Die Informationen über die wenigen Täter lassen kaum statistisch verwertbare Rückschlüsse zu. „Predictive Policing braucht Big Data“, sagt Ludwig Schierghofer, Leiter der Abteilung Staatsschutz und Terrorismusbekämpfung beim Bayrischen Landeskriminalamt. „Doch was wir bei der Terroranalytik haben, ist bestenfalls Very Little Data.“
Nicht einmal in den USA sieht das besser aus, die seit den Anschlägen auf das World Trade Center 2001 in enormem Umfang potenziell kriminalitätsrelevante Daten erfassen. „Es ist nicht so, dass sie einfach Millionen von Daten sammeln, und der Computer spuckt dann die Terrorverdächtigen aus“, sagt John Hollywood. Der Politologe arbeitet für die Rand Corporation, den legendären US-Thinktank, der Sicherheitsbehörden berät. „Wer das verspricht, weckt falsche Hoffnungen“, meint er. Zu autark und diskret würden Terrorzellen heute arbeiten.
Die Gegner des Islamischen Staates
Die mächtigste Militärmacht der Welt führt den Kampf gegen den IS an. Seit mehr als einem Jahr bombardiert die US-Luftwaffe die Extremisten in Syrien und im Irak. An ihrer Seite sind auch Jets aus Frankreich und anderen westlichen Staaten sowie aus arabischen Ländern im Einsatz. Washington hat zudem US-Militärberater in den Irak entsandt, die Bagdad im Kampf am Boden unterstützen.
Moskaus Luftwaffe fliegt seit Ende September Luftangriffe in Syrien. Sie sollen nach Angaben des Kremls den IS bekämpfen. Der Westen und syrische Aktivsten werfen Russland jedoch vor, die meisten Luftangriffe richteten sich gegen andere Rebellen, um so das Regime von Präsident Baschar al-Assad zu unterstützen.
Deutschland liefert seit mehr als einem Jahr Waffen an die Kurden im Norden des Iraks, darunter die Sturmgewehre G3 und G36 und die Panzerabwehrwaffe Milan. Die Bundeswehr bildet zudem kurdische Peschmerga-Kämpfer für den Kampf am Boden aus.
Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Katar und Jordanien unterstützen die USA bei den Luftangriffen. Vor allem Saudi-Arabien und Jordanien sehen den IS als Gefahr, weil die Extremisten bis an ihre Grenzen herangerückt sind.
Sowohl im Norden Syriens als auch im Nordirak gehören die Kurden zu den erbittertsten Gegnern des IS. Die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) im Syrien und die Peschmerga im Irak konnten den Extremisten empfindliche Niederlagen beibringen. Unterstützt werden sie von mehreren westlichen Staaten.
Das irakische Militär geht in mehreren Regionen des Landes gegen den IS vor. Allerdings kann sie nur wenige Erfolge vorweisen. Seit Monaten versucht die Armee erfolglos, die westirakische Provinz Al-Anbar zu befreien. Unterstützt wird sie von schiitischen Milizen, die eng mit dem Iran verbunden sind.
Sie bekämpfen das Regime und den IS. Das gilt auch für die Nusra-Front, syrischer Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida. Sie teilt die Ideologie des IS, ist aber mit ihm verfeindet.
Auch das syrische Militär geht gegen den IS vor. Kritiker werfen dem Regime jedoch vor, es greife vor allem andere Rebellen an und lassen die Extremisten gewähren. Auffällig ist, dass sich die meisten syrischen Luftangriffe nicht gegen den IS, sondern gegen Regionen unter Kontrolle anderer Gruppen richten.
Zudem haben es die Fahnder mit ganz verschiedenen Tätergruppen zu tun: Sie reichen von sogenannten Gefährdern, bekannt für ihren politisch oder pseudoreligiös terroristischen Hintergrund, die sich hoch konspirativ verhalten; über bekannte Straftäter, etwa aus der Rauschgiftkriminalität, aber ohne erkennbaren Bezug zur Terrorszene; bis hin zu unauffälligen, radikalisierten Tätern wie die Attentäter vom 11. September 2001, die in Hamburg studierten, ohne Verdacht zu erregen.
Menschenansammlungen sind stark gefährdet
Statt also Terroranschläge vorhersagen zu wollen, versuchen Forscher wie Hollywood, Denkmuster der Attentäter per Datenanalyse zu entschlüsseln. Etwa indem er die zahlreichen Anschläge in Israel auswertet.
Ein Ergebnis: Terroristen schlagen oft zu, wenn ihre Ideologie unter Druck gerät; wie aktuell beim „IS“ in Syrien und im Irak. Und Attentäter kopieren zumindest dort erfolgreiche Anschläge. Daher rät Hollywood, den Brüsseler Flughafen besonders gut zu schützen.
Eine Erkenntnis, für die der bayrische LKA-Experte Schierghofer „aber keine Software benötigt hätte“. Es sei bekanntermaßen Ziel islamistischer Attentäter, „möglichst viele Tote und Verletzte zu produzieren“. Orte mit Menschenansammlungen seien also per se stärker gefährdet. Statt auf präventive Analytik zu setzen, will er eher die Beziehungen zwischen bekannten Tätern umfassend analysieren. Und das durchaus mit massiven Computereinsatz, etwa um auszuwerten, wie Verdächtige ihre Kreditkarten genutzt haben oder was der Speicher von Navis aus Autos verrät, die sie gemietet haben. „Nach einem Anschlag ist vor einem Anschlag“, sagt Schierghofer. Je genauer die Fahnder auch grenzüberschreitend ermittelten, wer Unterstützer, wer Mittäter, wer Sympathisant sei, „desto eher können wir die nächsten Pläne vereiteln“.
Entscheidend dabei sei, dass Fahndungsdaten von einem Land ins andere, von einer Behörde zur anderen gelangten. Genau daran aber hapere es. „Terror kennt in Europa keine Grenzen mehr, also darf auch die Bekämpfung des Terrors keine mehr haben.“