Volkswagen Historische Zäsur: „Dieselgate“ und die Folgen

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Es gibt Hoffnungsschimmer

Offiziell spricht VW von „Abgasthematik“. Doch das nüchterne Wort greift zu kurz. Anders als bei manchem deutschen Korruptionsskandal ist die Lage anders. Nach bisherigem Stand reichte die kriminelle Energie „einiger Weniger“ aus, um mit Software einen Weltkonzern aus den Angeln zu heben. Der illegale Software-Code entzog sich gängigen Kontrollmechanismen, die etwa an Budgets oder dem Einkauf ansetzen.

Zwölf Monate nach dem Beben zeigen sich aber auch Hoffnungsschimmer. „Ohne „Dieselgate“ wäre der Konzern mit seinen alten Herren und autokratischen Prinzipien in der neuen Mobilitätswelt zugrunde gegangen. Es ist gut, dass er eine Zeitenwende einleitet“, lobt Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer. In puncto Digitalisierung gebe es Pläne, und das Ziel von einem Viertel Elektroauto-Anteil 2025 sei glaubhaft. Vom Superlativ der Täuschung zum Superlativ des Aufbruchs: Müller sieht den „größten Veränderungsprozess“ in der VW-Geschichte.

Aber reichen neue Ziele, Produkte, Geschäftswege? Muss sich angesichts der Dimension der Affäre nicht Grundsätzlicheres ändern? Arbeitnehmerboss Osterloh findet dazu im Frühjahr bei einer Rede im niedersächsischen Landtag nachdenkliche Worte. Es gehe darum, die „moralischen Fundamente unseres Unternehmens“ neu zu befestigen.

Diese Städte sind besonders abhängig von VW
Wolfsburg – Konzernzentrale, Stammwerk und Standort vieler Zulieferer und DienstleisterDie Elternbeiträge zur Kinderbetreuung steigen für Besserverdienende. 720.000 Euro soll das pro Jahr bringen, sie sollen direkt in Ausbau und Qualitätsentwicklung fließen. Das Halten von Hunden kostet mehr. Die Steuer für den ersten Hund steigt um 20 Prozent auf 96 Euro. Für einen zweiten oder dritten Hund ziehen die Steuern sogar um 24 Prozent an auf 144 und 168 Euro. Der Gewerbesteuerhebesatz, zuletzt erhöht 1980, soll nicht steigen, „um die örtliche Wirtschaft gerade in den aktuell schwierigen Zeiten nicht noch weiter zu belasten“. Jedoch steigt die Grundsteuer A (Land- und Forstwirtschaft) von 270 auf 320 Punkte, der Hebesatz bei der Grundsteuer B (bebauter oder unbebauter Grundbesitz) zieht um 30 Punkte auf 450 an. Die letzte Anpassung liegt gut 20 Jahre zurück. Wer sein Auto in der Innenstadt auf städtischen Parkflächen abstellt, muss mehr bezahlen – 10 Cent pro Stunde. Ebenso wird das Baden teurer: Für das Freibad Fallersleben und das VW-Bad zahlen Erwachsene 3,50 Euro statt bisher 3,20 Euro. Saisonkarten für Erwachsene verteuern sich von 75 auf 85 Euro. Eine Familie muss 10 Euro mehr und damit dann 150 Euro zahlen. Für Kinder und Jugendliche aber bleiben die Preise konstant. Quelle: dpa
Braunschweig – Komponentenwerk (Fahrwerkteile und Achsen)Mit Braunschweig ist der VW-Konzern nicht nur über das Sponsoring des örtlichen Fußball-Vereins verbunden, auch ein wichtiges Komponentenwerk steht hier. Das Parken in den städtischen Tiefgaragen hat sich seit den 1990er Jahren nicht verteuert. Nun steigen die Preise für öffentliche Parkplätze und städtische Tiefgaragen um 20 Prozent. Der Grundsteuerhebesatz steigt um 50 Punkte auf 500 Zähler. Mieter und Hausbesitzer müssen damit tiefer in die Tasche greifen. Die Friedhofsgebühren steigen um durchschnittlich 20 Prozent. Eine umfängliche Gebührenerhöhung gab es zuletzt 2012. Kindergräber verteuern sich allerdings mit der jüngsten Anpassung nicht. Von der erhöhten Grundsteuer verspricht sich die zweitgrößte Stadt Niedersachsens etwa 5 Millionen Euro. Parken soll rund 1 Million Euro mehr einspielen, Friedhofs- und Bestattungsgebühren 240.000 Euro. Quelle: dpa
Baunatal – Komponentenwerk (vor allem Getriebe)Die Gewerbesteuer (brutto, ohne Umlage) hatte in der nordhessischen Stadt 2014 bei gut 72 Millionen Euro gelegen, 2015 kam mit gut 32 Millionen Euro noch nicht einmal die Hälfte zusammen. „Baunatal ist, nicht nur was die Gewerbesteuer betrifft, stark von dem ansässigen VW-Werk geprägt“, sagt Stadtsprecherin Susanne Bräutigam. Ebenso wichtig wie die Gewerbesteuer seien aber die örtlichen VW-Jobs. „Natürlich kommt der weit überwiegende Teil der Gewerbesteuer von VW“, sagt sie. Noch habe Baunatal ein Finanzpolster. Aber: Im Haushalt 2016 ergebe sich ein Loch über 7,5 Millionen Euro. „Nach der mittelfristigen Ergebnisplanung ist auch für das Jahr 2017 mit einem Defizit zu rechnen“, berichtet Bräutigam. Eine Konsequenz sei nun: Die Kulturveranstaltungen im Rahmen des „Baunataler Herbstpalastes“ werden nicht mehr an zehn, sondern nur an sechs Tagen stattfinden. Quelle: dpa
Weissach – Porsche-EntwicklungszentrumDort gibt es zwar in diesem Jahr noch keine Haushaltssperre, wie Kämmerin Karin Richter sagt. Doch nach fast 40 Millionen Euro im vergangenen Jahr rechnet die Gemeinde in diesem Jahr nur noch mit Gewerbesteuereinnahmen von 1,5 Millionen Euro. Grund ist der Komplettausfall der Gewerbesteuern von Volkswagen. In Weissach, wo etwa 5500 Porsche-Mitarbeiter im Entwicklungszentrum beschäftigt sind, waren die Gewerbesteuereinnahmen schon vergangenes Jahr eingebrochen. Statt 70 Millionen Euro nahm die Gemeinde nur 38,8 Millionen Euro ein. Die allgemeinen Rücklagen – ein komfortables Finanzpolster, in denen die Einnahmen vergangener Jahre geparkt waren – lagen Anfang des Jahres noch bei 90 Millionen Euro. Doch allein in diesem Jahr braucht die Gemeinde 12 Millionen Euro aus dem Sondertopf. 2017 schmilzt er noch einmal um 32 Millionen Euro ab. Das bleibt nicht ohne Folgen: Großzügige Subventionen, die Weissach den Bürgern früher gewähren konnte, verschwinden: Das Baukindergeld für Familien wurde gestrichen. In früheren Jahren bekamen Familien, die Häuser bauten oder kauften, noch 5000 Euro je Kind. Auch die Zuschüsse für das „Mach-Mit-Programme“, das Volkshochschulkurse oder Musikunterricht mit immerhin 40 Euro im Monat pro Kind bezuschusst, wurde eingestellt. Erhöht hat Weissach die Gebühren für die Nutzung der Strudelbachhalle und die Preise für eine Bestattung. So kostet eine Urnenbestattung in der Erde statt bislang 145 Euro nun 420 Euro. Quelle: dpa
Ingolstadt – Audi-Zentrale und StammwerkDer Diesel-Skandal bedeutet für die Stadt das Ende der fetten Jahre – nur noch 60 Prozent des langjährigen Gewerbesteuer-Durchschnitts hält der Leiter der Kämmerei, Franz Fleckinger, für realistisch. Daher geht es wohl bald ans Finanzpolster. Die Vorauszahlungen habe der VW-Konzern schon Ende 2015 auf Null gestellt, sagt der Ingolstädter Stadtrat Hans-Joachim Werner. Aber im laufenden Jahr sehe es noch gut aus, meint Chefkämmerer Fleckinger: Die Stadt habe mit nur noch 68 Millionen Euro Gewerbesteuer gerechnet, „aber wegen Nachzahlungen kommen wir auf 105 Millionen. Der Haushalt 2016 läuft.“ Die Stadt hat eine Haushaltssperre von 15 Prozent für bestimmte Ausgaben erlassen; Bauinvestitionen, Straßenbau, Personal- und Sachausgaben sind gedeckelt. Aber es gibt keinen Einstellungsstopp, das neue Kunstmuseum kommt wie geplant, und das Hallenbad „ist eben neu eingeweiht. Wir jammern schon auf hohem Niveau“, sagt SPD-Fraktionschef Werner. Quelle: dpa
Osnabrück – Fahrzeugwerk (Tiguan)Die Stadt steht unter Haushaltsaufsicht und ist in der angespannten Lage dauerhaft auf Kassenkredite angewiesen – also auf Schulden für das laufende Geschäft. 2015 verhängte die Stadt eine Haushaltssperre und eine Einstellungs- und Beförderungssperre; letztere galt bis zur Genehmigung des Doppelhaushalts 2016/2017 durch die Kommunalaufsicht. 2015 zog Osnabrück die Grundsteuer B (un- und bebauter Grundbesitz) und die Gewerbesteuer an sowie Vergnügungs- und Spielgerätesteuer. Auch eine Zweitwohnungssteuer gibt es neuerdings, die neben direkten Steuereinnahmen indirekt auch die Zahl der Erstwohnsitzanmeldungen erhöht und so mehr Geld aus dem Finanzausgleich bringt. Zudem prüft Osnabrück bei den Abgaben fortlaufend Anpassungsmöglichkeiten, etwa im Bereich Marktstandsgelder und Kita-Gebühren. Quelle: dpa
Salzgitter – Komponentenwerk (Motoren)Zu konkreten Sparbeispielen machte die Stadt keine Angaben. Die Lage ist seit Jahren angespannt. Nach gut 82 Millionen Euro Gewerbesteuer (brutto, ohne Umlage) 2014 gab es 2015 im Jahr des Beginns des Diesel-Skandals nur noch 49 Millionen Euro. 2016 sollen sogar nur noch 25 Millionen Euro zusammenkommen - bei Gewerbesteuererträgen im langjährigen Mittel von gut 76 Millionen Euro. Und: Salzgitter hat bereits seit mehreren Jahren einen nicht ausgeglichenen Haushalt, es greift ein Sicherungskonzept mit „erheblichen Sparanforderungen“. Deshalb muss Salzgitter Kassenkredite nutzen, um das laufende Geschäft zu finanzieren. Diese Geldaufnahme musste wegen der negativen Steuerentwicklung zuletzt noch verstärkt werden. Quelle: dpa

„Es gibt kein Genug mehr. Und es reicht nicht mehr, im Wettbewerb um die „besten“ Produkte auf den Absatzmärkten zu reüssieren“, so Ulrich Thielemann, Chef der Berliner Denkfabrik für Wirtschaftsethik. Er hält das Bonus-System bei VW für die eigentliche Wurzel des Skandals.

Denn nicht nur Vorstände, auch Spezialisten können Boni als großen Teil des Einkommens kassieren. „Damit werden den unternehmensinternen Entscheidungsträgern die Bedenken, die sie gegenüber dieser oder jener Praxis hegen könnten, gleichsam abgekauft“, warnt Thielemann.

VW und die Gewerbesteuer: Welche Bedeutung hat sie für die Kommunen?

Im Bundestag arbeitet nun ein Untersuchungsausschuss zur Affäre. Auf EU-Ebene gibt es ein solches Gremium schon länger. In Braunschweig ermitteln Staatsanwälte gegen 30 Beschuldigte, am Landgericht liegen dort milliardenschwere Schadenersatzklagen. Ein Vergleich könnte VW in den USA bis zu 14,7 Milliarden Dollar (13 Milliarden Euro) kosten. Ein Ex-Ingenieur will auspacken, mehrere US-Bundesstaaten klagen noch.

Längst trifft die Krise zudem den Normalbürger an den VW-Standorten, wo die Gewerbesteuern einbrechen. Vieles wird teurer - Kindergärten, Schwimmbäder, Kultureinrichtungen, die Grabpflege. Und nicht nur in den USA nehmen etliche Menschen Volkswagen das Image des „sauberen Diesels“ nicht mehr ab. Das dürfte wohl auf Jahre eine Bürde sein.

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