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Pokémon GoFünf Lehren aus dem Erfolg des Spiels

Der Boom der virtuellen Minimonster ist ein Lehrstück für erfolgreiche Innovation. Fünf Lehren, die jedes Unternehmen aus dem Erfolg von Pokémon Go ziehen kann.Thomas Kuhn, Oliver Voß, Eva Mühle 27.07.2016 - 12:48 Uhr
Foto: dpa

Egal, ob vor dem Kölner Dom, im New Yorker Central Park oder an der Oper von Sydney: Überall laufen in diesen Tagen Menschen umher, rufen „Oh“ und „Ah“, richten ihre Handys auf Wesen, die niemand außer ihnen sieht, und haben unglaublichen Spaß. Der Grund erschließt sich beim Blick auf die Telefone: Auf deren Display tummeln sich plötzlich bunte Figuren, die durch die Bilder der echten Umgebung wuseln – Pokémon, virtuelle Comic-Monster, die die Spieler durch eifriges Tippen auf ihre Bildschirme fangen wollen.

Es ist ein globaler Hype ungekannten Ausmaßes. Nur gut zwei Wochen nach dem Start in den USA Anfang Juli hat die Monsterjagd Pokémon Go bereits Millionen Anhänger weltweit; das Spiel hat mehr aktive Nutzer als der Nachrichtendienst Twitter oder die Dating-App Tinder. Seine Fans verbringen mehr Zeit mit ihm als mit Facebook.

In welchem Land auch immer die Jagd auf die naiv-bunten Kobolde startet, dominiert sie die App-Charts. Der Kurs des Unterhaltungsriesen Nintendo stieg nach dem Start der Monster-App rasant an – dabei ist der japanische Konzern beim Rechtebesitzer Pokémon Company und dem Spieleentwickler Niantic nur Minderheitseigner. Erst als das Nintendo-Management selbst die Erwartungen dämpfte und verkündete, dass Pokémon Go nur "begrenzten Einfluss" auf den Gewinn haben werde, brach der Höhenflug ab und der Aktienkurs ein.

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Der Gaming-Coup ist weit mehr als ein ökonomischer Erfolg. Quasi huckepack macht er eine Technologie zum Massenphänomen, die sich – obwohl längst marktreif – bisher beim breiten Publikum nicht durchsetzen konnte: Augmented Reality (AR), zu Deutsch „erweiterte Realität“, die Verschmelzung realer Räume mit computergenerierten Welten. „Das Spiel ist ein Lehrstück, wie sich eine etablierte Marke innovative Technik zunutze machen kann“, sagt Harald Summa, Geschäftsführer beim Eco-Verband der Internetwirtschaft in Köln.

Vor allem aber ist der Siegeszug der digitalen Kobolde ein Musterbeispiel, wie sich Innovationen am Markt etablieren lassen. Letztlich sind es fünf Faktoren, die dem Produkt zum Durchbruch verholfen haben. Zum Pokémon-Prinzip verdichtet, sind sie zugleich ein universelles Innovationswerkzeug, auch für Unternehmen anderer Branchen: Wer die Regeln beherzigt oder ignoriert, entscheidet damit zugleich, ob seine Produkte ein Welthit werden – oder ein Megaflop.

1. Der Kunde will spielen

Erfolgreich wird nur, was Freude macht. Die Pokémon-Entwickler nutzen den Spaßfaktor musterhaft aus. Die niedlichen Comic-Figuren setzen auf die Wirkung des Kindchenschemas beim Spieler. Die Aufgabe, die Pixelhelden mit einem Ball abzuwerfen, überträgt das Prinzip beliebter Sportarten wie Völker- oder Brennball in die erweiterte Realität.

In Japan geht es erst noch los

Das Smartphone-Spiele „Pokémon Go“ ist mittlerweile auch in Japan, dem Geburtsland der Pokémon-Monster, gestartet. DBislang ist die App, die auch hierzulande einen wahren Hype ausgelöst hat, in mehr als 30 Ländern verfügbar, darunter den USA, Kanada und in Europa.

Foto: dpa

Echte Schießidee

Auf der Suche nach kleinen gelben „Pokémons“ haben sich einige Spieler in Gefahr gebracht. In Niedersachsen wurden drei „Pokémon“-Fänger auf einem Truppenübungsplatz erwischt, auf dem gerade mit scharfer Munition geschossen wurde. Der Wachdienst hat das Trio auf dem Gelände der Bundeswehr in der Lüneburger Heide entdeckt. Eine 16-Jährige aus Schleswig-Holstein wurde sogar Opfer eines Verbrechens. Auf der Suche nach einem „Pokémon“ riss ihr ein Radfahrer das Handy aus der Hand.

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Da raschelt was im Gras

Dem ein oder anderem hat „Pokémon“ Ärger mit dem Gesetz eingehandelt. Eigentlich wollte ein Marihuana-Konsument in München kleine „Pokémons“ fangen, dabei ging er allerdings selbst der Polizei ins Netz. Der 30-Jährige war in München mit einen Joint unterwegs – und dabei so in das Spiel auf seinem Handy vertieft, dass er die Streife nicht bemerkte. Und in Trier wurde ein per Haftbefehl gesuchter Mann beim „Pokémon“-Spiel von der Polizei aufgegriffen - und muss nun für ein halbes Jahr ins Gefängnis.

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Verbraucherschutz als Endgegner

Die Entwickler der Smartphone-App „Pokémon Go“, im Bild Niantic-CEO John Hanke, sind wegen der Nutzungs- und Datenschutzbestimmungen des Spiels von deutschen Verbraucherschützern abgemahnt worden. Insgesamt wurden 15 Klauseln angeprangert, wie der Verbraucherzentrale Bundesverband am Mittwoch in Berlin mitteilte. Dem kalifornischen Spieleentwickler Niantic Labs sei Zeit bis zum 9. August eingeräumt worden, eine Unterlassungserklärung abzugeben und die Bestimmungen zu ändern. Ansonsten wollen die Verbraucherschützer eine Klage prüfen.

Foto: REUTERS

Schicht im Schacht

„Pokémon“ bringt die Menschen vor die Tür - und manchmal auch an ungewöhnliche Orte. In Frankfurt stiegen Jugendliche auf das zehn Meter hohe Dach eines Einkaufszentrums, um dort nach den virtuellen Viechern zu suchen. Und ebenfalls in Frankfurt haben sich die virtuellen Monster in den dunklen Gängen eines gesperrten S-Bahn-Tunnels verirrt. Für den Rhein-Main-Verkehrsverbund war das ein bisschen zu viel Abenteuer: „Auch wenn es euch schwerfällt, doch für die Jagd ist und bleibt der #tunnelzu ;)“, twitterte das Unternehmen zur Sicherheit.

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Pokémon Stop & Go

Mit einem Fahrzeug jagt es sich besser als zu Fuß? Auf diese Idee kam ein 24-Jähriger in Bochum. Der Mann war einem Fahrradpolizisten aufgefallen, als er während der Fahrt sein Handy in der Hand hielt und bediente. Auch in Berlin war ein Spieler auf Monstersuche - mit dem Fahrrad. Der Mann suchte mit Schrittgeschwindigkeit und einer Hand am Lenker die Umgebung nach den „Pokémons“ ab. Die Handynutzung ist im Straßenverkehr allerdings verboten - das gilt nicht nur fürs Telefonieren.

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Böse Mine zum guten Spiel

Auf der Jagd nach Pokémons wagen sich einige Menschen in Bosnien-Herzegowina selbst in gefährliche Regionen mit Landminen. Nachdem einzelne Pokemon-Jäger vor den vielen Minenfeldern in diesem Balkanland nicht haltgemacht hatten, warnten Medien und Fachorganisationen am Dienstag in Sarajevo: „Wir bitten die Bürger, die aufgestellten Tafeln wegen der Minengefahr zu beachten.“

Nach dem Bürgerkrieg von 1992 bis 1995 liegen in dem Land noch auf schätzungsweise mehr als 1100 Quadratkilometern verborgene Minen. In diesem Jahr sind bereits zwei Minenentschärfer ums Leben gekommen. Zwei weitere kamen mit Verletzungen davon. Obwohl seit Kriegsende mehr als 3000 Quadratkilometer entmint worden sind, dürfte es noch bis zum Jahr 2024 dauern, bis Bosnien-Herzegowina minenfrei ist.

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Ein wildes Pärchen erscheint

Mancher findet beim Spielen nicht nur kleine Monster, sondern auch die wahre Liebe. Nun ja, nur leider nicht die eigene. Ein junger Mann in Schwaben stieß in einer Grünanlage auf ein alkoholisiertes Pärchen, dass gerade Sex in freier Natur hatte. Das ließ sich auch von dem „Pokémon“-Spieler nicht in seiner Lust bremsen.

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Schwarzmarkt

Das Smartphone-Spiel „Pokémon Go“ ist erst seit wenigen Tagen in Europa verfügbar, doch bei Ebay ist bereits ein reger Handel mit Accounts entstanden. Wie der britische „Guardian“ berichtet, versteigerte ein Spieler aus Brighton seinen Account mit hohem Spielstand für 7300 Pfund (rund 8700 Euro). Im deutschen Ebay-Shop steht zum Beispiel ein Account mit dem als extrem selten geltenden Pokémon Kabutops für 1499 Euro zum Kauf. Ein anderer Verkäufer bietet seinen Zugang, der bereits das Level 22 erreicht hat, für ungeduldige Spieler für 540 Euro an. Sowohl Käufer als auch Verkäufer riskieren damit jedoch, dass ihre Accounts deaktiviert werden, weil sie gegen die Nutzungsbestimmungen verstießen, betonte der „Guardian“.

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Wandertag

Als Kind wanderten viele auf der Suche nach Geistern mit Klassenkameraden durch die Nacht. Heute stehen die virtuellen Monster im Mittelpunkt. Knapp 1000 Teilnehmer haben sich in Hannover zur „Pokémon Go Nachtwanderung“ getroffen. „Man lernt extrem viele Leute kennen, und es ist ein Kindheitstraum von mir, draußen „Pokémons“ zu fangen“, sagte ein 23-jähriger Teilnehmer. Auch etwa in Berlin gab es eine „Pokémon“-Jagd.

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Unpassende Orte

Nicht überall ist die Monsterjagd angebracht. Die bayerischen KZ-Gedenkstätten etwa wollen keine „Pokémons“. Die ehemaligen Konzentrationslager Dachau und Flossenbürg sollten nach Wunsch der verantwortlichen Stiftung als mögliche Spielorte aus der Smartphone-App herausgenommen werden. Auch die Gedenkstätte Auschwitz hatte die Macher der App aufgefordert, das Gelände des ehemaligen deutschen Konzentrationslagers in Polen aus dem Spiel zu entfernen.

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Gefahr Down Under

In Australien berichtete die Polizei am Freitag von mehreren Vorfällen, darunter ein Überfall auf ein junges Paar in einem Park im Süden von Sydney. Zwei Maskierte hätten den beiden 29-Jährigen aufgelauert und sie mit einer Schusswaffe bedroht. Die beiden Pokémon-Spieler war am Abend auf Monsterjagd in dem Park unterwegs. Die mutmaßlichen Täter flohen ohne Beute.

Noch häufiger kommt es zu Beinahe-Unfällen im Straßenverkehr: In Sydney mussten zwei 17-Jährige eine Strafe zahlen, weil sie das Spiel am Steuer ihres Autos spielten, wie die Polizei mitteilte. Nur wenige Tage zuvor konnte im Bundesstaat Western Australia eine Polizeiauto nur knapp einem Mädchen ausweichen, das auf sein Handydisplay starrte. "Pokémon ist gefährlich", warnte die Polizei daraufhin im Kurzmitteilungsdienst Twitter.

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App in die Hölle?

Ein hochrangiger islamischer Gelehrter hält die Smartphone-App „Pokémon Go“ für Sünde. Das Spiel zu spielen sei genau so verboten, wie Alkohol zu trinken, sagte der Vize-Scheich der renommierten Kairoer Al-Azhar, Abbas Schuman, am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Das Spiel habe einen negativen Einfluss auf die Spieler, ohne dass diese das bemerkten. Die Al-Azhar ist eine der wichtigsten religiösen Institutionen der islamischen Welt.
Es gehe nicht darum, neuartige Technologien generell abzulehnen, sagte Islam-Gelehrte. Aber einige Menschen benutzten sie geradezu „obsessiv“ und würden darüber Arbeit und Gebet vernachlässigen. Zudem müsse verhindert werden, dass durch das Spiel auch Gebetsorte oder staatliche Institutionen negativ beeinflusst würden, sagte er. Dieses Bild aus Saudi-Arabien lässt derweil erahnen, dass sich nicht alle Muslime dieser Interpretation anschließen möchte.

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Auf Abwegen

Ein Franzose hat sich bei der Jagd auf Pokémons auf das Gelände eines indonesischen Militärstützpunkts verirrt. An einem Kontrollpunkt der Militäranlage in Cirebon sei der 27-Jährige am Montagabend festgenommen worden, teilte ein Polizeisprecher der Provinz West-Java am Dienstag mit. Einige Stunden später sei er freigelassen worden: Es sei deutlich geworden, dass er die Anlage unabsichtlich bei der Jagd auf die kleinen virtuellen Monster betreten habe. Der Franzose arbeitet den Angaben zufolge für ein Unternehmen in Jakarta. Er hatte Cirebon, rund 190 Kilometer östlich der indonesischen Hauptstadt, einen Besuch abgestattet. Die Behörden hatten bereits die Pokémon-Jagd am Präsidentenpalast untersagt.

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Apropos Indonesien

Die Nationalpolizei und die Marine Indonesiens haben ihren Einsatzkräften die Pokémon-Jagd verboten. Man sorge sich, dass die Beamten süchtig nach dem Spiel „Pokémon Go“ werden und vergessen könnten, ihrem eigentlichen Job nachzugehen, sagte Polizeisprecher Boy Rafli Amar am Mittwoch. Das Handy-Spiel, bei dem per App und Handykamera Monsterfiguren an realen Orten gesammelt werden, erlebt gerade einen weltweiten Hype. Im südostasiatischen Inselstaat ist das Spiel nicht offiziell verfügbar, kann aber über einen Trick in Internet runtergeladen werden.

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Wie wichtig es ist, den Spieltrieb seiner Kunden anzusprechen, hat auch Tesla-Chef Elon Musk erkannt. Wer sich ins Elektroauto Model S setzt, blickt auf das riesige Touch-Display. „Im Cockpit fühlt man sich wie im Raumschiff“, verspricht Musk und appelliert an den Spieler am Steuer.

Tesla hat eine Idee perfektioniert, die Konkurrent BMW schon vor 15 Jahren zu realisieren versuchte: Statt das Auto über unzählige Knöpfe und Schalter zu steuern, lassen sich die Funktionen an einer zentralen Stelle bedienen. BMWs iDrive genannter Universalschalter aber begeisterte mit seiner Flut von Optionen nur die Ingenieure. Die Kundschaft dagegen schäumte ob der umständlichen Bedienung.

Beim Model S dagegen bedient sich das Riesendisplay wie ein Smartphone. Zudem findet der Fahrer dort reichlich augenzwinkernd betitelte Optionen. Der – selbstironisch „Insane“ genannte – Fahrmodus etwa aktiviert die „irrsinnige“ Beschleunigung. Dann katapultiert sich der Stromer in 3,3 Sekunden von 0 auf 100 Kilometer pro Stunde. Für 11 100 Euro Aufpreis gibt es den „Ludicrous“-Modus. Dank „Aberwitz“-Erweiterung gelingt der Sprint in 3,0 Sekunden.

Fahrspaß pur und sicher ein Schlüssel zum Erfolg. Während BMW 2015 vom 7er in den USA nur knapp 9300 Exemplare absetzte, verkaufte Musk gut 25 200 Model S.

Hype um Pokémon Go

Wir sind eine Gesellschaft der großen Kinder

von Ferdinand Knauß

Das gilt nicht bloß beim Sport: Wettbewerbselemente halten die Nutzer bei der Stange. Schon zu Zeiten von Gameboy und Spielkarten setzten die Vorgängerversionen von Pokémon massiv auf das Sammel- und Konkurrenzprinzip. Wer fängt die stärksten, bändigt die meisten Monster? Und wessen Charaktere sammeln im Wettstreit mit den Kreaturen anderer Spieler die meisten Punkte? Genau das haben die Entwickler auch in die neue AR-Variante des Spiels übertragen. Das sorgt für Dynamik und vermittelt wegen der Vielzahl der in der realen Welt platzierten Kreaturen jede Menge Erfolgserlebnisse.

Dieser Wettbewerbsgedanke, auf Englisch „Gamification“ genannt, wirkt weit über die Spielewelt hinaus, gilt längst für alle Branchen. Gamification sei heute „eine der treibenden Kräfte im globalen Innovationswettlauf“, sagt Phil McKinney, lange Jahre Technologiechef bei Hewlett-Packard (HP).

"Pokémon GO" ist der Durchstarter im App-Store schlechthin. Auch in Deutschland ist das Poké-Fieber längst ausgebrochen. Doch wie funktioniert diese App eigentlich?

Das wohl erfolgreichste Beispiel für den Einsatz dieses Prinzips sind die smarten Fitnesstracker, von Armbändern wie Jawbone und Fitbit bis hin zu Smartwatches. Gesund sein will jeder, doch seinen Lebenswandel im Blick zu behalten, um gesund zu leben, das war vielen lange zu viel. Jetzt aber verwandeln Fitness-Apps und Selbstvermessungsgadgets das Zählen von Schritten oder Puls in einen Konkurrenzkampf mit Kollegen oder Freunden. Für die Hersteller der Technik ist das ein Riesengeschäft: Laut dem US-Marktforscher Gartner setzten sie 2015 weltweit mit dem Verkauf von gut 230 Millionen elektronischen Armbändern und Uhren fast 29 Milliarden Dollar um.

3. Der Kunde liebt Vertrautes

Die bunten Taschenmonster haben seit Mitte der Neunzigerjahre mehrere Kindergenerationen geprägt. Was Wunder, dass Nintendo beim neuen, in die erweiterte Realität übertragenen Spiel erfolgreich an die Emotionen und Kindheitserinnerungen von Millionen potenzieller Nutzer andocken kann.

Mit den gleichen Mechanismen emotionaler Bindungen und Vertrautheit gelang auch Polaroid und Fujifilm die fulminante Wiedergeburt eines vermeintlich überholten Produkts: der Sofortbilder.

Obwohl genauso vom Umbruch der Fotowelt betroffen wie Analogfilme, erleben Polaroidkameras und -filme ein solches Comeback, dass die Hersteller nicht bloß mit der Fertigung der teuren Bilderkartuschen nicht mehr nachkommen. Alleine die Sofortbildkamera instax von Fujifilm verkaufte sich dank Retroeffekt 2015 weltweit 4,3 Millionen Mal. Polaroid schaffte selbst zu besten analogen Zeiten nur vier Millionen.

4. Der Kunde hört auf Freunde

Der Pokémon-Virus im sozialen Umfeld breitet sich derart rasch aus, dass, wer mitreden will, das Spiel selbst ausprobieren muss. Ab einer kritischen Größe führt das zu einem quasi lawinenartigen Anwachsen der Nutzerzahlen. Im Fall des AR-Spiels setzte der Netzwerkeffekt schon nach wenigen Tagen ein. Das soziale Netzwerk Facebook etwa hatte für eine ähnliche Marktdurchdringung noch mehrere Jahre benötigt.

Was Innovationen erfolgreich macht
Spaß
Wettbewerb
Emotion
Viralität
Reduktion

Doch der Effekt zieht nicht bloß bei digitalen Angeboten. Auch dem Wuppertaler Mittelständler Vorwerk gelang es so, seinen Küchenautomaten Thermomix mit einer Kombi aus Community-Gedanken, funktionaler Finesse und prominenten Fürsprechern zum Trendutensil zu machen. Auch bei wenig küchenaffinen Zeitgenossen, die sich zuvor weder für KitchenAid- noch für Bosch- oder Kenwood-Geräte interessiert hatten. Allein die jüngste, 1200 Euro teure Gerätegeneration, die den Austausch von Rezepten über eine Internetplattform ermöglicht, verkaufte sich in weniger als einem Jahr weltweit eine Million Mal.

Pokémon Go erklärt sich von selbst. Selbst wer das Spiel nur als nervendes Kinderhobby kannte, kann sofort mitmachen. Wie von Geisterhand tauchen die Figuren im Display auf. Mit einem Fingerstreich lenkt der Spieler den Pokéball, der die Pixelmonster fängt. Mögliche Mitspieler erscheinen im Umgebungsbild, sobald sie sich nähern.

Die radikale Reduktion aufs Wesentliche hat auch Apple perfektioniert: Der Nutzer soll neue Geräte einfach anschalten und loslegen. „Innovation heißt, zu 1000 Dingen Nein zu sagen“, war eines der Mantras von Apple-Gründer Steve Jobs, der den Funktionsumfang konsequent limitiert hat.

Das hätte besser auch Google beherzigt. Der Konzern stellte 2009 den Dienst Wave vor, der E-Mails ablösen sollte. Nur überfrachteten die Entwickler das Messaging-Tool mit Funktionen, und Wave floppte. WhatsApp-Gründer Jan Koum wählte den umgekehrten Weg. Bei seiner Handy-App übertrug er die Chatfunktion der PC-Messenger-Programme auf mobile Geräte. Kombiniert mit der Möglichkeit, Komplexes durch wenige, witzige Icons und Emoticons auszudrücken. Damit ist WhatsApp heute tatsächlich für weltweit mehr als eine Milliarde Menschen der unverzichtbare Nachfolger der E-Mail.

Die Gunst des rechten Augenblicks

Bei all dem aber ist sowohl der Erfolg von WhatsApp als auch jener von Pokémon Go auch einer Größe geschuldet, die sich von Produktstrategen kaum planen, wohl aber erkennen lässt: dem perfekten Zeitpunkt.

Beide Apps boomen auch, weil Smartphones heute Allgemeingut sind und Datenflatrates fürs mobile Internet Standard. Die so beliebte digitale Hatz nämlich ist im Grunde bloß die Neuauflage einer alten Spielidee namens Ingress. John Hanke, Chef der früheren Google-Tochter Niantic, hatte das Spiel 2012 erstmals publiziert. Die virtuelle Schnitzeljagd aber blieb ein Nischenphänomen – auch wegen der damals noch drastisch höheren Kosten fürs mobile Internet.

Nicht anders ist es mit den Datenbrillen, die wie kein anderes Gadget für Augmented Reality stehen. Vor vier Jahren stellte Google Glass vor, seinen Computer auf der Nase. Doch schon 2015 war damit Schluss: Der Akku hielt nicht lange, die Bedienung hakte, und die Öffentlichkeit akzeptierte die Brille mit ihrer augenfälligen Kameralinse nicht.

„Der kritische Punkt ist erreicht, wenn AR-Displays auf die Größe normaler Brillen oder gar Kontaktlinsen schrumpfen“, sagt Klaas Kersting, Chef des deutschen Spielestudios Flaregames. Genau daran arbeitet etwa der deutsche Optikspezialist Zeiss. Eine AR-Brille, der niemand mehr ihre Fähigkeiten ansieht. Gelingt es den Zeiss-Entwicklern, ihre Idee serienreif zu bekommen, erfüllte sich nicht nur der Traum von Millionen Pokémon-Fans, überall unauffällig auf Monsterjagd gehen zu können.

„Dann“, sagt Kersing, „hat die Technik das Potenzial, die Welt zu verändern.“

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