen ausdrücken, ihre „Reformverweigerung“ aufgibt. Quelle: dapd
Firmenlogos Apple, SAp, Siemens, Exxon Quelle: dpa

So wollen 17 Prozent der vom ifo Institut befragten Unternehmen im nächsten Jahr zusätzliche Mitarbeiter einstellen, zwei Prozentpunkte mehr als Entlassungen planen. Überdurchschnittlich fällt die Einstellungsbereitschaft im Dienstleistungssektor aus, wo jeder fünfte Betrieb plant, seinen Personalbestand aufzustocken. In der Bauindustrie dagegen denken nicht einmal halb so viele Unternehmer daran, neue Mitarbeiter anzuheuern. Und: Wer einstellt, setzt vor allem auf Stammpersonal (87 Prozent).

Freude dürfte im nächsten Jahr bei den meisten Arbeitnehmern auch beim Blick auf den Gehaltszettel aufkommen. Die Ökonomen der Deutschen Bank rechnen für das nächste Jahr mit einem Anstieg der Tariflöhne von rund zwei Prozent. Das ist zwar etwas weniger als in diesem Jahr (über drei Prozent). Doch der Zuwachs liegt deutlich über der Teuerungsrate, die sich derzeit auf 0,6 Prozent beläuft. In den nächsten Monaten dürfte die Inflationsrate weiter sinken. Der Grund ist die steile Talfahrt der Ölpreise.

Billig, Billiger, Öl

Seit dem Sommer ist der Preis für ein Fass Öl der Sorte Brent von mehr als 115 Dollar (85 Euro) auf rund 60 Dollar (unter 50 Euro) gefallen. Hinter der Baisse am Ölmarkt stecken die schwächelnde globale Nachfrage sowie das deutlich höhere Angebot in Amerika. Dank der Fracking-Technologie holen die USA derzeit mehr als zwölf Millionen Fass Öl pro Tag aus der Erde, so viel wie kein anderes Land der Welt. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Saudis und andere Mitglieder des Opec-Kartells der Welt durch geschicktes Drehen an der Förderschraube hohe Preise diktieren konnten. Jetzt kämpfen die Scheichs gegen die USA um Marktanteile.

Wie der deutsche Haushaltsüberschuss zustande kam

Indem sie den Weltmarkt fluten, versuchen die Saudis, den Preis für das schwarze Gold unter die Förderkosten der amerikanischen Fracking-Industrie zu drücken. Diese liegen je nach Region zwischen 40 und 80 Dollar je Fass. Ob das Kalkül, die US-Produzenten so vom Markt zu drängen, aufgeht, ist fraglich. Fahren die US-Unternehmen unter dem Eindruck der sinkenden Preise die Förderung zurück, dürfte der Ölpreis zwar wieder nach oben gehen. Dann würde es aber wohl nicht allzu lange dauern, bis sich Fracking wieder lohnt – und der Preis wieder sinkt. Daher könnten die Ölpreise in den nächsten Jahren wie an einem Jo-Jo auf und ab tanzen. Im Durchschnitt dürften sie jedoch niedriger liegen als in den vergangenen zehn Jahren.

Für Ölförderländer wie Venezuela, Russland, Nigeria, Irak und Iran ist das eine schlechte Nachricht. Denn sie benötigen Ölpreise von weit mehr als 80 Dollar, um ihre üppig bemessenen Sozialprogramme zu finanzieren, mit denen sie ihre Bevölkerung ruhig- und das Überleben ihrer Regime sicherstellen. So benötigt die Regierung in Venezuela einen Ölpreis von 118 Dollar, um ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Die Finanzmärkte taxieren die Wahrscheinlichkeit eines Staatsbankrotts Venezuelas daher auf 94 Prozent.

Wie Rubel- und Ölkrise auf Dax-Unternehmen wirken
HeidelbergCementDer Baustoffkonzern ist einer der Profiteure der Turbulenzen am Energiemarkt. Denn normalerweise sind die Ausgaben für Energie mit rund 1,6 Milliarden Euro einer der größten Kostentreiber des Dax-Konzerns, fast ein Drittel davon geht für Öl drauf. Die Analysten der Privatbank M.M. Warburg schätzen die Einsparungen der Heidelberger dank des niedrigen Ölpreises auf rund 100 Millionen Euro. Das könnte auch den Kurs befeuern, die Analysten bewerten die Aktie als Kauf mit einem Preisziel von 70 Euro (aktuell 57,50 Euro, Stand 18.12.2014). Quelle: Presse
AdidasDer Sportartikelhersteller ist einer der Hauptleidtragenden der Russland-Krise. Schon im Sommer kurz nach der Fußball-WM musste der Konzern seine Gewinnprognose kassieren – gegen die Verluste aus dem Russland-Geschäft kommt nicht mal der Verkauf des Vier-Sterne-Trikots an. Schon jetzt hat der Konzern angekündigt, im kommenden Jahr weniger neue Geschäfte in Russland zu eröffnen als ursprünglich geplant. Quelle: dpa
HenkelZwar bekommet auch Henkel die Krise in Russland zu spüren. Rund sieben Prozent der Verkäufe sind dort zu verorten. Allerdings werden diese negativen Effekte laut den Warburg-Analysten wohl kompensiert. Zum einen durch positive Effekte beim starken Dollar, zum anderen weil auch Henkel vom niedrigen Ölpreis profitiert. Immerhin rund 20 Millionen Euro könne der Konzern durch einen Rubel-Fall von zehn Prozent einsparen, so die Schätzungen der Analysten. Das beziehe sich vor allem auf die Produktion in der Waschmittelsparte. Quelle: dpa
E.OnDas Geschäft des Konzerns in Russland leidet unter dem fallenden Rubel. Während die Warburg-Analysten zunächst mit einem Zuwachs der Sparte gerechnet hatten, wurde dieser jetzt nach unten korrigiert. Der niedrige Ölpreis bringt dem Konzern geringe Einsparungen, der Großteil des Geschäfts ist vom Gaspreis abhängig. Quelle: dapd
RWEBeim Konkurrent RWE drängt vor allem der Verkauf der Öl- und Gastochter Dea. Eigentlich sollte das Unternehmen an den russischen Oligarchen Mikhail Fridman und dessen Investmentfirma LetterOne verkauft werden. Angesichts des stark sinkenden Ölpreises wird die Zeit allerdings knapp. RWE ist in Sorge, dass der Oligarch den Verkaufspreis von rund 5,1 Milliarden Euro noch drücken könnte.   Quelle: dpa
Deutsche PostDer niedrige Ölpreis bringt der Deutschen Post leichte Vorteile. Kostenvorteile in der Expresszustellung und bei Nachsendeaufträgen werden an die Kunden weitergegeben, in Verwaltung und Service sinken die Betriebskosten leicht. Der Absturz des Rubel hat keinen wesentlichen Einfluss auf das Unternehmen. Quelle: REUTERS
DaimlerZwar rechnen die Analysten der Privatbank M.M. Warburg mit einer um ein Viertel niedrigeren Nachfrage nach Lastkraftwagen in Russland. Auf Daimler hat das jedoch nur geringen Einfluss, laut M.M.Warburg läge er gemessen am gesamten Lkw-Absatz von Daimler unter einem Prozent. Andererseits hält Daimler eine 15-Prozent-Beteiligung am russischen Lkw-Hersteller Kamaz. Dort könnten die Einnahmen deutlich sinken. Ansonsten hat der russische Markt nur begrenzten Einfluss auf die Geschäfte. Es ist zu erwarten, dass Daimler die Preise für in Russland verkaufte Fahrzeuge erhöht, um den gefallenen Wechselkurs auszugleichen. Die Nachfrage – insbesondere nach der hochpreisigen S-Klasse – ist sehr stabil, so dass Preiserhöhungen keinen großen Einfluss haben sollten. Daimler selbst erläutert die Auswirkungen des Rubel-Verfalls nicht. Vielmehr deutete der Konzern an, dass er im kommenden Jahr Rückenwind von der Währungsseite für die USA und Kanada erwartet, während Rubel, brasilianischer Real und japanischer Yen den positiven Effekt wieder abschwächen. Quelle: dpa

Auch für die Gläubiger Russlands steigt das Risiko, Geld zu verlieren. Zwar verfügt das Land mit knapp 400 Milliarden Dollar Fremdwährungsreserven über die viertgrößten Devisenbestände der Welt. Doch die könnten rasch aufgebraucht sein, wenn die Zentralbank weiter versucht, den Rubel zu stützen. Die Bankrottwahrscheinlichkeit für das Land liege daher bei 26 Prozent, heißt es an den Märkten. Kein Wunder, dass sich die Börsen der Ölförderländer auf Talfahrt befinden.

Der Westen gewinnt

Für Deutschland und die Weltwirtschaft insgesamt aber ist das billige Öl ein Gewinn. Denn deren wichtigste Wachstumszentren sind allesamt Ölimporteure. Holger Schmieding, Chefökonom der Berenberg Bank, betrachtet das billige Öl daher als „ein gewaltiges, nicht inflationäres Konjunkturprogramm für den Westen, das von den Ölförderstaaten bezahlt wird“. Dass die fehlenden Öleinnahmen dort zu sozialen Unruhen führen und auf diese Weise negativ auf die Weltwirtschaft zurückschlagen könnten, fürchtet Schmieding nicht. „Das billige Öl stärkt Europa, die USA, Japan, China und Indien, und es schwächt Russland, Iran, Saudi-Arabien und Venezuela. Dadurch macht es die Welt langfristig zu einem sichereren Ort“, so Schmieding. Und die deutsche Exportwirtschaft? Für die sind die Märkte in Europa und den USA viel wichtiger als die im Nahen Osten.

Welchen Staaten der niedrige Ölpreis besonders schadet
Erdölförderung Quelle: dpa
Ölförderung in Saudi-Arabien Quelle: REUTERS
Ölförderung in Russland Quelle: REUTERS
Oman Ölpreis Quelle: Richard Bartz - eigenes Werk. Lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 über Wikimedia Commons
Öl-Leitung im Niger-Delta Quelle: dpa
Ölförderpumpe in Bahrain Quelle: AP
Venezuela Ölförderung Quelle: REUTERS

Bleibt der Ölpreis auf seinem aktuellen Niveau, mindert dies die Importrechnung Deutschlands um rund 30 Milliarden Euro, hat Andreas Rees, Ökonom der italienischen Bank UniCredit, ausgerechnet. Das entspricht einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Weil die Preise für Fernwärme und Gas verzögert auf den Ölpreis reagieren, zeichnen sich für die nächsten Monate weitere Entlastungen für die Bundesbürger ab.

Dazu kommt, dass Energie bei der Gewinnung von Agrarprodukten und Metallen eine große Rolle spielt, rund die Hälfte der Kosten entfällt auf sie. So drückt das billige Öl auch die Preise dieser Produkte nach unten. Zweitrundeneffekt heißt das im Ökonomenjargon. Der Bloomberg Commodity Index, der die Preise von 22 Rohstoffen misst, ist seit Jahresbeginn um insgesamt elf Prozent gesunken. Baumwolle hat sich seither um rund 30 Prozent verbilligt, Eisenerz um die Hälfte.

Jobkiller Mindestlohn

Anfang nächsten Jahres könnte daher die Teuerungsrate für die Lebenshaltung unter die Marke von null Prozent fallen. Für die Konsumenten wäre das ein willkommener Gewinn an Kaufkraft. Berechnungen der Konsumforscher der Nürnberger GfK zeigen, dass die Bundesbürger im nächsten Jahr im Schnitt über eine Kaufkraft von 21 449 Euro pro Kopf verfügen werden – 572 Euro mehr als in diesem Jahr. Die Volkswirte der Deutschen Bank rechnen daher damit, dass der Konsum auch 2015 mit einem realen Plus von 1,5 Prozent die Konjunktur stützen wird.

Der Schub könnte noch größer sein, gäbe es da nicht den Mindestlohn, der ab Anfang nächsten Jahres branchenübergreifend gilt. Zwar werden die Politiker in Berlin nicht müde, den Mindestlohn als Quell zusätzlicher Kaufkraft zu preisen. Das aber wäre nur der Fall, wenn sämtliche Begünstigten ihre Jobs behielten – eine ziemlich unrealistische Annahme. In einer aktuellen Umfrage des ifo Instituts unter 6300 Unternehmen gab jedes fünfte Unternehmen an, es werde mit Entlassungen auf den Mindestlohn reagieren.

In einer aktuellen Studie haben die Ökonomen Ronnie Schöb von der Freien Universität Berlin und Andreas Knabe von der Universität Magdeburg ausgerechnet, dass dem Mindestlohn 250.000 bis 570.000 Jobs zum Opfer fallen werden. Vor allem die gering Qualifizierten, deren Produktivität unter 8,50 Euro je Stunde liegt, dürften dann wieder bei den Arbeitsagenturen auf der Matte stehen.

Was der deutschen Wirtschaft Mut und Angst macht
Konsum Quelle: dpa
Investitionen Quelle: dpa
Angstmacher: EurokriseSie hat sich dank dem Einschreiten der Europäischen Zentralbank (EZB) merklich beruhigt. Seit ihr Chef Mario Draghi Ende 2012 den unbegrenzten Kauf von Staatsanleihen kriselnder Euro-Länder angekündigt hat, hat nach Ansicht der Finanzmärkte die Gefahr einer Staatspleite in Spanien und Italien deutlich abgenommen. Doch die Ruhe könnte sich als trügerisch erweisen. So reagieren die Börsianer zunehmend nervös auf die Umfrageerfolge von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der bei der Parlamentswahl kommende Woche in Italien wieder kandidiert. Berlusconi will viele Reformen seines Nachfolgers Mario Monti wieder zurücknehmen und beispielsweise die Immobiliensteuer wieder abschaffen. Quelle: REUTERS
Angstmacher: Euro-StärkeDie Gemeinschaftswährung steht unter Aufwertungsdruck. Seitdem die japanische Notenbank ihre Geldschleusen geöffnet hat, ist der Euro um 20 Prozent im Verglich zum Yen gestiegen. Dort sitzen einige der größten Konkurrenten der deutschen Exporteure, darunter Autokonzerne wie Toyota und viele Maschinenbauer. Sie können ihre Produkte dank der Yen-Abwertung billiger anbieten. Quelle: dpa
Auch im Vergleich zu anderen Währungen ist der Euro teurer geworden. Experten warnen bereits vor einem Abwertungswettlauf. Noch können die deutschen Exporteure mit dem Wechselkurs gut leben. Die größere Sorge ist, dass weniger konkurrenzfähige Euro-Länder wie Frankreich oder Italien darunter leiden. Das würde am Ende auch Deutschland treffen, das fast 40 Prozent seiner Waren in die Währungsunion verkauft. Quelle: dpa

Der wahre Flurschaden durch den Mindestlohn dürfte noch größer sein. Denn die Jobs, die die Firmen wegen des Mindestlohns gar nicht erst schaffen, tauchen in keiner Statistik auf. „Der Beschäftigungsaufbau dürfte von der Mindestlohneinführung im Jahr 2015 gestoppt werden“, resümieren die Ökonomen der Deutschen Bank. Sie rechnen für nächstes Jahr mit einem leichten Anstieg der Arbeitslosenquote von 6,7 auf 6,8 Prozent, 2016 wird sie sogar auf 7,1 Prozent springen.

Der Mindestlohn kostet nicht nur Arbeitsplätze, er gefährdet auch die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen. Nach Berechnungen der Commerzbank treibt er den Anstieg der Arbeitskosten während seiner zweijährigen Einführungsphase auf insgesamt mehr als vier Prozent in die Höhe – weit stärker als die Produktivität steigt (1,3 Prozent). „Das erodiert die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, in wenigen Jahren haben wir unsere Vorteile wieder verspielt“, warnt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank.

Der Euro geht auf Talfahrt

Die Firmen scheinen das zu ahnen. Fast jedes dritte von ifo befragte Unternehmen sieht in überzogenen Lohnsteigerungen ein großes Risiko für die Konjunktur. Noch verschleiert der schwache Euro das Problem. Seit Jahresmitte hat die Gemeinschaftswährung von knapp 1,40 auf 1,23 Dollar abgewertet, ein Minus von zwölf Prozent. In den nächsten Monaten dürfte der Abwärtstrend weitergehen. Denn zum ersten Mal seit 20 Jahren schicken sich Europa und die USA an, in der Geldpolitik getrennte Pfade einzuschlagen.

Ökonomen zu den Staatsanleihenkäufen der EZB

Während Janet Yellen, Chefin der US-Notenbank Fed, baldige Leitzinserhöhungen in Amerika in Aussicht stellt, will EZB-Chef Mario Draghi die Geldschleusen weiter öffnen. Anfang nächsten Jahres könnte die EZB damit beginnen, in großem Stil Staatsanleihen zu kaufen und Zentralbankgeld in den Bankensektor zu spülen. Das wird die Renditen für Euro-Anlagen weiter in den Keller drücken und Investoren vergraulen. Ende nächsten Jahres könnte der Euro dann nur noch 1,15 Dollar wert sein, erwarten die Ökonomen der Commerzbank. Die Experten der US-Bank Goldman Sachs sehen den Euro mittelfristig auf die Parität zum Dollar zusteuern. So wird der Euro mehr und mehr zur Weichwährung.

Schlechtes Geschäft für Deutschland

Auf den ersten Blick scheint das positiv für die Konjunktur zu sein. Denn je schwächer der Euro, desto billiger deutsche Produkte für Käufer aus Drittländern. Im Schnitt der nächsten vier Quartale könnte der Billig-Euro das Wirtschaftswachstum daher um rund einen halben Prozentpunkt ankurbeln, prognostizieren die Ökonomen der Commerzbank. Doch auf mittlere Sicht ist der schwache Euro ein schlechtes Geschäft für Deutschland. Denn er verteuert nicht nur die Einfuhren und den Urlaub im Ausland. Er schmälert auch die Kostendisziplin in den Unternehmen. Carsten Brzeski, Chefökonom der ING-Diba, sieht in dem schwachen Euro und dem billigen Öl daher einen „vergifteten Apfel“ für Deutschland. „Der Konjunkturschub droht die notwendigen Strukturreformen zu verzögern“, warnt Brzeski.

Europa ist nur bedingt wettbewerbsfähig
Ein Mann trägt eine griechische Flagge Quelle: dpa
ItalienAuch Italien büßt zwei Plätze ein und fällt von Rang 44 auf Rang 46. Die Studienleiter kritisieren vor allem das Finanz- und Justizsystem. Die Abgaben seien zu hoch und Verfahren viel zu langwierig und intransparent. Lediglich bei der Produktivität und mit seiner Infrastruktur liegt der Stiefelstaat im Mittelfeld. Ein wenig besser macht es ... Quelle: REUTERS
Ein Mann schwenkt eine portugiesische Flagge Quelle: AP
Stierkampf Quelle: dpa
Eine Frau hält eine Fahne mit einer französischen Flagge in der Hand Quelle: REUTERS
Das Parlamentsgebäude in Wien Quelle: dpa
Finnische Flagge Quelle: dpa

Die Sorge ist begründet. Seit Jahren herrscht in Deutschland Stillstand an der Reformfront. Statt das Land fit zu machen für die Zukunft, rollt die schwarz-rote Regierung systematisch die Reformen aus der Schröder-Ära zurück. Das hat Deutschland – Studien der Weltbank zufolge – im Standortwettbewerb ins Mittelfeld zurückkatapultiert. Berechnungen der Commerzbank auf Basis der Weltbank-Daten zeigen, dass der Abstand Deutschlands zu einem hypothetischen Top-Standort in der EU heute bei 34 Prozent liegt. 2009 lag die Lücke erst bei 26 Prozent. Reformorientierte Länder wie Irland und Portugal sind längst an Deutschland vorbeigezogen. „Geht diese Entwicklung weiter, könnten wir in fünf Jahren dort stehen, wo sich heute Frankreich befindet“, warnt Krämer.

Investitionen? Nein danke!

Die sich verschlechternden Standortbedingungen haben sich wie Mehltau auf die Investitionsbereitschaft der Unternehmen gelegt. In der ifo-Umfrage geben 24 Prozent der Befragten an, 2015 weniger zu investieren als 2014 – ebenso viele, wie mehr investieren wollen. Per saldo heißt das Stagnation bei den Investitionen. Größtes Investitionshemmnis sind den Unternehmen zufolge (51 Prozent aller Nennungen) die schlechten Rahmenbedingungen am Standort Deutschland. Das beschränkt sich nicht auf den Mindestlohn. Überhöhte Energiekosten, geringeres Arbeitskräftepotenzial wegen der Rente mit 63 und zunehmende Regulierungen wie die Frauenquote und Pflegezeitansprüche wirken als Investitionsblocker. „Heute sind neben den Großkonzernen auch die Mittelständler global aufgestellt“, sagt Klaus Bauknecht, Ökonom der Düsseldorfer IKB-Bank. „Wenn deren Energiekosten in Deutschland durch die Decke gehen und drei Mal so hoch sind wie in Amerika, dann investieren die in den USA statt in Deutschland“, erklärt Bauknecht.

Die Gewinner und Verlierer des billigen Öls
Das weltweite Überangebot und die schwächelnde Nachfrage setzen dem Ölpreis immer stärker zu. In den vergangenen sechs Monaten verbilligte sich die Rohöl-Sorte Brent aus der Nordsee um fast die Hälfte. Mit 62,75 Dollar kostet ein Barrel (Fass zu 159 Liter) derzeit so wenig wie zuletzt im Juli 2009. Die US-Sorte WTI ist sogar bereits unter die 60-Dollar-Grenze gefallen. Ein Ende dieser Talfahrt ist der Internationalen Energieagentur zufolge nicht in Sicht. Sie geht davon aus, dass sich das Überangebot in der ersten Jahreshälfte 2015 auf zwei Millionen Barrel täglich vergrößern wird. Gleichzeitig senkten die Experten ihre Prognose für das Nachfragewachstum um 230.000 auf 900.000 Barrel pro Tag. Wegen des Ölpreis-Verfalls schraubten die Förderfirmen zwar ihre Investitionen bereits zurück, fügt die IEA hinzu. Eine baldige deutliche Kürzung der Fördermengen sei dennoch nicht zu erwarten. Nachfolgend finden Sie die Gewinner und Verlierer des niedrigen Ölpreises. Quelle: REUTERS
Zu den Leidtragenden des fallenden Ölpreises zählen die Förderländer, deren Haupteinnahme-Quelle der Export des Rohstoffs ist. Besonders hart trifft es Russland, dessen Wirtschaft zusätzlich unter den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise leidet. Der Moskauer Aktienindex RTS brach aus diesem Grund binnen weniger Monate um rund ein Drittel ein. Gleichzeitig taumelt der Rubel zum Dollar und Euro von Rekordtief zu Rekordtief. Quelle: REUTERS
Das Gleiche wie für Russland und den Rubel gilt für die Währung Nigerias. Obwohl die Notenbank des Landes binnen Jahresfrist etwa 20 Prozent ihrer Devisenreserven für Stützungskäufe aufgewendet hat, fallen die Naira-Kurse. Öl und Erdgas machen nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) fast die kompletten Exporte des Landes aus und 80 Prozent der Staatseinnahmen. Sogar eine Staatspleite ist nicht mehr auszuschließen. Quelle: dpa
Finanzielle Schlagseite hat auch Venezuela, dessen Deviseneinnahmen zu 96 Prozent aus dem Ölexport stammen. Daher werfen Anleger die Staatsanleihen des südamerikanischen Landes in hohem Bogen aus ihren Depots. Dies treibt die Rendite der Papiere mit einer Laufzeit bis 2027 auf 23,4 Prozent - im Sommer lag sie nur halb so hoch. Gleichzeitig stürzt die venezolanische Währung ab. Auf dem Schwarzmarkt müssen für einen Dollar 175 Bolivar gezahlt werden. Der offizielle Kurs liegt dagegen bei 6,30 Bolivar. Quelle: REUTERS
Die Aktienbörsen der Opec-Staaten Saudi-Arabien und Kuwait stehen zwar ebenfalls unter Druck. Da diese beiden Staaten Rohöl aber relativ günstig fördern und immer noch Gewinn machen, halten sich die Kursverluste hier in Grenzen. Außerdem können die Regierungen in Riad und Kuwait City Einnahme-Ausfälle mit ihren dicken Finanzpolstern abfedern, betonen die Experten der DekaBank. Quelle: dpa
Auf Unternehmensseite macht die Talfahrt des Ölpreises vor allem Förderfirmen wie Exxon, BP & Co. zu schaffen. Die im europäischen Branchenindex gelisteten Firmen haben seit Jahresmitte zusammengerechnet etwa 300 Milliarden Dollar an Börsenwert eingebüßt. Das entspricht in etwa der jährlichen Wirtschaftsleistung Dänemarks. Quelle: REUTERS
Bei den russischen Konzernen Gazprom und Rosneft seien sogar die Dividenden für das laufende Jahr in Gefahr, warnt Analyst Pawel Sorokin vom Bankhaus Morgan Stanley. Außerdem müsse für 2015 mit deutlichen Gewinneinbußen gerechnet werden. Quelle: REUTERS

So wie Thaletec. Geschäftsführer Reinemuth folgt seinen Auftraggebern und baut zurzeit eine eigene Produktion in den USA auf. Dabei hat der Spezialkesselhersteller aus dem Harz noch Glück gehabt. Sein Betrieb erfüllt die Kriterien, um als energieintensiv eingestuft zu werden. So profitiert er von den Ausnahmeregeln des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes. „Ohne diese Erleichterung wären unsere Energiekosten um 800.000 Euro pro Jahr in die Höhe geschossen“, sagt Reinemuth. „Dann hätten wir keine andere Wahl gehabt, als 20 Mitarbeiter zu entlassen.“ Andere Unternehmen in Thaletecs Nachbarschaft hatten weniger Glück. Sie werden nicht als energieintensive Betriebe eingestuft und müssen deutlich höhere Stromkosten tragen. „Die leiden jetzt richtig“, sagt Reinemuth.

Noch verschließt die Bundesregierung die Augen vor dem schleichenden Verfall der Standortattraktivität Deutschlands und sonnt sich im Schein sprudelnder Steuereinnahmen. Die Frage ist nur, wie lange das gut geht. „Deutschland kann konjunkturell eine Zeit lang von niedrigen Zinsen und dem schwachen Euro zehren“, sagt Commerzbanker Krämer. Doch spätestens in der nächsten Krise schlagen die Probleme durch. „Dann“, so fürchtet Krämer, „werden wir uns nicht mehr so schnell erholen.“

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