Buchrezension Liebe im digitalen Zeitalter

Erotische Ausstrahlung bestimmt heute das Liebesglück. Die Überversorgung von sexuell und emotional verfügbaren Frauen führt zu bindungsunwilligen Männern. Eva Illoux weiß daher, warum die Liebe in den Zeiten der Wahlfreiheit so schmerzhaft ist. Die Israelin hat ein kluges Buch dazu geschrieben.

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Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen wird heute durch die Asymmetrie der Geschlechterbeziehungen bestimmt: die Frauen wollten immer mehr, als Männer zu geben bereit sind. Quelle: Nadja Iven für Wirtschaftswoche Online

Sie habe, schreibt Eva Illouz, ihr neues Buch "Warum Liebe weh tut" vor allem aus weiblicher Perspektive geschrieben. Gerade deshalb beschert es Männern ein verblüffendes Wiedererkennen. Zumal den Gutverdienenden aus der gehobenen Mittelschicht, die in eingestreuten Interviews zu Wort kommen. Wie etwa der 36-jährige Angestellte eines Hochtechnologieunternehmens, der auf zahlreiche, eher flüchtige Beziehungen zurückblickt und zur Anbahnung von Intimbeziehungen gern das Internet nutzt.

Auf die Frage der Interviewerin, was ihn im "Profil" einer Frau abschrecke, sagt er: "Wenn jemand schreibt, dass er eine ernsthafte Beziehung sucht." Eine Frau, die etwas "Ernsthaftes" suche, habe man im Grunde in der Tasche – "und das ist nicht so interessant".

Oder der 55-jährige geschiedene Mann mit Kind, der Freundinnen immer nur "bis auf weiteres" hat, "zeitweise, in engen Grenzen, zweimal die Woche und ein bisschen am Telefon und das war’s". Seine Liebesbeziehungen, sagt er, seien "nie symmetrisch" gewesen, die Frauen "wollten immer mehr, (…) mehr Verabredungen mit mir, mehr Kontakt, mehr Gespräche; ich höre sie die ganze Zeit sagen, dass sie nicht mit einem schlafen, um mit einem zu schlafen, sie tun es aus Liebe und alldem". Kurz: Sie wollten immer mehr, als er zu geben bereit war.

Genau diese Asymmetrie der Geschlechterbeziehungen bildet den Angelpunkt von Eva Illouz‘ Argumentation. Dass Männer auf Distanz gehen, wenn Frauen "zu sehr lieben", dass sie sich auf dem Markt der sexuellen Möglichkeiten lieber häppchenweise bedienen anstatt langfristige Bindungen einzugehen, ist, anders als die Ratgeberliteratur weiß, nicht Ausdruck eines narzisstischen Defekts, sondern, wie die Soziologin Illouz sagt, ein Anzeichen dafür, dass sich die Machtverhältnisse zwischen den Sexualakteuren gewandelt haben.

Obwohl Männer wie Frauen heute mehr sexuelle Freiheiten genießen denn je, sind diese Freiheiten unter den Geschlechtern höchst ungleich verteilt, genießen die einen das Überangebot an Sensationen, während die anderen sich ungeliebt und verlassen fühlen. Die größere sexuelle und emotionale Wahlfreiheit der Männer, so die These der Autorin, führt zu neuen Formen der emotionalen Herrschaft: Männer bestimmen die Spielregeln der Liebe.

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