Der deutsche Co-Pilot der vor knapp einem Jahr abgestürzten Germanwings-Maschine ist zwei Wochen vor der Tragödie von einem Arzt in eine psychiatrische Klinik überwiesen worden. Das teilten Ermittler der französischen Untersuchungsbehörde BEA (Bureau d'Enquetes et d'Analyses) am Sonntag bei der Vorlage ihres Berichts zum Absturz des Jets über Frankreich mit 150 Toten mit.
Als Konsequenz forderten sie unter anderem neue Regeln für den Umgang mit der ärztlichen Schweigepflicht. Dies solle „auch im Hinblick auf psychiatrische und psychologische Probleme„ erfolgen, heißt es im Abschlussbericht. Eine entsprechende Empfehlung sei an die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) und an die EU-Mitgliedsstaaten gegangen.
Die Fakten zum Germanwings-Absturz
Der Airbus A320 ist am Dienstag um 10.01 Uhr mit 150 Menschen an Bord in Barcelona gestartet. Kurz nach dem Erreichen der regulären Reiseflughöhe von 38.000 Fuß (11,5 Kilometer) ging die Maschine ohne Hinweis an die französische Flugkontrolle oder ein Notsignal in einen schnellen Sinkflug über. Das Flugzeug zerschellte in den französischen Alpen. Die Maschine flog bis zum Aufprall, ohne dass es eine Explosion gab, wie die französische Untersuchungsbehörde BEA mitteilte.
An Bord der Maschine waren 150 Menschen, darunter nach jüngsten Informationen 72 Deutsche und 50 Spanier. Weitere Opfer stammen nach Angaben von Regierungen und Germanwings offenbar aus den USA, Großbritannien, Kasachstan, Argentinien, Australien, Kolumbien, Mexiko, Venezuela, Japan, den Niederlanden, Dänemark, Belgien und Israel.
Die Germanwings-Maschine verunglückte in den französischen Alpen nahe der kleinen Ortschaft Seyne-les-Alpes. Die Bergung der Wrackteile ist schwierig. Das Gelände an der Unglücksstelle ist zerklüftet und nur schwer zugänglich. Weil die Maschine mit hoher Geschwindigkeit auftraf, sind die Trümmerteile sehr klein und weit verstreut.
Die Bergung der Opfer wurde am 31. März abgeschlossen. Das Kriminalinstitut der französischen Gendarmerie erklärte, die eigentliche Identifizierung, also die Zuordnung zu den Vergleichsdaten der Angehörigen, könne zwei bis vier Monate dauern.
Die Ermittler haben bereits auswertbare Daten aus dem ersten Flugschreiber, dem Stimmrekorder, sichergestellt und ausgewertet. Laut der französischen Staatsanwaltschaft war zum Zeitpunkt des Absturzes nur der Co-Pilot im Cockpit. Der Stimmrekorder hat bis zuletzt Atemgeräusche im Cockpit aufgezeichnet, der Co-Pilot war also am Leben. In den letzten Minuten, bevor der A320 an einer Felswand zerschellte, zeichnete der Rekorder auf, wie der ausgesperrte Kapitän und die Crew von außen gegen die Cockpit-Tür hämmern. Die Ermittler gehen daher davon aus, dass der Co-Pilot die Maschine absichtlich zum Absturz brachte.
Der zweite Flugschreiber, der detaillierte Flugdaten aufzeichnet, wurde bislang nicht gefunden.
Der Mittelstreckenflieger A320 hatte seinen Jungfernflug 1987 und wurde ein Jahr später erstmals von Airbus an Kunden ausgeliefert. Seither hat er sich in verschiedenen Varianten zum meistverkauften Passagierjet von Airbus entwickelt. Bis Ende Februar hatte der Hersteller von seiner absatzstärksten Modellfamilie knapp 6500 Maschinen an die Kunden überstellt.
Die Unglücksmaschine war seit mehr als 24 Jahren im Einsatz, verfügte laut Auskunft der Lufthansa jedoch über neueste Technik und habe alle Sicherheitsanforderungen erfüllt. Noch einen Tag vor der Katastrophe sei der Flieger einem Routinecheck unterzogen worden.
Der Kapitän des abgestürzten Flugzeugs galt als erfahren. Er hatte seit mehr als zehn Jahren für Germanwings und Lufthansa gearbeitet. Auf dem Modell Airbus hatte er mehr als 6000 Flugstunden absolviert.
Zu den Geschehnissen im Cockpit der Germanwings-Maschine sagte der Lufthansa-Chef Carsten Spohr: „Es gab ein technisches Briefing zum weiteren Flugverlauf. Dann hat der Pilot dem Co-Piloten das Steuer überlassen.“ Zum Verlassen des Cockpits durch den Kapitän sagte Spohr: „Der Kollege (Pilot) hat vorbildlich gehandelt, er hat das Cockpit verlassen, als die Reiseflughöhe erreicht war.“
Der Co-Pilot der Unglücksmaschine war seit 2013 bei der Lufthansa-Tochter beschäftigt. Zuvor hatte er seit etlichen Jahren für den Konzern gearbeitet, auch als Flugbegleiter. Vor sechs Jahren gab es eine mehrmonatige Unterbrechung der Pilotenausbildung, danach wurde die Eignung des Mannes nach allen Standards überprüft. „Er war 100 Prozent flugtauglich. Ohne jede Auffälligkeit“, sagte Spohr.
Ermittler durchsuchten auf Bitte der französischen Justiz zwei Wohnungen des Co-Piloten. Dort wurde eine zerrissene Krankschreibung gefunden, die auch den Tag des Absturzes umfasste. Der 27-Jährige war vor mehreren Jahren - vor Erlangung des Pilotenscheines - über einen längeren Zeitraum wegen Depressionen und Selbstmordgefährdung in psychotherapeutischer Behandlung.
Quellen: dpa, reuters, sha, jre
So sollten Medizinier Behörden davor warnen, wenn die mentale Gesundheit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen könnte, hieß es auf der Pressekonferenz in Le Bourget nahe Paris. Nach bisher bekannten Erkenntnissen soll Co-Pilot Andreas Lubitz den Flug 9525 am 24. März 2015 von Barcelona nach Düsseldorf absichtlich gegen eine Felswand in den französischen Alpen gesteuert haben. Lubitz war vor der Tragödie wegen Depressionen behandelt worden und hatte dutzende Ärzte aufgesucht. Niemand habe die Behörden über Bedenken wegen seiner mentalen Gesundheit informiert, teilte die BEA mit.
Alle Insassen wurden bein dem Absturz getötet, die meisten von ihnen waren Spanier und Deutsche. Die BEA untersucht den Absturz unabhängig von den kriminaltechnischen Ermittlungen der französischen Staatsanwaltschaft.
Nach dem Germanwings-Absturz verzichtet die Untersuchungsbehörde indes auf Empfehlungen für Veränderungen an verschlossenen Cockpit-Türen. Die Türen seien wegen der Gefahr einer terroristischen Bedrohung gesichert, sagte BEA-Chef Rémi Jouty. Viele Fluglinien haben inzwischen eine Regelung eingeführt, nach der stets eine zweite Person im Cockpit sein muss. Diese zweite Person sollte aus Vertrauensgründen zuvor ausgewählt werden, sagte Jouty.