Dass Deflation meist sogar mit Prosperität einhergeht, zeigt das Beispiel der USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Damals herrschte in Amerika der Goldstandard, und es gab große Produktivitätsschübe. Die Ausbeutung der Goldminen konnte mit der realwirtschaftlichen Expansion nicht mithalten. Das ließ die Güterpreise von 1865 bis 1896 um rund 27 Prozent sinken, ein Minus von rund einem Prozent pro Jahr. Dennoch wuchs die Wirtschaft in dieser Zeit um über vier Prozent jährlich.
Positive Erfahrungen mit der Deflation machte auch Japan. Die Ende der Neunzigerjahre einsetzende Deflation hat Japan gerade keine verlorene Dekade beschert, vielmehr wuchs die Wirtschaft ähnlich kräftig wie die in Amerika und Europa. Auch die These, die Japaner hätten sich wegen der sinkenden Preise mit Güterkäufen zurückgehalten, ist ein Märchen. Tatsächlich ging die Sparquote der Japaner von zehn Prozent Ende der Neunzigerjahre auf aktuell 1,4 Prozent zurück. Shoppen statt Sparen ist angesagt.
Entscheidend ist, dass die Deflation in Japan mit 0,5 Prozent pro Jahr recht moderat ausfiel. Dadurch konnten die Löhne nach unten folgen, die Gewinnmargen der Unternehmen nahmen zu. Der deutsche Ökonom Arthur Salz erkannte schon 1932, dass bei der Deflation, wie bei so vielem im Leben, die Dosis das Gift macht. In einem Aufsatz für „Der deutsche Volkswirt“, der Vorgängerzeitschrift der WirtschaftsWoche, schrieb Salz: „Es ist aber das rasche und plötzliche starke Sinken und Steigen der Preise, nicht etwa das Sinken der Preise an sich, was die Störung der ganzen Wirtschaft bedingt.“
Wie groß ist das Deflationsrisiko derzeit?
Die Deflationswarner verweisen darauf, dass die Teuerungsrate in der Euro-Zone aktuell mit 0,7 Prozent gefährlich nahe an der Null-Prozent-Marke liegt. In Ländern wie Griechenland, Spanien und Portugal sinken die Preise bereits. Die Deflation drohe daher auf die gesamte Euro-Zone auszugreifen. Zumal die Kreditvergabe an Private seit geraumer Zeit schrumpft. Was die Kritiker jedoch übersehen: Die Deflation in den Krisenländern ist Teil der erforderlichen Bereinigung nach den inflationären Übertreibungen vor der Krise. Ohne sinkende Löhne und Preise können Griechenland und Co. nicht wettbewerbsfähig werden. Denn in der Währungsunion steht ihnen das Mittel der Abwertung ihrer Währung nicht mehr zur Verfügung.
In den meisten Euro-Krisenländern waren die Löhne erstaunlich flexibel. So gelang es Spanien, die Lohnstückkosten seit 2009 um rund sieben Prozent zu senken, in Irland gingen sie um neun Prozent, in Griechenland um 15 Prozent zurück. Die Unternehmen dort verfügen daher noch über viel Spielraum, die Preise zu senken.