Für Reinhold Würth ist das mit dem Ölpreis in diesen Tagen eine klare Sache. Der schwäbische Unternehmer hat sich die Auswirkungen des Niedrigpreises für den Rohstoff auf sein Schraubenimperium genau angeschaut. Würth hat weltweit 30.000 Autos im Einsatz. Rechnet man die Ersparnisse beim Tanken durch den niedrigen Ölpreis hoch, kommt dabei ein netter zweistelliger Millionenbetrag raus. „Um diese Summe haben wir unsere Ergebnisprognose jetzt erst einmal nach oben angepasst“, sagt Würth.
Der Ölpreis als Gewinntreiber für die deutsche Wirtschaft? Was bei Würth funktioniert, schlägt sich nicht bei allen Unternehmen – je nach Branche – so eindeutig nieder.
Einzelhandel
Autofahrer zieht es an die Tankstellen: Die Kraftstoffverkäufe seien „angesichts der niedrigen Preise in den vergangenen Monaten gestiegen“, konstatiert eine Sprecherin von Shell Deutschland. Hoffnungen der Tankstellenbetreiber, dass Autofahrer angesichts der Spritersparnis mehr Kaffee oder Snacks in den angeschlossenen Shops ordern, hätten sich bisher aber nicht erfüllt, heißt es in der Branche.
Dabei gilt der Handel als einer der großen Profiteure der Entwicklung. So taxiert der Handelsverband (HDE) „das Entlastungsvolumen der Privathaushalte“ durch niedrigere Öl- und Energiepreise 2015 auf mehr als zwölf Milliarden Euro. „Das kam mit Sicherheit beim Konsum an“, sagt ein HDE-Sprecher. Wie viel tatsächlich in die Kassen der deutschen Einzelhändler floss, lasse sich aber nicht genau beziffern.
Was Sie über den Ölpreis wissen müssen
Da Öl ursprünglich in Fässern abgefüllt wurde - Barrel im Englischen -, wird diese Maßeinheit in der Branche bis heute verwendet. Ein Barrel sind 159 Liter.
Die steile Talfahrt begann Mitte 2014, bis Anfang 2016 hatte sich der Preis mehr als gedrittelt. Seitdem hat sich der preis wieder erholt, bleibt aber weiter weit hinter früheren Niveaus zurück. Hintergrund ist ein knallharter Wettbewerb zwischen den klassischen Ölförderern wie Saudi-Arabien und neuen Konkurrenten, die Rohöl mit der aufwendigen Fracking-Methode aus Schiefergestein lösen, allen voran in den USA.
Rohöl ist nicht gleich Rohöl. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Sorten – je nach Region. Alleine der Finanzinformationsdienst Bloomberg listet mehr als 100 Stück auf, wovon allerdings nur wenige große Bedeutung haben. Als Richtwert am Finanzmarkt gilt das US-Rohöl West Texas Intermediate (WTI). Eine weitere wichtige Sorte ist das Nordsee-Öl Brent.
Bei den Ölsorten gibt es gravierende Unterschiede bei der Qualität, was auch zu merklichen Preisunterschieden führt. So kann etwa die Sorte North Dakota Sour in der Raffinerie nur schwer verarbeitet werden, weil sie stark schwefelhaltig ist. Das schlägt sich auch im Preis nieder.
Für US-Öl und Brent-Öl werden die Preise über das Spiel von Angebot und Nachfrage gebildet. Aber auch diese Sorten können eine Vielzahl von unterschiedlichen Preisen haben, was daran liegt, dass sie in sogenannten Future-Kontrakten gehandelt werden. Der Käufer erwirbt dabei Rohöl mit unterschiedlichen Lieferdaten. Der am meisten gehandelte und damit für die Anleger wichtigste Future-Kontrakt läuft über einen Monat.
Auch die Ölsorten des Ölkartells Opec (Organisation erdölexportierender Länder) sind für die Weltwirtschaft von hoher Bedeutung. Von der Opec-Zentrale in Wien wird einmal täglich der sogenannte Opec-Korbpreis ermittelt. Hierfür melden alle Mitgliedstaaten des Ölkartells ihre jeweiligen Ölpreise, dann wird der sogenannte Korbpreis aller 13 Opec-Sorten errechnet. Dieser Durchschnittspreis wird allerdings immer mit einem Tag Verzögerung veröffentlicht und spiegelt daher nicht die neueste Entwicklung wider.
Für international tätige Handelsriesen wie die Düsseldorfer Metro-Gruppe ist die Lage nicht so eindeutig. Einerseits profitiert der Konzern mit Töchtern wie der Elektronikkette Saturn und den SB-Warenhäusern von Real von steigenden Konsumausgaben. Andererseits ist Russland ein wichtiger Auslandsmarkt für Metro. Mit dem Ölpreis verlor dort jedoch auch die Landeswährung Rubel dramatisch an Wert, was wiederum auf die Umsätze des Händlers durchschlägt.
Automobil
Die deutschen Hersteller frohlocken angesichts der niedrigen Benzinpreise – zumindest auf den ersten Blick. Denn Modelle mit größeren Motoren und größerem Verbrauch sind jetzt wieder attraktiver. Zwar erfreuten sich sportliche Geländewagen, kurz SUVs, auch zu Zeiten hoher Spritpreise in den vergangenen drei Jahren großer Beliebtheit. Aber nun entscheiden sich auch preissensiblere Kunden öfter für ein größeres Modell. „Natürlich profitieren die Autofahrer von den niedrigen Preisen an der Zapfsäule“, sagt Audi-Finanzvorstand Axel Strotbek. „Die aktuelle Entwicklung gibt der Automobilwirtschaft also kurzfristig positive Impulse.“
Der billige Sprit hat aber auch nachteilige Effekte für die Autobauer. Sie haben Milliarden in die Entwicklung sparsamer Modelle investiert, Leichtbaumaterialien, Brennstoffzelle und Elektroantriebe entwickelt. Die schleppende Nachfrage nach Elektroautos dürfte bei länger anhaltenden Niedrigbenzinpreisen vollends einbrechen. Nur 23.500 E-Autos und Plug-in-Hybride mit Verbrenner- und zusätzlichem Elektroantrieb wurden in Deutschland 2015 neu zugelassen. Das entspricht einem Marktanteil von 0,7 Prozent. Und der Preisunterschied zwischen E-Auto und Verbrenner wird noch größer. Nur Käufer mit ausgeprägtem ökologischen Gewissen werden sich unter solchen Umständen für den Stromer entscheiden.
BMW will seine Strategie trotzdem nicht kurzfristig an den Ölpreis anpassen: „Die BMW Group denkt und handelt langfristig. Insofern spielen Umweltaspekte, ungeachtet von temporären wirtschaftlichen Faktoren wie dem Ölpreis, der sich demnächst auch wieder ändern könnte, weiterhin eine wichtige Rolle“, heißt es in der Konzernzentrale in München. „In diesem Zusammenhang bleibt die Elektromobilität ein wichtiger Faktor.“
Luftfahrt, Logistik und Chemie
Luftfahrt
Wie unterschiedlich der Einfluss des billigen Öls sein kann, zeigt sich in wenigen Branchen so sehr wie in der Luftfahrt. Auf den ersten Blick profitieren die Fluglinien. Denn machte die Tankrechnung bei einem Rohölpreis von gut 100 Dollar noch rund 30 Prozent der Ausgaben aus, sind es jetzt nur noch gut 15 Prozent. Doch profitieren die meisten europäischen Fluglinien davon nur begrenzt. Nicht nur, dass der stärkere Dollar einen Teil der Einsparungen wieder auffrisst. Weil den Airlines in den vergangenen Jahrzehnten plötzlich anziehende Spritkosten immer wieder hohe Verluste bescherten, haben sich fast alle ihren Bedarf zu festen Preisen gesichert. Nun müssen sie ihr Kerosin nicht nur teurer einkaufen als nötig, sondern ihre Bilanz auch noch durch hohe Wertberichtigungen auf die Sicherungsgeschäfte belasten.
Auf den Kopf gestellt hat der Preisverfall auch die Kalkulation bei Flugzeugherstellern und Leasingfirmen. Ihnen zahlten die Airlines in Zeiten teuren Öls höhere Preise für neue Jets, weil sie dank des niedrigen Verbrauchs am Ende trotzdem billiger flogen als mit alten Maschinen. Das gilt nun nicht mehr, hat etwa Deutschlands größter Ferienflieger Condor ausgerechnet – und gerade statt neuer Boeings lieber ältere Modelle gekauft.
Logistik
Ähnlich zwiegespalten ist die Lage in der Transportbranche: Die Containerschifffahrt schreibt ihr achtes Krisenjahr – ohne Anzeichen auf Besserung. Weil viel zu viele Containerschiffe über die Ozeane kreuzen, sinken die Transportpreise auf immer neue Tiefs. Gewinne schreiben die Containerreedereien – wenn überhaupt – oft nur dank des niedrigen Ölpreises. 600 Millionen Euro sparte allein Deutschlands größte Reederei Hapag-Lloyd dank der niedrigeren Kosten zwischen Januar und September ein.
Allerdings verleitet der niedrige Ölpreis die Branche dazu, schlechte Angewohnheiten wieder aufzunehmen: In den vergangenen Jahren reduzierten die Reeder die Durchschnittsgeschwindigkeit ihrer Schiffe auf nur noch 12 bis 14 Knoten. Das sogenannte Slow Steaming dämmte das Problem der Überkapazität zumindest ein wenig, weil die Schiffe länger für ihre Routen brauchten, und sparte Sprit. Jetzt geben die Reeder wieder mehr Gas.
Auch die Deutsche Post DHL verzeichnete zuletzt günstigere Treibstoffkosten. So sanken im Bereich Express, der Sparte für die eiligen und zeitgenauen Sendungen, die Treibstoffzuschläge für Kunden weltweit. In Deutschland fiel der Dieselpreis für Unternehmer nach Daten des Bundesverbands Güterkraftverkehr und Logistik 2015 um mehr als zwölf Prozent. Kleinere Spediteure haben allerdings große Schwierigkeiten, diesen Vorteil auszunutzen. Die meisten Ersparnisse müssen sie an die Kunden weitergeben, die niedrigere Preise verlangen. Und andere Kosten sind im vergangenen Jahr stark gestiegen, zum Beispiel durch die Einführung des Mindestlohns.
Chemie
Einer der größten Ölabnehmer ist die hiesige Chemiebranche: Sie benötigt jedes Jahr mehr als 16 Millionen Tonnen Rohbenzin, was einem Siebtel des Erdölverbrauchs in Deutschland entspricht. Doch die Freude über das billige Öl ist auch hier eher verhalten. Denn die Ersparnisse im Öleinkauf müssen die Unternehmen meist an ihre Kunden weiterreichen. Fein raus sind allerdings Produzenten von Klebstoffen, Pflanzenschutzmitteln, Autoreifen oder Kunststoffartikeln: „Bei Rohölpreisen von 30 bis 35 Dollar je Barrel haben solche Hersteller und deren direkte Lieferanten eine komfortable Position, da es in der Regel nicht transparent ist, wie viel Mineralöl diese Produkte enthalten“, sagt Wolfgang Falter, Chemieexperte beim Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte.
Öl- und Gasausrüster
Negativer ist dagegen die Stimmung beim weltweiten Chemieprimus BASF: „Mineralwasser ist derzeit teurer als Rohöl“, schimpft Mario Mehren, Chef der BASF-Tochter Wintershall, die im Konzern für Öl- und Gasförderung zuständig ist und jeweils gut ein Fünftel zum Jahresumsatz und -gewinn beiträgt. Lange hatten die BASF-Manager mit Ölpreisen von 60 bis 70 Dollar je Barrel kalkuliert. Aufgrund der stark gesunkenen Ölpreise nahm der Konzern inzwischen Wertberichtigungen vor. Der Gewinn vor Zinsen und Steuern sank demzufolge 2015 um 18 Prozent auf 6,2 Milliarden Euro. Der Konzern erwartet, dass die Ölpreise im laufenden Jahr auf niedrigem Niveau bleiben werden.
Öl- und Gasausrüster
Auch der Industrie- und Elektrogigant Siemens leidet unter dem zuletzt rasanten Verfall des Ölpreises – als wichtiger Zulieferer für die Öl- und Gasindustrie. Koste ein Fass Öl 90 Dollar, rechne sich die Übernahme, hatte Vorstandschef Joe Kaeser gesagt, als er im Sommer 2014 den US-Konzern Dresser-Rand kaufte. 7,8 Milliarden Dollar zahlten die Münchner für das Unternehmen aus Texas, das Ausrüstung und Anlagen für die Öl- und Gasindustrie baut. Viel zu viel, rügten schon damals viele Siemens-Investoren.
Heute, bei einem Ölpreis von kaum mehr 30 Dollar, leidet das Geschäft mit der Öl- und Gasindustrie. Große Ölförderer wie Royal Dutch Shell stellen geplante Milliardeninvestitionen in ihre Förderanlagen zurück; in den USA rutschen immer mehr Fracking-Unternehmen in die Pleite. Das schlägt sich auch in den Geschäftszahlen nieder: Zwischen Oktober und Dezember 2015 sanken Umsatz und Gewinnmarge der beiden Divisionen Power and Gas sowie Processes and Drives, die an die Ölindustrie liefern. Die Übernahme von Dresser-Rand sei ökonomisch kein Glücksgriff gewesen, urteilt Ingo Speich, Portfoliomanager bei Union Investment in Frankfurt. „Wenn der Ölpreis sich nicht erholt, drohen massive Abschreibungen.“
Kaeser versucht nun, sich und seinen Aktionären Mut zu machen: „Nicht der Preis des Öls ist entscheidend, sondern der Verbrauch, und der steigt kontinuierlich“, so der Siemens-Chef: in diesem Jahr von 92 Millionen Fass am Tag auf 94 Millionen. Das freilich klingt ein wenig nach Pfeifen im Walde.