Innovationspreis 2015 Alacris Theranostics schafft persönlichste Behandlung

Sieger in der Kategorie Mittelstand: Welches Medikament bei einem Patienten wirklich wirkt, ermittelt Alacris Theranostics mit einer einzigartigen Computersimulation.

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Bodo Lange (CEO), Bioninformatiker Christoph Wierling, Genanalytikerin Tatjana Borodina, Genomforscher Hans Lehrach Quelle: Andreas Chudowski für WirtschaftsWoche

Wer heute an Krebs leidet, bekommt meist nicht nur ein Medikament verschrieben, sondern einen ganzen Cocktail an Antitumorwirkstoffen. So hoffen die Ärzte, die tückische Krankheit zu stoppen. Ob der Patient allerdings eine Kombination erhält, die ihm wirklich hilft, die tödliche Krankheit zu bekämpfen, ist ziemlich ungewiss. Denn bisher kann kein Mediziner im Voraus sagen, welches Präparat für ihn das beste ist. Grund dafür ist, dass jeder Patient ebenso einzigartig ist wie seine Erbanlagen, die Gene. Zudem unterscheiden sich auch die Tumore genetisch, oft verändern sie sich sogar noch während der Behandlung mit einem Medikament oder während einer Bestrahlung.

Trotzdem könnte es ausgerechnet mithilfe der Gene in Zukunft gelingen, vorab die passenden Medikamente zu finden. Denn das Berliner Unternehmen Alacris Theranostics hat ein Computermodell entwickelt, das diese Prognosen ermöglicht.

Damit errechnen die Wissenschaftler, welche Wirkstoffkombination einem Patienten am besten hilft. Sie nutzen für ihren „ModCell“ genannten Simulator vor allem die genetischen Informationen des Kranken und seines Tumors, die sich heute für wenige 100 Euro bestimmen lassen. In das Modell sind Daten aus Genforschungsprojekten, Medikamentenstudien und eigene Erkenntnisse eingeflossen.

Glänzende Gala, leuchtende Gesichter
Preisverleihung des Deutsche Innovationpreis 2015, Bayerischer Hof in München Quelle: Thorsten Jochim für WirtschaftsWoche
Preisverleihung des Deutsche Innovationpreis 2015: Michael Kaschke, Vorstandsvorsitzender des Optikkonzern Carl Zeiss Quelle: Thorsten Jochim für WirtschaftsWoche
Preisverleihung des Deutschen Innovationpreis 2015: Epoc des Unternehmens Emotiv Quelle: Thorsten Jochim für WirtschaftsWoche
Preisverleihung des Deutschen Innovationpreis 2015: Der intelligente Roboter Roboy Quelle: Thorsten Jochim für WirtschaftsWoche
Preisverleihung des Deutschen Innovationpreis 2015: Harald Habermann, Jay Pollard, Martin Vallo, Jürgen Ahlers, Gerd Manz Quelle: Stefan Obermeier für WirtschaftsWoche
Preisverleihung des Deutschen Innovationpreis 2015: Florian Swoboda, Sebastian Seifert Quelle: Stefan Obermeier für WirtschaftsWoche
Preisverleihung des Deutschen Innovationpreis 2015: Thomas Meindl, Boris Gehring, Christoph Aschauer Quelle: Stefan Obermeier für WirtschaftsWoche

„Dies ist ein Beispiel, wie die jahrzehntelange Genforschung in eine lebensrettende praktische Anwendung übersetzt wird“, begeistert sich Innovationspreis-Juror Frank Mastiaux für die Alacris-Entwicklung. Der EnBW-Chef hält solch eine computergestützte Auswertung des aktuellen medizinischen Wissens für „einen ganz wesentlichen Zukunftstrend in der Medizin“. Die Jury erkor Alacris deshalb zum Sieger in der Kategorie Mittelstand.

Tatsächlich seien viele Krebsärzte sehr interessiert an einer solchen Vorhersagemöglichkeit, sagt Alacris-Geschäftsführer Bodo Lange. Immerhin könnte sie die Zahl der Menschen, die Krebs überleben, dramatisch erhöhen.

Heute sind viele moderne Tumormedikamente oft nur für eine bestimmte, genetisch genau charakterisierte Patientengruppe gedacht. Doch die Analyse aller Genfaktoren überfordert niedergelassene und Klinikärzte zunehmend. Und selbst wenn sich Ärzteteams in großen Kliniken extra zum Brainstorming zusammensetzten, könnten die Mediziner unmöglich all das Wissen im Kopf haben, das die 18-köpfige Alacris seit der Gründung 2008 in ihr virtuelles Patientenmodell gesteckt hat – und ständig noch neu hinzufüttert.

Klassische Medikamentenauswahl ähnelt deshalb eher Kaffeesatzleserei. Lange sagt: „Ärzte müssen anhand von bisherigen Erfahrungen und Wahrscheinlichkeiten aus veröffentlichten Studien Rückschlüsse auf Kranke ziehen. Wir dagegen können die individuellen molekularen Daten des Patienten und Tumors in unser Modell einspeisen und so maßgeschneiderte, personalisierte Vorhersagen treffen.“

Entwicklung neuer Medikamente

Ein interessanter Nebeneffekt: Das Modell sucht aus seinem Wissensschatz an möglichen Medikamenten und ihren Wirkmechanismen im Körper mitunter auch Mittel heraus, die gegen Rheuma oder andere Erkrankungen zugelassen sind. „Wir stoßen so auf hochwirksame Präparate, die es schon gibt und die zugelassen sind – nur eben nicht für Krebs“, sagt Lange.

Denn das Modell sucht nach molekularen Schwachpunkten des Tumors und entsprechenden Wirkstoffen, die genau an diesen Stellen angreifen und den Krebs am Wachsen hindern können. Und das könnte eine Vielzahl moderner Biowirkstoffe sein, sagt Lange: „Dem Modell ist es egal, ob Krebs auf der Packung steht.“

Grundsätzlich lässt sich diese moderne und wissensbasierte Glaskugel nicht nur für Krebserkrankungen anwenden. Derzeit ist das Modell allerdings vor allem darauf ausgelegt. Es ließe sich aber auch auf beliebig viele andere Leiden ausweiten.

Die 30 Besten des deutschen Mittelstands
Produktion bei Ensinger Quelle: Presse
Sennheiser Produktion Quelle: Presse
Screenshot der Adva-Internetseite Quelle: Screenshot
Schiffsschraube Quelle: PR
Das Pfeiffer Vacuum Firmengebäude Quelle: Pfeiffer Vacuum Pressebild
Frank Blase, der Geschäftsführer von igus. Quelle: Presse
Armaturen in der Fertigung von Hansgrohe Quelle: REUTERS

Die Idee zur Gründung stammt vom Erbgutforscher Hans Lehrach, der einst das deutsche Human-Genom-Projekt leitete. Aus seinem Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik gründete sich das Unternehmen aus – das heute in einem alten Klinikum in Institutsnähe residiert. Dabei hat Alacris zwei Ziele: Neben der individuellen Therapie soll die Simulation auch die Entwicklung von neuen Medikamenten beflügeln – nicht nur gegen Krebs.

Kopfschüttelnd beobachtet Genforscher Lehrach, nach welch vorsintflutlichen Methoden das immer noch abläuft. Die gängige Praxis folge noch immer der irrigen Vorstellung, dass alle Menschen medizinisch gesehen gleich seien und deshalb auch Pillen bei allen Patienten gleich wirken müssten. Auf diese Weise ließen sich aber nur Medikamente entwickeln, die weniger als 30 Prozent der Menschen helfen, wettert Lehrach – beim Rest schaden sie. Tausenden von Patienten testweise eine Substanz zu verabreichen und dann zu schauen, ob sie wirkt, „ist wie ein Crashtest mit menschlichen Dummys“, sagt Lehrach.

Viel schneller, preiswerter und effektiver ließen sich neue Medikamente dagegen per Computersimulation entwickeln, glauben Lehrach und Lange. Und so zählen Pharmakonzerne wie Bayer, die britische GlaxoSmithKline oder die US-amerikanische Eli Lilly inzwischen zu den Kooperationspartnern und Nutzern von ModCell, das Alacris seit 2012 vermarktet. Das Biotech-Unternehmen Qiagen aus Hilden stieg 2011direkt bei Alacris ein: Es ist selbst mit Gentests aktiv, könnte als strategischer Partner für Alacris also hilfreich werden.

Kliniken und Laborärztepraxen wiederum sind die idealen Kunden für den Einsatz am Patienten. Hier aber hakt es noch, weil die Erstattung durch die Kassen bisher nicht geregelt ist. Dabei könnten gerade die enorm Kosten sparen, wenn sie nur noch wirksame Medikamente bezahlen müssten, glaubt Lange: „All die Pillen, die Patienten nutzlos einnehmen, kosten unser Gesundheitssystem einen Haufen Geld.“

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