Trotz erhöhter Wachstumsprognosen Und täglich grüßt das Krisen-Gefühl

Obwohl einige Institute zuletzt ihre Wachstumsprognosen erhöht haben und die deutsche Wirtschaft gut dasteht, lässt uns das Krisengefühl nicht los. Warum wir damit richtig liegen und was die EZB damit zu tun hat.

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Konjunkturprognose. Quelle: imago images

Vordergründig steht es ganz gut um die Konjunktur. Das gilt vor allem für Deutschland. Die größte Volkswirtschaft ist weiterhin ein Zugpferd der Euro-Zone. Mit 0,7 Prozent Wachstum im ersten Quartal dieses Jahres trägt die Bundesrepublik maßgeblich zum soliden Plus in der Euro-Zone bei, welches immerhin bei 0,6 Prozent lag. Im vierten Quartal 2015 waren es noch 0,4 Prozent.

Das hebt die Stimmung. „Die deutsche Wirtschaft wächst robust“, kommentierte Ifo-Chef Clemens Fuest die jüngste Konjunkturumfrage des Münchener Forschungsinstituts. Das Stimmungs-Barometer war im Mai überraschend deutlich auf über 107 Zähler geklettert. Das Ifo-Institut will nun sogar prüfen, ob es seine vor kurzem gesenkte Konjunkturprognose wieder anhebt.

Allein wären die Volkswirte aus München damit nicht. Die Kollegen des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) hoben ihre Wachstumsprognose für 2016 zuletzt von 1,3 auf 1,5 Prozent. Den gleichen Schritt nach oben wagten auch die Kollegen der Industrie- und Handelskammern (DIHK). Die Bundesbank senkte ihre Prognose zwar leicht um 0,1 Prozent, glaubt aber immer noch an ein Plus von 1,7 Prozent für das aktuelle Jahr.

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Auf den ersten Blick klingt das solide und gut. Kein überragendes Wachstum wie früher, aber von Wachstumsraten jenseits der drei Prozent haben sich die meisten Volkswirtschaften sowieso verabschiedet. Allerdings wäre Euphorie völlig fehl am Platz. Denn viele vergessen weltwirtschaftliche Gefahren, welche aber nicht unterschätzt werden sollten und das Bild ganz schnell umdrehen könnten.

Verbraucher kaufen die Wirtschaft stabil

Das Fundament des Wachstums ist vor allem der Konsum. Seit die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrer ultra-expansiven Geldpolitik dafür gesorgt hat, dass sich sparen kaum noch lohnt, sind die Einkaufsstraßen voll. Laut Einzelhandelsverband HDE wurde im vergangenen Jahr mit rund drei Prozent das größte Umsatzplus seit zwei Jahrzehnten erreicht.

Geldpolitik der EZB: Entlastungen durch Niedrigzinsen

Fraglich ist allerdings, wie lange der Kaufrausch anhält. Als langfristige Stütze dient er wohl nicht. Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) erwarten, dass „Konsumzuwächse etwas geringer ausfallen als in den vergangenen beiden Jahren". Hinzu kommt, dass der Ölpreis nun wieder steigt und damit seine Wirkung als Kauftreiber schrittweise verliert. Müssen die Verbraucher an der Tankstelle wieder tiefer ins Portemonnaie greifen, wird das Geld an anderen Stellen nicht mehr so großzügig ausgegeben.

Entsprechend dürfte das Wachstum in Deutschland im zweiten Quartal schon deutlich geringer ausfallen als im ersten. Andreas Scheuerle, Ökonom bei der Dekabank, erwartet, dass der Konsum ab dem 1. Juli dann erneut zwischenzeitlich ansteigt, da Millionen deutsche Rentner sich dann über eine deutliche Rentenerhöhung freuen. Langfristig stützen dürfte dieser Effekt allerdings nicht. Während der Konsum daheim noch brummt, fielen die Importe bereits um 0,2 Prozent. Ökonomen wie Stefan Schilbe von HSBC Trinkaus sehen auch hier die steigenden Ölpreise als Hauptgrund.

Weltbank warnt

Ähnlich wie beim Konsum steht es auch beim Export, dem langjährigen Erfolgsgaranten der deutschen Wirtschaft. Dank einer stabilen Nachfrage aus den anderen EU-Ländern haben die deutschen Exporteure im April 3,8 Prozent mehr Waren exportiert als im Vorjahr. Die Ausfuhren in den Rest der Welt würden weiterhin schwächeln, mahnt Anton Börner, Chef des Außenhandelsverbands BDA. Deutschland muss also hoffen, dass in den EU-Ländern weiter auf deutsche Produkte gesetzt wird, denn der Welthandel dürfte noch eine gute Weile weiter dahinsiechen.   

Schulden über Schulden

Dazu passt, dass am Dienstag die Weltbank mit einer düsteren Prognose in die ach so heitere Konjunkturlaune drängte. Sie kürzte ihre Wachstumsvorhersage für die Weltwirtschaft im laufenden Jahr mal eben um 0,5 auf nur noch 2,4 Prozent. Hauptgrund seien die anhaltend niedrigen Rohstoffpreise, welche Ländern wie Venezuela, Nigeria oder Südafrika zu schaffen machten.  

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Als wäre das nicht genug, warnten die Weltbank-Ökonomen vor nicht weniger als einer neuen Schuldenkrise. Sorgen bereitet der Weltbank vor allem die hohe Verschuldung in den Schwellenländern.

Die niedrigen Zinsen haben die Verschuldung deutlich angetrieben, und damit ist auch die Zahl der ausfallgefährdeten, faulen Kredite gestiegen. In China beispielsweise sind die Schulden der Unternehmen bereits doppelt so groß wie das Wirtschaftswachstum. Die hohe Verschuldung mache die Volkwirtschaften anfällig, erklärt Franziska Ohnesorge, die Autorin des Berichts. Die Schuldenmasse an sich sei beunruhigend, sagt sie. Gefährlich seien die Schuldenblasen aber vor allem, wenn die Weltwirtschaft sich weiter abschwäche.

Schon jetzt, mit einem Wachstum von nur 2,4 Prozent, sei die Weltwirtschaft nicht in der Lage, einen plötzlichen Schock zu verkraften. Wie schnell ein solches globales Beben ausgelöst werden kann, hat sich bereits Anfang des Jahres gezeigt, als die Unsicherheit über das chinesische Wirtschaftswachstum die Börsen rund um den Globus tief ins Minus drückte. Sprich, so lange es zu keinem weiteren Schock kommt, laboriert die Weltwirtschaft sich so durch. Käme es aber zu einem Zwischenfall, wäre es mit der Ruhe wohl schnell vorbei.    

Fehlende Investitionen

Neben der labilen Lage der Schwellenländer sind die fehlenden Investitionen weiterhin eines der größten konjunkturellen Probleme. „Um die Erholung der Eurozone auf ein tragfähiges Fundament zu stellen, muss die seit der Finanzmarktkrise andauernde Investitionszurückhaltung ein Ende finden“, sagt Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der KfW. Aus Angst vor politischen Risiken verschieben weiterhin zu viele Unternehmen ihre Investitionen in die Zukunft. Statt Kapital langfristig gewinnbringend zu investieren, wird es für Aktienrückkäufe verwendet oder in die Kasse gesteckt.

Geldpolitik wird Zünglein an der Waage

Das kurzfristig größte politische Risiko ist mit Sicherheit der mögliche Brexit, also der Ausstieg Großbritanniens aus der Euro-Zone. Langfrist bestehe aber ein viel größeres Risiko, erklärt David Folkerts-Landau, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank. „Die negativen Zinsen sind ein Killer“, sagt der Ökonom. Die expansive Geldpolitik der EZB sei mit signifikanten Risiken verbunden. Der Deutsche Bank-Ökonom ging sogar noch weiter, nannte das neue Programm der EZB, also den Ankauf von Unternehmensanleihen einen „Akt der Verzweiflung“.

Angesichts der politischen Risiken, so Folkerts-Landau, sei es keine Überraschung, dass Unternehmen in der Euro-Zone nicht investierten. „Nur weil Geld günstiger zu leihen ist, heißt das nicht, dass mehr investiert wird“.

Besonders besorgniserregend ist, dass Folkerts-Landau zumindest kurzfristig kaum Hoffnung auf Fortschritte macht. Die EZB habe mit ihrem umstrittenen OMT-Programm zugesichert, im Ernstfall als Käufer der letzten Instanz einzuspringen. Angesichts dieser Garantie, so der Chefökonom, sei es kein Wunder, dass Europas Politiker jede Art von schmerzhafter Strukturreform verweigerten.

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Die Situation – niedrige Wachstumsraten, niedrige Inflation und eine ultra-expansive Zentralbank – könne aber nicht ewig so weiter gehen, so Folkerts-Landau. Auch der Deutschbanker warnt davor, dass unerwartete Schocks das Schiff in heftiges Schaukeln versetzen könnte. Denn: „Die Zentralbank kann ihren Fehler nicht plötzlich wieder rückgängig machen und sagen, man habe sich getäuscht.“. Im Gegenteil, wie lange es dauert, aus dem ultra-expansiven Fahrwasser wieder herauszukommen zeigt das Beispiel der amerikanischen Notenbank Fed, deren Aussichten auf eine weitere Zinserhöhung gerade erneut verschwimmen.

Ohne einen geldpolitischen Kurswechsel, so Folkerts-Landau, riskiere die EZB die langfristige Stabilität der Euro-Zone.

Der Chefvolkswirt bestätigt damit ein Gefühl, welches in der Euro-Zone wohl viele haben. Die reinen Wachstumszahlen sehen zwar nicht schlecht aus. Geht es aber nach dem Bauchgefühl, dann fühlt sich vieles leider nach einer aufkommenden Krise an.  

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