Serie Wirtschaftswelten 2025 Wie der Mensch zum Roboter wird

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Smarte Cyborgs

Auch an Ideen, wie wir unsere Sinne erweitern könnten, mangelt es nicht: Magnetismus spüren, Funknetze oder Farben hören – Body-Hacker probieren das bereits aus. Und viele behinderte Sportler versuchen verlorene Funktionen nicht nur zu ersetzen, sondern ihre Prothesen besser zu machen als das Original: etwa indem sie zusammen mit Forschern Technobeine entwickeln, mit denen sie schneller laufen, höher springen oder besser in Felswänden klettern können als normale Menschen.

Aber was ist künftig noch normal? Wird, wer sich nicht maschinell aufrüstet, bald das Nachsehen im Job haben? Weil smarte Cyborgs an ihm vorbeiziehen? Wie Studien zeigen, empfinden wir die künstlichen Ersatzteile schnell als ganz natürlichen Teil unseres Körpers.

Wie sich dabei die eigene Persönlichkeit verändern kann, erlebte der Frankfurter Soziologie-Professor Helmut Dubiel am eigenen Leibe: Eine Hirnelektrode dämpfte zwar die Beschwerden durch sein Parkinson-Leiden wie Zittern und Lähmungen, doch sie machte ihn niedergeschlagen, und er konnte nur noch nuscheln.

Wo die Grenzen des technisch Möglichen und ethisch Vertretbaren liegen, das ertasten die Menschen gerade erst. Kaum jemand wird auf die enormen Chancen der neuen Technologien verzichten wollen: wieder gehen, wieder hören, wieder sehen zu können. Damit diese Menschheitsträume Wirklichkeit werden, braucht es mutige Menschen. Forscher wie den Roboterspezialisten Cheng, der sich nicht scheut, selbst die verrücktesten Ideen umzusetzen. Menschen wie Natalie Girth, die das Experiment wagen, sich elektronische Bauteile in den Kopf pflanzen zu lassen. Unternehmer wie Florian Solzbacher, der den Gehirnstecker zu einem marktreifen Produkten macht.

Auf den kommenden Seiten stellen wir Ihnen diese Pioniere vor:

Tomm der Gefühlvolle: Forscher Gordon Cheng baut Maschinen mit Tastsinn, die Gelähmte wieder laufen lassen – gesteuert per Gedanken.

Der Roboter-Dompteur: Gordon Chengs Maschinen können fühlen und quasi Gedanken lesen Quelle: Dieter Mayr für WirtschaftsWoche

Natürlich, was sonst? Wenn Gordon Cheng mit seiner achtjährigen Tochter Amane ins Kino geht, dann schauen sie – einen Roboterfilm. Den neuesten Disney-Trickfilm über einen aufblasbaren Erste-Hilfe-Androiden finden Vater und Tochter dann auch prompt „cool“. Der Titel des Streifens: „Riesiges Robowabohu“.

Das wünscht sich Cheng in seinem Labor ganz bestimmt nicht. Hier im Institut für Kognitive Systeme der Technischen Universität München baut der 46-jährige Informatiker genau solche Roboter, die Menschen helfen. Er ist einer derjenigen, der Lahme wieder gehen lassen will. So wie den Querschnittsgelähmten Juliano Pinto, der bei der Eröffnung der Fußball-WM 2014 ein Exoskelett von Cheng trug. Der Forscher ist derzeit einer der weltweit wichtigsten Wegbereiter von Maschinen, die Menschen nicht nur ein besseres Leben ermöglichen, sondern ihnen auch übernatürliche Kräfte verleihen können.

Das WM-Projekt hatte Cheng schon 2008 mit Hirnforscher Miguel Nicolelis von der Duke-Universität in den USA angestoßen. Damals arbeitete der in Macau geborene und in Australien aufgewachsene Wissenschaftler noch in Japan. Und hatte sich bereits einen Namen gemacht. Die TU München konnte ihn 2009 nach Deutschland locken, indem sie ihm ein neues Institut anbot. Als Chengs Frau Ja sagte zur Bayern-Metropole, zog der vor Ideen sprühende Roboterforscher in die zweite Etage eines unscheinbaren Häuserblocks in der Karlstraße unweit des Hauptbahnhofs. Dort werkelt Chengs 20-köpfiges Forscherteam seither neben Luftballon-Shop, Kopierservice und gegenüber von Tengelmann.

Wer ihn besucht, betritt schlagartig eine andere Welt. Hier kann auf einmal aus dem Aufzug der kühlschrankgroße Roboter PR2 – allein und ohne Aufsicht – herausrollen. Denn den trainiert Cheng gerade, Lift zu fahren, Post zu verteilen und dreckige Kaffeetassen einzusammeln.

Spätestens auf der zweiten Etage wimmelt es dann vor menschenähnlichen kleinen und großen Maschinen. Dort steht auch Tomm, ein Industrieroboter, der verkleidet ist mit einer künstlichen Haut, der spannendsten Neuentwicklung von Cheng.

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