WirtschaftsWoche: Herr Kosinski, Sie sagen, man könne die Persönlichkeit eines Menschen im Surfverhalten ablesen. Wie funktioniert das?
Michal Kosinski: Aus Umfragen haben wir zahlreiche Informationen zur Persönlichkeit von Menschen. Diese können wir in Verbindung mit ihrem digitalen Fußabdruck setzen, zum Beispiel den Likes auf Facebook. Und so erkennen wir bestimmte Verbindungen und Korrelationen. Das Modell können wir schließlich auf neue Personen anwenden und entsprechende Vorhersagen treffen.
Als ich Ihren Test machte, sagte er mir, dass ich vermutlich ein Mann bin, weil ich Facebook-Fan von Emma Watson bin. Sind die Rückschlüsse nicht sehr stereotypisch?
Manche Indikatoren sind sehr stark. Zum Beispiel, wenn du auf Facebook Fan der Seiten von Obama, Clinton und der Demokraten bist, spricht das sehr dafür, dass du politisch eher Demokraten wählen würdest. Andere Indikatoren sind sehr schwach. Wenn du Lady Gaga gut findest, sagt das erst mal nicht sehr viel aus. Doch in Kombination mit anderen Informationen kann die Einschätzung sehr akkurat werden.
Zur Person
Der Sozialforscher Michal Kosinski hat eine Methode erdacht, mit deren Hilfe er den Charakter von Menschen anhand ihrer Facebook-Aktivitäten analysieren kann. Mit seiner Methode soll das Unternehmen Cambridge Analytica Millionen US-Bürger ausgewertet - und durch gezielte Werbung Donald Trump zum Wahlsieg verholfen haben.
Sie haben eine Methode entwickelt, mit der Marketing-Agenturen nun Geld verdienen. Ist das nicht unfair?
Dass andere damit Geld verdienen, ist mir egal. Was ich jedoch immens wichtig finde: Es muss bestimmte Grenzen geben, die nicht überschritten werden.
Welche Grenzen meinen Sie?
Ich bin nicht damit einverstanden, dass Unternehmen Informationen nehmen, analysieren und nutzen - ohne dass sie mich wissen lassen, was sie tun. Die Menschen müssen sich darüber im Klaren sein, dass und auf welcher Grundlage sie maßgeschneiderte Botschaften kommen. Zum Beispiel, wenn Parteien und Unternehmen offen und transparent Informationen abfragen und entsprechend ihre Botschaften anpassen - dann finde ich das völlig ok.
Wie groß ist denn das Potential für solche individualisierte Werbung im politischen Bereich?
Zweifelsfrei gibt es hier ein großes Potential. Sobald du mehr über das psychologische Profil von Menschen weißt und ihre Motive kennst, kannst du ihnen viel treffsichere bestimmte Kandidaten vorschlagen - oder ihnen bestimmte Dinge verkaufen. Alle Experimente, die wir im Bereich des Konsumgütermarketing dazu gemacht haben, zeigen, dass die Menschen häufiger auf Anzeigen klicken.
Wie sieht der Rechtsrahmen für Big Data-Analysen und maßgeschneiderte Werbung in Deutschland aus?
Das Problem im Internet ist: Es gibt keine Grenzen. Das ist gleichzeitig großartig. Dennoch bedeutet es, dass der nationale Rechtsrahmen nicht auf allen Internetseiten, die wir besuchen, gilt.
Wenn jeder seine eigene, maßgeschneiderte Kommunikation bekommt: Fragmentiert das unsere Gesellschaft?
Diese Gefahr sehe ich nicht, denn wir kommunizieren auch ohne Computer sehr individuell, je nachdem mit wem wir sprechen.
"Wir überschätzen den Einfluss von Big Data Analysen"
Doch so bekommen wir im Netz nur noch Botschaften, die uns in unserer Meinung bestätigen.
Doch es ist nicht die Technologie, die diese Echokammer kreiert. Die Technologie folgt nur unseren Interessen und Vorlieben. Wenn du nur eine bestimmte Art von Nachrichten liest, bekommst du nunmal diese entsprechenden Nachrichten. Wenn du Nachrichten aus dem ganzen Spektrum liest, dann wird dir der Computer auch Nachrichten aus dem ganzen Spektrum vorschlagen. Wir sind immer nur ein Klick vom Reichtum aller Informationen des Internets entfernt.
Darum hat Trump gewonnen
Clinton schnitt trotz Trumps frauenfeindlicher Äußerungen in der Wählergruppe deutlich schwächer ab als im Vorfeld erwartet. Zwar erhielt sie von Frauen zwischen 18 und 34 Jahren deutlich mehr Unterstützung als Trump, insgesamt aber betrug ihr Vorsprung bei Frauen mit 49 Prozent nur zwei Prozentpunkte. Zum Vergleich: Der scheidende Präsident Barack Obama schnitt 2012 bei Frauen sieben Prozentpunkte besser ab als sein damaliger Herausforderer.
Clinton kam Umfragen zufolge deutlich besser bei Amerikanern mit spanischen Wurzeln, Afroamerikanern, und Amerikanern mit asiatischen Wurzeln an. Allerdings erhielt sie nicht so viel Rückhalt wie Obama vor vier Jahren, der seine Wiederwahl besonders den Stimmen der Minderheiten verdankte.
Trump punktete besonders bei Wählern ohne College-Ausbildung. Insgesamt betrug sein Vorsprung auf Clinton in dieser Gruppe zwölf Prozentpunkte. Bei weißen Männern ohne höheren Bildungsabschluss schnitt er sogar um 31 Prozentpunkte besser ab, bei weißen Frauen ohne Abschluss waren es 27 Prozentpunkte.
Streng gläubige weiße Amerikaner haben Trump die Treue gehalten - trotz der sexuellen Missbrauchsvorwürfe, die gegen den Milliardär im Wahlkampf erhoben wurden. Etwa 76 Prozent der Evangelikalen gaben an, für Trump gestimmt zu haben.
Clinton tat sich in Ballungsräumen schwer, obwohl dort in der Regel viele Anhänger der Demokraten leben. Ihr Vorsprung auf Trump betrug dort gerade einmal sechs Prozentpunkte. In ländlichen Regionen schnitt Trump dagegen um 27 Prozentpunkte besser ab.
Sollten wir also darauf achten, bewusst unsere Echokammern zu verlassen?
Viele Menschen beschweren sich zwar über den Effekt. Doch anstatt etwas dagegen zu tun, zum Beispiel einfach mal etwas anderes lesen, machen sie einfach so weiter und geben die Schuld dem Computer.
Also ist es ein menschlicher Fehler?
Letztlich ist es nichts Neues. Das ist ein Hauptmerkmal der menschlichen Psyche. Wir lieben es, Informationen zu bekommen, die unsere Ansichten bestätigen und wir mögen nichts, das uns verwirrt. Es ist unbequem und unangenehm. Doch gleichzeitig wussten wir nie zuvor so viel über die Welt da draußen wie heute. Nie zuvor standen uns so viele Informationen zur Verfügung. Das ist eigentlich großartig.
Wie groß ist die Gefahr, dass die gezielte Ansprache im Internet Menschen radikalisiert?
Es gibt Menschen, die im Netz mit vielen Perspektiven und Informationen in Verbindung kommen, und so ein sehr differenziertes Weltbild bekommen. Und andere, die gehen online und radikalisieren sich, doch sie haben schon vorher die Persönlichkeit und Anfälligkeit dafür gehabt. Es ist nicht der Fehler des Internets.
Überschätzen wir den Einfluss von Big Data Analysen?
Ich denke, wir überschätzen das Thema und wir schreiben Unternehmen wie Cambridge Analytica eine zu große Macht zu. Trotzdem finde ich es gut, dass wir nun darüber diskutieren. Denn wir reden auch über die Probleme der Privatsphäre. Und die Debatte zeigt der Öffentlichkeit, dass man Merkmale der Persönlichkeit erfassen kann, ohne dass die jeweilige Person das mitbekommt. In totalitären Systemen kann das zur echten Gefahr werden: Denken Sie nur an Staaten, in denen bestimmte Einstellungen oder Lebensstile verfolgt werden.