Hier kommt ihm sein Bruder Georg zur Hilfe, der auch schon während Freudlings Zeit bei der Sparkasse zu vermitteln versucht hatte. „Wäre er nicht gewesen, wäre ich in Bodenlose gefallen“, sagt Freudling. Georg startet eine Petition an den bayrischen Landtag, mit dem Ziel, den Fall öffentlich aufzuarbeiten. Das Ergebnis ist ernüchternd „Schlimm ist, wie übel man meinem Bruder mitgespielt hat“, sagt Georg Freudling. Aber mindestens genauso schlimm sei das vollkommene Desinteresse am Fall Freudling. „Weder seine Kollegen, noch der Sparkassenverband, noch Politiker wollten wirklich etwas davon wissen.“
Auch der Aichacher Bürgermeister, Klaus Habermann, will sich in den Fall nicht einmischen. Er ist gleichzeitig Vorsitzender des Verwaltungsrats der Sparkasse und soll das kommunale Kreditinstitut im Sinne der Bürger kontrollieren. Die Freudling-Brüder haben ihn mehrfach um Hilfe gebeten, doch ohne Erfolg. Der Bürgermeister, der selbst eine Bankausbildung absolviert hat und sich in der Öffentlichkeit als „Menschenmöger“ stilisiert, sieht im Fall Freudling offensichtlich keinen Anlass, sich für die Sache einzusetzen. Die Kontaktaufnahme durch die Freudlings habe er als subjektive Meinungsäußerung bezeichnet, schreiben sie in ihrer Landtags-Petition. Fragen zum Thema läßt Habermann unbeantwortet. Stattdessen schickt die Sparkassen-Chefin ein Statement für ihren Verwaltungsratsvorsitzenden gleich mit: Auch hier könne eine Antwort laut Sparkasse die Verschwiegenheitspflichten verletzen.
Im März 2014 steht mit Georgs Hilfe die Petition, im Juni folgt die Anhörung vor dem Landtagsausschuss in München. Noch bevor die Brüder vor dem hufeisenförmigen Tagungstisch im Sitzungsraum des Landtags zu Wort kommen, wird ihnen die Entscheidung der Abgeordneten mitgeteilt. Die fühlen sich nicht zuständig und sehen die Sache als Fall für die Arbeitsgerichte. Georg versucht, sich vor dem Ausschuss zu äußern, doch schon nach wenigen Augenblicken wird ihm das Wort entzogen. „Ich hatte nicht das Gefühl, dass unser Anliegen als Bürger ernst genommen wurde“, sagt Georg Freudling. Er hatte das Gefühl, dass der Ausschuss voreingenommen war.
Weil die Freudlings sich mit ihrer ersten Petition nicht ernst genommen fühlten, starteten sie einen zweiten Anlauf und bekamen im November 2015 einen neuen Termin vor dem Landtagsausschuss. Doch auch dieses Mal drangen sie mit ihrem Anliegen nicht durch.
Ernüchternde Erkenntnis
Das Feedback: Eine arbeitsrechtliche Auseinandersetzung, dafür ist das Parlament nicht zuständig. Mag sein. Doch schaut man genauer hin, offenbaren die Politiker deutliche Widersprüche in ihrem Unwillen, sich mit dem Fall Freudling zu beschäftigen. Leidenschaftlich verhandelte der Petitionsausschuss nahezu gleichzeitig den Fall eines freiwilligen Feuerwehrmanns, dessen Arbeitgeber – eine bayerische Kommune – ihm diese ehrenamtliche Tätigkeit parallel zum Job verbieten wollte.
Auch dieser Fall war eigentlich arbeitsrechtlicher Natur, trotzdem blockten die Abgeordneten ihn anders als Freudlings Petition nicht ab. Setzen sich Politiker lieber für heldenhafte Feuerwehrleute ein als für einzelne Verlierer wie Freudling? Das wäre eine ernüchternde Erkenntnis für eine Gesellschaft, zu deren Errungenschaften es auch gehören sollte, Schwache zu schützen. Den Freudlings dagegen schaltete der Ausschussvorsitzende mitten in der Stellungnahme das Mikrophon ab. Georg Freudling war gerade dabei, die Rückfrage eines anderen Ausschussmitglieds zu beantworten. Doch der Abgeordnete nahm es kommentarlos hin, dass die Antwort auf seine Frage gar nicht mehr verhandelt wurde.
Sparkasse in Zeiten von Minizins und Digitalisierung
Immer mehr Kunden wickeln immer mehr Bankgeschäfte digital ab: Vom heimischen Computer aus, mit der App auf dem Smartphone, online per Videoberatung. Flächendeckende Filialnetze, wie sie Sparkassen und Volksbanken unterhalten, werden zum Kostenfaktor. „Der Kunde geht nicht mehr in die Geschäftsstelle“, konstatierte vor einigen Wochen der bayerische Sparkassenpräsident Ulrich Netzer. Inzwischen komme ein Kunde im Schnitt nur einmal pro Jahr in eine Filiale, nehme aber 108 Mal jährlich online Kontakt auf. Bundesweit leisten sich die aktuell 409 Sparkassen laut nach Angaben des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) 14 451 (Vorjahr: knapp 14 900) Filialen – inklusive Selbstbedienungspunkten. Der Verband rechnet mit einer weiteren Ausdünnung des engmaschigen Netzes. Die Sparkassen in Bayern beispielsweise haben bereits angekündigt, in diesem Jahr bis zu 220 ihrer 2200 Geschäftsstellen zu schließen.
Ganz aufgeben wollen die Institute ihre Präsenz in der Fläche nicht. „Wir werden die Filialen am Ende immer unter zwei Überschriften prüfen: Der Kunde erwartet noch mehr Beratung, Beratungs-Know-how. Die reine Abwicklung gehört immer stärker der Vergangenheit an“, sagte DSGV-Präsident Georg Fahrenschon im März. „Wir sehen einen klaren Trend unsere Filialen in Sachen Beratung noch stärker aufzuladen und zugleich den digitalen Kanal auszubauen.“
Sparkassen verdienten lange gut daran, für Kredite mehr Geld zu kassieren als sie ihren Kunden an Zinsen fürs Sparen zahlten. Doch die Differenz aus den beiden Positionen, der Zinsüberschuss, wird tendenziell kleiner, weil die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins auf Null gesenkt hat. Sorge bereitet vielen Instituten zudem, dass immer mehr Kunden Gelder kurzfristig parken - während bei Krediten möglichst lange Laufzeiten gefragt sind. Steigen die Zinsen wieder, könnten Kunden ihre Einlagen rasch abziehen.
In der gesamten Branche wird an der Gebührenschraube gedreht. „Die Zeit von weiten Angeboten kostenloser Kontoführung ist aus meiner Sicht vorbei“, sagte Fahrenschon im März. „Wir werden Leistungen bepreisen müssen - und zwar verursachergerecht.“ Auch die genossenschaftlichen Sparda-Banken stimmten auf Preissteigerungen „auf breiter Front“ ein - etwa Gebühren für Überweisungen in Papierform oder die Girocard. Die Noch-Deutsche-Bank-Tochter Postbank arbeitet derzeit an einem neuen Preismodell. Postbank-Chef Frank Strauß sagte der „Welt am Sonntag“, ob das Girokonto kostenlos bleibe, könne er noch nicht sagen. Die Commerzbank will ab 1. Juni von Kunden des bislang kostenlosen Girokontos, die Papierbelege einreichen, eine Gebühr von 1,50 Euro pro Überweisung verlangen.
Noch scheut sich die Branche davor, die Parkgebühr, die ihnen die EZB aufgebrummt hat, an Privatkunden weiterzureichen. Sparkassen-Präsident Fahrenschon mag nicht einmal den Begriff „Strafzins“ in den Mund nehmen. Der ehemalige bayerische Finanzminister betont: „Entscheidend ist, dass wir alles in unserer Macht stehende tun werden, um diesen verheerenden Effekt der Niedrigzinspolitik nicht beim privaten Sparer ankommen zu lassen.“ Auch die Volks- und Raiffeisen zeigen sich bislang eisern: „Wir werden versuchen, das Thema Negativzinsen unseren Privatkunden nicht zuzumuten“, sagt der Präsident des Dachverbandes BVR, Uwe Fröhlich.
Die Sparkasse Oberhausen - ein mittelgroßes Institut - schreckte Mitte März mit der Ankündigung auf, sie schließe Strafzinsen für reiche Privatkunden nicht mehr grundsätzlich aus. Betroffen wären aber nur Kunden, die Geldbeträge im siebenstelligen Bereich anlegen wollen, erklärte ein Sprecher. Denkbar seien in solchen Fällen künftig Verträge, die Strafzinsen erlaubten. Der Sprecher betonte: „Da wird kein privater Sparkunde in absehbarer Zeit betroffen.“ Bereits im Herbst 2014 hatte die Deutsche Skatbank in Thüringen für Aufsehen gesorgt, weil sie EZB-Strafzinsen an ihre Kunden weitergibt - allerdings bis heute nur dann, wenn die Einlagen eines Kunden bei dem genossenschaftlichen Institut drei Millionen Euro überschreiten.
Ein Trost: Völlig freie Hand haben die Institute beim Thema Gebühren nicht - gerade in einem so umkämpften Markt wie Deutschland. „Wer zu stark an der Gebührenschraube dreht, wird angesichts des starken Wettbewerbs allerdings Kunden verlieren“, erklärt Frank-Christian Pauli vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Für zusätzliche Konkurrenz sorgen junge FinTechs, die online auf Kundenfang gehen. Die niedrigen Zinsen haben auf der anderen Seite auch Vorteile für Verbraucher: Kredite, etwa für die Baufinanzierung oder den Autokauf, sind aktuell extrem günstig zu haben.
Dieses Mal gingen die Brüder dem Grund für die Ablehnung ihrer Petition detailliert nach. Und siehe da: Das Gremium hatte seinen Aufklärungsauftrag zumindest im Ansatz ernst genommen und Stellungnahmen beim für die Sparkassenaufsicht zuständigen Innenministerium angefordert. Die Ministerialen wiederrum wandten sich direkt an den bayerischen Sparkassenverband, von dem sie mit Input zu dem Fall versorgt wurden.
Aus Sicht von Freudling spiegelt sich aus diesem Grund in der Stellungnahme des Ministeriums einseitig die Sicht der Sparkasse wider. Einsicht in diese Unterlagen gewährte man ihm zunächst nicht. Erst nach langem Gerangel ordnete die Präsidentin des bayerischen Landtags an, dass den Brüdern Akteneinsicht zu gewähren sei. Freudling störte sich vor allem daran, dass der Sparkassenseite offenbar mehr vertraut wurde als ihm. Aus Sicht des Verbands habe der Mitarbeiter sich selbst in eine „isolierte Lage“ begeben und konstruktive Kommunikation verweigert. „Die Sparkasse hat mich isoliert, nicht ich mich selber“, entgegnet Freudling.
Sein Anlauf zu einer dritten Petition wurde vom Landtag abgeblockt. Aber er will die Vergangenheit erst ruhen lassen, wenn sie aufgearbeitet ist.