Es ist eine neue Situation für Hans Dieter Pötsch. Über Jahre waren VW-Hauptversammlungen für ihn angenehme Veranstaltungen. Als Finanzchef lieferte er meist Rekordergebnisse und machte sich im Konzern viele Freunde. Seit 2003 gehört Pötsch zur Volkswagen-Familie, zwölf Jahre als Finanzvorstand und seit Herbst an der Spitze des Kontrollgremiums. Seit diesem Wechsel steht er im Kreuzfeuer der Kritik.
So mancher Aktionär sieht in dem 65 Jahre alten Pötsch eine Fehlbesetzung bei der Aufklärung der Hintergründe der Diesel-Affäre. Nicht nur, dass er ohne Abkühlphase vom Vorstand in den Aufsichtsrat wechselte, ist einigen Aktionären übel aufgestoßen. Ein Beispiel für die problematische Corporate Governance: Bei der Beschlussfassung zur Entlastung des Vorstands hat sich Pötsch enthalten. Logisch, saß er doch im vergangenen Jahr noch selbst im VW-Vorstand.
Bis heute ist seine Rolle als Vorstandsmitglied im Abgasskandal nicht unabhängig geklärt. Gegen den Konzern laufen Klagen, weil Anleger sich zu spät über die Abgas-Manipulationen informiert fühlen. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig laufen ausdrücklich nicht gegen Pötsch.
Wie VW im ersten Quartal abgeschnitten hat
Im Auftaktquartal 2016 hat Volkswagen 2,577 Millionen Fahrzeuge abgesetzt – zum ersten Quartal 2015 ein Rückgang von 1,2 Prozent (2,607 Millionen Fahrzeuge).
Zum Stichtag 31. März 2016 haben 613.075 Menschen für VW gearbeitet. Gegenüber dem Jahr 2015 sind das 0,5 Prozent mehr – damals waren es 610.076 Menschen.
In Deutschland sinkt jedoch die Zahl der VW-Mitarbeiter, zuletzt um 800 auf rund 277.900 Stellen. Der Zuwachs kommt aus dem Ausland, wo VW um fast 4.000 Stellen auf 335.200 Jobs zulegte.
Beim Umsatz musste VW im Vergleich zum Vorjahresquartal ein Minus von 3,4 Prozent hinnehmen. Die Umsatzerlöse sanken von 52,735 Milliarden Euro auf aktuell 50,964 Milliarden Euro.
Das operative Ergebnis (Ebit) stieg um 3,4 Prozent auf 3,44 Milliarden Euro – zum Jahresauftakt 2015 waren es noch 3,328 Milliarden Euro. Die operative Rendite stieg von 6,3 auf 6,8 Prozent.
Das Ergebnis nach Steuern ging deutlich zurück – von 2,932 Milliarden Euro im Q1 2015 auf aktuell 2,365 Milliarden Euro. Das entspricht einem Rückgang von 19,3 Prozent.
Die Marke Volkswagen Pkw verzeichnete in den ersten drei Monaten gegenüber dem Vorjahreszeitraum einen Volumen- und Umsatzrückgang. Der Umsatz von VW-Pkw sank von 26,3 Milliarden Euro auf 25,1 Milliarden Euro, der Absatz fiel von knapp 1,12 Millionen auf 1,07 Millionen Fahrzeuge. Infolge dessen ging das Operative Ergebnis vor Sondereinflüssen auf 73 (514) Millionen Euro zurück, die operative Marge erreichte im ersten Quartal 0,3 Prozent.
Mit 1,3 Milliarden Euro erreichte Audi annähernd wieder das operative Ergebnis vor Sondereinflüssen des Vorjahres. Bei einem nahezu stabilen Umsatz sank die operative Marge leicht von 9,7 auf 9,0 Prozent.
Bei Skoda stieg das operative Ergebnis aufgrund positiver Mixeffekte und geringerer Materialkosten um gut 30 Prozent auf 315 (242) Millionen Euro. Die operative Marge legte bei deutlich gestiegenem Umsatz auf 9,3 (7,6) Prozent zu.
Seat verbesserte sein Operatives Ergebnis aufgrund von Kostenoptimierungen auf 54 (33) Millionen Euro. Dies entspricht einer Steigerung der Operativen Rendite auf 2,6 (1,5) Prozent.
Gemessen am operativen Ergebnis ist Bentley im ersten Quartal in die roten Zahlen gerutscht. Statt einem Gewinn von 49 Millionen Euro im Vorjahresquartal steht 2016 ein Minus von 54 Millionen Euro zu Buche. Volkswagen begründet das mit gesunkenen Auslieferungen.
Porsche blieb auch zum Auftakt des laufenden Geschäftsjahres in der Erfolgsspur. Das Operative Ergebnis stieg weiter auf 895 (765) Millionen Euro und damit deutlich überproportional zum Umsatz, der aufgrund eines signifikant höheren Absatzes spürbar zulegte. Die operative Marge kletterte auf 16,6 (15,1) Prozent.
Das operative Ergebnis von Volkswagen Nutzfahrzeuge sank volumenbedingt auf 142 (165) Millionen Euro, die operative Marge ging auf 5,2 (6,1) Prozent zurück. Scania verbuchte einen leichten Anstieg des operativen Ergebnisses auf 244 (237) Millionen Euro und eine stabile operative Marge von 9,6 Prozent. Trotz des anhaltend schwierigen wirtschaftlichen Umfelds in Südamerika verbesserte MAN Nutzfahrzeuge das operative Ergebnis vor Sondereinflüssen unter anderem aufgrund des höheren Absatzes in Europa auf 65 (minus 13) Millionen Euro. Bei MAN Power Engineering belief sich das operative Ergebnis auf 48 (52) Millionen Euro.
Die Volkswagen Finanzdienstleistungen konnten ihr operatives Ergebnis deutlich auf 492 (403) Millionen Euro steigern. Insbesondere Volumeneffekte wirkten sich positiv aus.
Eine der Fragen, welche die Aktionäre in der Hannoveraner Messehalle 3 umtreibt: Kann Finanzmann Pötsch, der sich über Jahre bewusst im Hintergrund gehalten hat, nun die Rolle des Aufklärers und Reformers verkörpern?
Pötsch kann den Worten keine Taten folgen lassen
Seine einführenden Worte auf der Hauptversammlung am Mittwoch konnten den Kritikern denn auch den Wind nicht aus den Segeln nehmen. „Wir bedauern aufrichtig, dass die Diesel-Thematik einen Schatten auf dieses großartige Unternehmen wirft“, sagte Pötsch vor Aktionären, Vorständen und Aufsichtsräten. „Die vordringlichste Aufgabe für uns alle ist es deshalb, das Vertrauen wiederzugewinnen.“
Das Versprechen ist da - nur kann Pötsch noch keine Taten vorweisen. Neue Erkenntnisse zum Stand der Aufklärung fehlen. „Ich hatte gehofft, dass wir bereits heute über eine umfassende Einigung mit den US-Behörden berichten können“, sagt Pötsch. „Die Frist wurde bis zum 28. Juni verlängert. Die Verhandlungen befinden sich deshalb noch in einem sehr sensiblen Stadium.“ Es wäre für Volkswagen mit erheblichen Risiken verbunden, jetzt die vertraulichen Verhandlungen zu gefährden.
Dass Pötsch bei seinem Werben um Vertrauen noch viel Arbeit vor sich hat, zeigt die Generaldebatte. Gleich der erste Redner fordert seine Abwahl als Versammlungsleiter: „Herr Pötsch, Sie machen sich zum Richter in eigener Sache! Es ist schlicht untragbar, dass der blinde Wegseher die Versammlung leiten soll.“
Oder auch: „Es ist schon fast eine Binsenweisheit, dass die Führung von VW nicht den Standards einer guten Unternehmensführung entspricht“, schimpft Markus Dufner, Geschäftsführer des Dachverbands der kritischen Aktionäre. „Das ist vor allem die Schuld des Aufsichtsrats. Herr Pötsch, einen Neuanfang kann es mit Ihnen nicht geben!“
Immerhin: als Versammlungsleiter abgewählt wird Pötsch dann doch nicht. Nur 0,02 Prozent der Anwesenden stimmen für den Antrag.
Mit seinem Auftritt kann Pötsch die Bedenken der Aktionäre nur bedingt zerstreuen. Ja, er tritt klar auf, spricht trotz allen Gegenwinds mit fester Stimme – wohl auch, weil er sich an die empfohlenen Formulierungen der VW-Juristen hält. Aber: War die Macht im VW-Aufsichtsrat zwischen den Familien, dem Land Niedersachsen und Katar stets klar verteilt und gesichert, ist das Kontrollgremium unter Pötsch selbst zur Baustelle geworden.
Im Aufsichtsrat ist Pötsch unumstritten
Zahlreiche Umbesetzungen – zum Teil noch Spätfolgen des Rückzugs von Ferdinand Piech und Gattin Ursula im Frühsommer 2015 – haben die stabilen Strukturen geschwächt. Das Machtgefüge bröckelt: Kurz vor der Hauptversammlung haben die Familien und Katar ihr Vorhaben gestoppt, das Land Niedersachsen mit einer Kapitalerhöhung unter die 20-Prozent-Marke zu drücken – und durch Wegfall des Vetorechts damit zu entmachten.
Das Bild eines starken Aufsichtsratsvorsitzenden, der analysiert, kontrolliert und bestimmt handelt, sieht anders aus. Auch, weil Pötsch wegen der fehlenden Einigung mit den US-Behörden in wichtigen Bereichen noch die Hände gebunden sind.
Zumindest im Aufsichtsrat und im Konzernvorstand ist Pötsch inzwischen unumstritten. Er leite die Aufsichtsratssitzungen sehr souverän, sachlich und fungiere auch dank seiner klaren Worte als professioneller Mittler zwischen den Interessensgruppen, heißt es unisono von unterschiedlichsten Mitgliedern. Wann immer in den vergangenen Monaten in den Medien an Pötsch gezweifelt wurde, es dauerte nicht lange, bis ihm namhafte Aufsichtsräte wie VW-Großeigner Wolfgang Porsche zur Seite standen.
Doch auch ein geschlossener Auftritt der Familien als wichtigste Eigentümer konnte nicht verhindern, dass institutionelle Investoren wie auch Privatanleger ihrem Unmut mit Gegenanträgen Luft machen. Aktionäre wie die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), der britische Pensionsfonds-Vertreter Hermes oder der Hedgefonds TCI wollen VW wegen der angeblich zu späten Information an die Finanzwelt zu einer unabhängigen Sonderprüfung zwingen.
Außerdem schmeckt es vielen Investoren nicht, Vorstand und Aufsichtsrat zu entlasten, wie es die Tagesordnung vorsieht. Sie fordern angesichts der Krise und des bisherigen Umgangs mit ihr das Gegenteil. Pötsch betont, man habe auch nach dem Bekanntwerden der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft vom Montag die Empfehlung, der Entlastung zuzustimmen, von zwei Anwaltskanzleien prüfen und bestätigen lassen.
Für Daniel Vos, Partner bei der Kanzlei Müller Seidel Vos, zeigt das Festhalten an dem Vorschlag „das weiterhin fehlende Verständnis des Unternehmens für die eigene Verantwortung“. Für Pötsch hingegen ist die Entlastung „ein Zeichen des Vertrauens in die Zukunft von Volkswagen“.
Immerhin einmal brandet für Pötsch Applaus auf – als er das heikle Thema der Vorstands-Gehälter anspricht. „Mir ist bekannt, dass viele von Ihnen den Beitrag des Vorstands für zu gering halten“, sagt Pötsch und erntet die uneingeschränkte Zustimmung der Aktionäre. Eine echte Lösung hat er aber auch nicht parat: Der Aufsichtsrat arbeite gemeinsam mit dem Vorstand an den Veränderungen des Konzerns. „Dazu gehört auch, dass wir die Vergütung des Vorstands auf den Prüfstand stellen“.
Immerhin: Im vergangenen Jahr erhielt der Aufsichtsrat keine variable Vergütung, erklärt Pötsch. Macht nur 700.000 statt zwölf Millionen Euro.
Bislang muss Pötsch erklären, beschwichtigen, um Vertrauen werben. Die Aufgaben eines Reformers sehen anders aus.