Kleiner Pieks, große Wirkung Impfung ersetzt Hunderte Pillen

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Forscher müssen immer wieder um die Ecke denken

Gelegentlich stoßen die Forscher auch auf echte Überraschungen. Etwa bei der Grippeimpfung. Sie senkt verblüffenderweise die Herzinfarkt-Rate, wie Raina MacIntyre und ihr Team von der Universität New South Wales in Sidney jüngst herausfand. Über 50-Jährige, die gegen Grippe geimpft sind, bekamen nur halb so oft einen Infarkt wie ungeimpfte, so das Studienergebnis.

Das vermutete Wirkprinzip: Eine Grippeerkrankung löst Entzündungsprozesse im Körper aus. Die könnten wiederum dazu führen, dass sich Ablagerungen – die Plaques – in Adern lösen und diese Gerinnsel bereits verengte Gefäße im Herz blockieren. Genau das ist ein Infarkt.

Die wichtigsten Fakten zu Aids

Ähnlich um die Ecke gedacht sind die Versuche mehrerer Forschergruppen, Autoimmunkrankheiten zu bekämpfen, bei denen der Körper versehentlich eigenes Gewebe angreift. Sie nutzen die klassische Impfung gegen Tuberkulose (TB), um die erbliche Zuckerstoffwechselkrankheit Diabetes oder die multiple Sklerose zu behandeln. Hier geht es darum, dem überaktiven Immunsystem ein anderes Ziel anzubieten, an dem es sich abreagieren kann.

Oft hilft der Zufall weiter

So gelang es Forschern aus Boston, das Immunsystem von Diabetikern davon abzuhalten, die Insulin produzierenden Zellen zu zerstören. Nach der TB-Impfung stellte ihr Körper das blutzuckersenkende Insulin wieder selbst her, das sie über Jahre hatten spritzen müssen .

Mit derselben Strategie konnten mehrere Wissenschaftlergruppen nach ersten Anzeichen einer multiplen Sklerose ein weiteres Fortschreiten der Krankheit verhindern. Auch hier lautet die Hypothese, dass das Vortäuschen einer leichten Infektion die fehlgeleiteten Abwehrtruppen des Körpers davon abhält, Unheil anzurichten. Denn unbehandelt zerstören die Abwehrzellen die elektrischen Isolierschichten, die die Nerven umgeben. Ohne diese Schutzschicht kommt es zu Kurzschlüssen und Fehlschaltung der elektrischen Nervenimpulse. Das verursacht Schmerzen und im Extremfall tödliche Lähmungen.

Auch beim Altersleiden Alzheimer half den Wissenschaftlern der Zufall weiter, wie es jüngst Walter Schmidt erlebte. Das von ihm mitgegründete Wiener Unternehmen Affiris testete an 322 Patienten einen Impfstoff namens AD02, der Plaques auf den Nervenzellen abbauen sollte. Diese Ablagerungen werden für Alzheimer verantwortlich gemacht.

Adjuvans gegen geistigen Verfall

Doch weil die Flüssigkeit, die die Affiris-Mediziner spritzten, trübe war, musste für die Kontrollgruppe eine ebenso trübe Lösung ohne Wirkstoff her. Die Affiris-Forscher versetzten die Kontrolllösung deshalb mit einem bereits bekannten Impfverstärker, einem Adjuvans.

Nach Abschluss der Studie stellten die Affiris-Forscher überrascht fest: Der eigentliche Wirkstoff hatte nicht den geringsten Effekt, die Kontrolle schon. Schmidt sagt: „Das Adjuvans stoppte das für Alzheimer typische Schrumpfen der Hirnregion namens Hippocampus – und auch den geistigen Verfall.“

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