Kurzarbeit Angst vor der Entlassungswelle

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Puffer Kurzarbeit

Den Arbeitsmarkt nennen Volkswirte einen „lagging indicator“, einen nachlaufenden Indikator. Ein Abschwung erreicht mit etwa sechs Monaten Verspätung den Arbeitsmarkt. Während sich also das deutsche Wirtschaftsschiff mit dem Bug schon wieder aus dem Wellental der Konjunktur hebt, hängt es mit dem Heck noch tief durch.

Dass es überhaupt so lange gut gegangen ist, feiert das Ausland schon als „German Wunder“. Deutschland wird zwar zusammen mit Japan die weltweit heftigste Kontraktion des Bruttoinlandsprodukts hinnehmen müssen, es schrumpft bis zum Jahresende voraussichtlich um sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dennoch hält der deutsche Arbeitsmarkt bisher wacker dagegen. Im Juni ging die Arbeitslosenquote sogar um 0,1 Punkte auf 8,1 Prozent im Vergleich zum Vormonat zurück.

Kurzarbeit hat ihre Stoßdämpfer-Funktion erfüllt

Bei genauerem Hinsehen erklärt sich das Wunder schnell. Den leichten Rückgang im vergangenen Monat verursachten saisonale Gründe und statistische Tricksereien. Wichtiger aber sind die Sicherungen im System: Nach Ausbruch der Krise arbeiteten die Unternehmen erst ihre Aufträge und dann die Überstunden ab. Als Nächstes verhängten sie einen Einstellungsstopp und schickten Leiharbeiter, Minijobber und befristetet Beschäftigte nach Hause. Als das noch immer nicht reichte, flüchteten die Unternehmen in die staatlich subventionierte Kurzarbeit.

Dieses fast vergessene Instrument aus den Siebzigerjahren hat die Bundesregierung eilig ausgebaut zu einer arbeitsmarktpolitischen Allzweckwaffe. Zuletzt verlängerten Scholz und seine Regierungsfreunde die Kurzarbeit werbewirksam auf 24 Monate und erließen den Unternehmern ab dem sechsten Monat sogar die Sozialabgaben komplett.

Die Kurzarbeit, da ist sich die Fachwelt einig, hat ihre Stoßdämpfer-Funktion erfüllt. Die Commerzbank schätzt, dass ohne subventionierte Arbeitszeitverkürzung schon 300.000 Vollzeitposten verschwunden wären. Kurzarbeit bietet einen dreifachen Nutzen: Arbeitgeber sparen Personalkosten und müssen in besseren Zeiten nicht teuer rekrutieren. Den Staat kommt sie billiger als Arbeitslosigkeit. Vor allem behalten Hunderttausende Arbeitnehmer ihren Job.

Nach der Urlaubszeit stehen den Unternehmen harte Entscheidungen bevor

Frieder Roll ist so ein Beispiel. Der 53-Jährige arbeitet als Schichtführer beim Auto- und Maschinenbauzulieferer Barth im oberschwäbischen Binzwangen. Er ist hier schon in die Lehre gegangen, hat 38 Berufsjahre auf dem Buckel und würde gern bis zur Rente bleiben. Roll kann sich noch glücklich schätzen: Er arbeitet nur zehn Prozent weniger, hat darum geringe Gehaltseinbußen. Kurzarbeit sei das „richtige Mittel in der Krise“, sagt er. „So werden viele Arbeitsplätze gerettet.“

Doch trotz der Kurzarbeit musste sein Chef Wolfgang Barth 10 der 150 Kollegen – die zuletzt eingestellten – betriebsbedingt kündigen. Die Belegschaft hat die Arbeitszeit im Schnitt um die Hälfte reduziert, im Herbst wird die Kurzarbeit wohl verlängert und ausgeweitet. Barth versucht alles, um die Kosten zu senken. Der Unternehmer will zu denen gehören, die mit genügend Kapital überleben, um im Aufschwung wieder zu wachsen.

Warum also nicht einfach weitermachen mit der Kurzarbeit wie Unternehmer Barth? Warum nicht Unterschlupf suchen im staatlichen Schutzraum, bis das Gewitter vorübergezogen ist? Das wird in vielen Unternehmen nicht funktionieren, befürchten Experten wie der Commerzbank-Volkswirt Eckart Tuchtfeld. Der Punkt sei nun erreicht, an dem die „Kurzarbeit mehr und mehr ihre Pufferwirkung“ verliert. Die Kosten der Unternehmen seien immer noch zu hoch. Wenn die Urlaubszeit vorbei und die Krise immer noch da ist, stünden Unternehmern harte Entscheidungen und Arbeitnehmern schwere Tage bevor.

Auch der Gewerkschafter Oliver Burkhard glaubt, dass viele Firmen nur noch die Sommerpause abwarten, bis sie Kündigungen hinausschicken. Der Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen befürchtet, dass dann Stammbelegschaften zusammengestrichen werden. Von seinen Betriebsräten vor Ort weiß er, dass „ein Drittel der 5000 Unternehmen im Tarifbezirk betriebsbedingte Kündigungen plant“.

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