Fragwürdige Diagnosen und Therapien Das dubiose Geschäft mit dem Vergessen

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Gefährliche Alzheimer-Präparate

Die Volkskrankheiten der Deutschen
AU-Bescheinigung Quelle: dpa
Gehirnansicht Quelle: dpa/dpaweb
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Raucherin Quelle: dpa
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Wiederholt warb Hampel auch für den verstärkten Einsatz bestimmter Alzheimer-Medikamente. Nur 10 bis 20 Prozent der Alzheimer-Kranken bekämen in Deutschland die richtige Therapie, monierte er. Mit der richtigen Arznei könne der Umzug ins Pflegeheim um Jahre aufgeschoben werden. Doch auch dafür gibt es keinerlei Nachweis. Schon vor Jahren kam das IQWiG zum Schluss, dass die auf dem Markt befindlichen, millionenfach verkauften Alzheimer-Medikamente weder die Lebensqualität von Demenz-Kranken verbessern noch den Aufenthalt in Pflegeheimen hinauszögern können.

Stattdessen haben die von Hampel beworbenen Medikamente teils erhebliche Nebenwirkungen. Sie reichen von Schwindel, Halluzinationen, Benommenheit, Kopfschmerzen, Angst- und Wahnvorstellungen bis hin zum Tod.

Und siehe da: Hampel erhielt jahrelang finanzielle Zuwendungen – unter anderem von den Herstellern genau jener Alzheimer-Medikamente, die er bewarb: Es handelte sich um Berater- und Vortragshonorare sowie Zuschüsse für Forschungsprojekte, Tagungen und Veranstaltungen.

Unklar ist, wo Hampel heute ist. Im Herbst 2012 teilte er mit, er habe einen Ruf auf einen Lehrstuhl an einer der weltweit renommiertesten Spitzenuniversitäten erhalten. Doch seit Monaten ist er wie vom Erdboden verschluckt. Weder langjährige Kollegen noch die ihm eng verbundene Hirnliga – ein als gemeinnütziger Verein getarnter Lobbyverband zur Förderung der Alzheimer-Forschung – wollen oder können verraten, wo er ist. Und auch die Berliner Promikanzlei Schertz Bergmann, die Hampel vertritt, beantwortete keine der übersandten Fragen bis zum Redaktionsschluss.

Lukratives Geschäft

Fest steht: An der Idee, dass Früherkennung Alzheimer lindern oder gar stoppen könne, verdient eine ganze Industrie. Forscher, die ihre Karriere auf die Entwicklung neuer Tests gründen. Medizintechnikhersteller wie Philips, Siemens und GE Healthcare, deren Millionen Euro teure MRT- und PET/CT-Geräte auch für diese Tests genutzt werden. Radiologische Privatpraxen, die mit der Alzheimer-Vorsorge Kunden ködern und zu lukrativen Untersuchungen locken. Arzneimittelhersteller, die ihre Medikamente verkaufen wollen.

So wehren sich Pfleger, Masseure und Therapeuten
Platz 10: MasseureDie Ermittler der Krankenkasse KKH haben die Aktivitäten von Masseuren und medizinischen Badebetrieben zu einer Fallgruppe zusammengefasst. 2011 war dieser Bereich noch nicht so auffällig. 12 Fälle sind ihnen im vergangenen Jahr aufgefallen. Damit landen Masseure und Badebetrieb bei der Krankenkasse mit 1,8 Millionen Versicherten auf Platz 10 der Rangliste, die von der Krankenkasse angelegt wurde. Auf Anfrage merkte der Verband Physikalische Therapie - Vereinigung für die physiotherapeutischen Berufe (VPT) an, die Fallzahl sei relativ gering. Im Gesundheitssystem arbeiteten 2011 insgesamt ca. 212.000 Physiotherapeuten und Masseure und med. Bademeister. Davon gehörten ca. 76.000 Therapeuten der Berufsgruppe der Masseure und med. Bademeister an. Angesichts dieser Zahlen solle man nicht eine ganze Berufsgruppe unter Generalverdacht stellen. Quelle: dpa/dpaweb
Gegenrede der Masseure: "Keine Betrugsabsicht"Bei vielen von der KKH als "Betrug" bezeichneten Vorgängen könnte es sich um reine Abrechnungsprobleme handeln, erklärte der Verband Physikalische Therapie - Vereinigung für die physiotherapeutischen Berufe (VPT). Gemeint seien hier etwa Rezepte, die von einem Arzt unvollständig oder falsch ausgefüllt und dann von einem Therapeuten angenommen und abgearbeitet worden seien. Nicht jede Ermittlung führe zudem zu einem Schuldspruch. Bundesgeschäftsführer Udo Fenner: "Wir schließen ausdrücklich nicht aus, dass es schwarze Schafe unter den Leistungserbringern im Gesundheitswesen gibt. Aber: Vorwürfe müssen bewiesen werden und im konkreten Einzelfall dann auch zu rechtlichen Konsequenzen führen." In diesem Sinne unterstütze der Verband die Forderung der KKH auf klare gesetzliche Vorgaben gegen Korruption im Gesundheitswesen ohne Einschränkung. Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Platz 9: ErgotherapeutenIn etwa gleich geblieben ist die Zahl von Betrugsfällen, in die Ergotherapeuten verwickelt sind. 18 Fälle waren es bei der KKH im vergangenen Jahr, 17 im Jahr davor. Ein typischer Fall sei: Es wird eine Einzeltherapie verordnet, durchgeführt werden aber nur Gruppenbehandlungen. Oder: Das behandelnde Personal hat nicht die vorgeschriebene Qualifikation zur Behandlung. Quelle: dpa
Ergotherapeuten klagen über Bürokratische VorgabenDer Deutschen Verband der Ergotherapeuten e.V. (DVE) sieht die Kritik der KKH ganz entspannt, wie die beiden Models in einer Entspannungskabine auf der Fachmesse "Therapie" in Leipzig. Eingeräumt wird zwar, dass es immer wieder mal Abrechnungsprobleme aufgrund von falsch ausgefüllten Verordnungen gebe. Doch es sei kein Fall bekannt, bei dem eine vorsätzliche Abrechnungsmanipulation vorliege oder die Staatsanwaltschaft ermittele. Andererseits wird uns von diversen Krankenkassen in Gesprächen immer wieder bestätigt, dass die ergotherapeutischen Praxen im Abrechnungsgeschehen kaum ernsthafte Probleme bereiteten. Der latente Vorwurf der Manipulation von Abrechnungen, aber auch die immer bürokratischeren Vorgaben mache für die rund 6.500 Ergotherapiepraxen in Deutschland die Abrechnung und sonstige Zusammenarbeit mit den Krankenkassen manchmal zu einer sehr belastenden Angelegenheit. Quelle: dpa/dpaweb
Platz 8: KrankenhäuserEine Klinik in Niedersachsen habe geriatrische Komplexpauschalen abgerechnet, obwohl seit Juni 2012 kein Geriatrie-Arzt mehr dort beschäftigt gewesen sei, stellte die Krankenkasse KKH fest. Auch davor seien schon entsprechende Leistungen abgerechnet, die nicht vom damals noch angestellten Geriater erbracht wurden. Die Ermittlungen liefen noch. Die KKH stellte im Zusammenhang mit Krankenhäusern 21 Fälle mit falschen Abrechnungen fest. Quelle: dpa
Platz 7: RettungsdiensteSchon 2011 ermittelten die Fahnder der Krankenkasse aus Hannover in 35 Fällen, bei denen es um unzulässige Beförderungen ging. Ein Problem dabei: Es werden Fahrten vorgenommen, ohne dass die dazu eingesetzten Personen über die erforderlichen Personenbeförderungsscheine verfügen. Zudem verfügen die Unternehmer über keine Konzession für die Fahrten. Auch im vergangenen Jahr entdeckte die KKH weitere 31 Fälle. Nach Angaben des Verbandes der Rettungsdienste gab es im Jahre 2012 etwa 315.000 Beförderungen von KKH-Versicherten durch die Rettungsdienste. Damit liege der Anteil der beschriebenen Vorgänge bei Fahrtkosten im unteren Promillebereich.   Quelle: AP
Gegenrede der Rettungsdienste: Fehleranfällige VerordnungDer Deutsche Berufsverband der Rettungsdienst e.V. geht davon aus, dass es sich bei den Fällen der KKH nicht um vorsätzliche Betrugsfälle handelt. Das Problem sei, dass die Verordnung einer Krankenbeförderung zu fehleranfällig sei. So müsse ein Arzt mehrere Angaben auf der Verordnung beachten, die ihm offensichtlich nicht immer schlüssig seien. Bei einem Krankentransport werde immer wieder mal angekreuzt, dass eine medizinisch-fachliche Betreuung nicht notwendig sei. Damit könne ein Krankentransport aber nicht abgerechnet werden. Wenn die Besatzung dies merke und dann das Praxis- oder Krankenhaus-Personal darauf anspreche, werde das Kreuz häufig lediglich ohne Unterschrift geändert. Das komme jedoch einer Urkundenfälschung und anschließendem Abrechnungsbetrug gleich. Der Verband wisse von zahlreichen Fällen, wo Ärzte in den Notaufnahmen nicht erreichbar waren oder sich weigerten, eine Unterschrift zu leisten. Und das obwohl der Notfallpatient mit einem Rettungsmittel befördert wurde. In solchen Fällen könne es schon mal vorkommen, dass einfach ein Pfleger unterschreibt. Auch das wäre eine Unregelmäßigkeit, die eine Krankenkassen nicht tolerieren muss.  Quelle: AP

Und nicht zuletzt die Universitätskliniken, die verunsicherte Menschen über sogenannte Gedächtnissprechstunden oder Memory Clinics in ihre Häuser locken – um so den Nachschub an Patienten und Probanden für ihre Forschung sicherzustellen. Prestigeträchtige Projekte nämlich bringen den Hochschulen Geld und Renommee. Und genau darauf sind die meisten Unikliniken heute angewiesen, um im Konkurrenzkampf zu bestehen.

Auch die Diagnostikfirma MPCH ist eine Geschäftsidee des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Schon früh hatte der damalige Chef des UKE, der Radiologe Jörg Debatin, erkannt, dass das Geschäft mit medizinischen Check-ups und Prävention boomt. Über die Tochterfirma MPCH wollte das Uniklinikum diesen Markt aufrollen. Denn anders als die auf Gemeinnützigkeit verpflichtete Hochschule ist das MPCH eine GmbH & Co. KG. Sie darf sich ganz legal dem Geldverdienen widmen.

Ein pfiffiger Plan. Denn die Mediziner von Universitätskliniken genießen bei Patienten großes Vertrauen. Kaum ein Laie ahnt, dass deren medizinische Ratschlüsse – wie im Fall des Hamburger Brainchecks – mitunter nicht viel mehr sind als wissenschaftlich verbrämte Kaffeesatzleserei.

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