Ehemaliger VW-Chefhistoriker Grieger Entsorgung eines Aufklärers

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Grieger war zu kritisch

Die Verbindung zu VW ist jetzt an Griegers Kritik an einer solchen lästigen Pflichtübung gescheitert.

Er hatte in einer Rezension für eine Fachzeitschrift recht pointiert kritisiert, dass den Autoren einer Studie der Konzerntochter Audi eigentlich die Tatsache wichtiger war, dass die traditionsreiche sächsische Automobilindustrie als Folge des nationalsozialistischen Krieges abgewickelt wurde, als die Rolle des Unternehmens im Dritten Reich zu klären, was eigentlich der Auftrag gewesen war. Da VW Grieger wegen dieser Kritik an dem Produkt einer Konzerntochter die Möglichkeit nehmen wollte, sich als Wissenschaftler frei zu äußern, bat er um die Auflösung seines Vertrages.

Unseres Erachtens ist nicht nur VW gut damit gefahren, Unternehmensgeschichte produktiv einzusetzen. Selbst wenn es nur eine Art historischer Vorwärtsverteidigung oder ritualisierte Katharsis war, die als Reaktion auf Berichte in den Medien entstanden, konnten Unternehmen nach Vorstellung einer entsprechenden Studie erwarten, dass ihnen geglaubt wurde, dass sie sich zumindest bemühten. Und, ganz wichtig: Kein Journalist konnte nun noch Furore machen, indem er bislang verschwiegene Details der Geschichte dieses Unternehmens aufdeckte.

Ob und wie eine Studie dem Forschungsstand und Niveau der Unternehmensgeschichte entsprach, entschied sich in der akademischen Diskussion des Werkes, die nach wie vor der Lackmustest für jegliche Untersuchung ist. Die Familie Quandt, die nach Ausstrahlen eines skandalisierenden TV-Beitrags im Herbst 2007 unter enormem Handlungsdruck von außen stand, hat seit Erscheinen des Buchs des von ihr beauftragten Zeithistorikers Joachim Scholtyseck Ruhe an der historischen Front, obwohl (oder weil) er die Vorwürfe im Wesentlichen bestätigte.

Wie schwer es ist, die produktive Funktion einer wissenschaftlichen Unternehmensgeschichte zu nutzen, hat Anfang des Jahres die Lufthansa gezeigt. Sie besaß seit dem Ende der 1990er Jahre ein von einem Schriftsteller verfasstes Manuskript, das ursprünglich nicht veröffentlicht wurde, da es in offenen Widerspruch zum Forschungsstand über den Nationalsozialismus stand.

Wie die Auto Union Hitlers Geburtstag feierte
Hitler-AutoUnion-Buch
Oldtimer der Auto Union Quelle: dpa
Logo der Auto Union an einem Oldtimer Quelle: dpa
Oldtimer der Auto Union Quelle: dpa
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Hitler-AutoUnion-Buch
Hitler-AutoUnion-Buch

Als die Leitung des Unternehmen, das im Wettbewerb mit den Low-Cost-Carriern gerne seine Tradition anführt, Anfang dieses Jahres erfuhr, dass eine ohne Mitwirkung des Unternehmens entstandene wissenschaftliche Studie kurz vor der Veröffentlichung stand, brachte sie das Buch des mittlerweile verstorbenen Schriftstellers auf den Markt.

Wie deutsche Unternehmen mit ihrer NS-Zeit umgehen
Daimler-Plakat Quelle: Todor Bozhinov Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported
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Dahinter stand offenbar die Idee, eine Art Gegengewicht gegen erwartete Enthüllungen zu bilden und die Widersprüche „wegkommunizieren“ zu können. In der Öffentlichkeit kam das nicht gut an. Die Diskrepanz zwischen der gern gehegten Unternehmenstradition und den möglicherweise unbequemen Ergebnissen einer wissenschaftlichen Analyse hält auch bis heute noch Unternehmen wie Siemens und Airbus  davon ab, ihre Geschichte im Dritten Reich von unabhängiger Seite untersuchen zu lassen.

Die Trennung Manfred Griegers von VW ist zu bedauern, weil auf diese Weise ein Modell in Frage gestellt wird, das gezeigt hat, wie Geschichte von Unternehmen in ihrem genuinen Interesse genutzt werden kann. Schon seit längerem müssen sich die deutschen Automobilkonzerne Fragen gefallen lassen, die das Verhalten ihrer Tochterunternehmen in diktatorischen Ländern wie Brasilien, Argentinien oder Südafrika betreffen. Hier drohen Sammelklagen, und historische Aufklärung ist mehr denn je notwendig, um den Schaden der betroffenen Unternehmen einschätzen und begrenzen zu können.

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