Britische Touristen spüren schon in diesem Sommer die Folgen des vorerst nur angekündigten EU-Austritts: Mit ihrem abgewerteten Pfund erhalten sie in Europas Feriengebieten weniger fürs Geld - und die Flugreisen werden wegen des ungünstigen Verhältnisses zur Ölwährung Dollar auch gleich teurer. Die längerfristigen Folgen eines Brexit für die Luftfahrtbranche und damit auch für Passagiere in ganz Europa sind hingegen noch schwer absehbar. Billigfliegern dürfte der Preiskampf künftig schwerer fallen. Was bedeutet der Brexit für die einzelnen Beteiligten?
Großbritannien steht nach Einschätzung des Weltairline-Verbandes IATA vor einem wirtschaftlichen Abschwung, der zusammen mit der Pfund-Abwertung die Zahl der Fluggäste von der und auf die Insel jährlich um drei bis fünf Prozent schmälern wird. Im Vergleich zum US-Dollar werten Pfund und Euro in der Folge des Brexit eher ab, was zu höheren Belastungen durch die Kerosinrechnung führt.
Die wirtschaftlichen Probleme in Großbritannien verringern grundsätzlich den Spielraum der großen Billigflieger für weitere Kampfpreise. Ihr Wachstumskurs wie auch der wettbewerbsbedingte Preisverfall bei den Tickets dürften daher gebremst werden. Doch auch das ist nicht sicher: Ryanair und Co. müssten bei einer schwächeren Nachfrage auf der Insel notgedrungen Flugzeuge auf den Kontinent verlegen, was auch an abgelegenen Zielen für mehr Konkurrenz und sinkende Preise sorgen würde. Die Lufthansa würde mit ihrem Billigableger Eurowings gegenhalten. Deutschland ist aktuell der wichtigste Expansionsmarkt, hat Ryanair-Chef Michael O'Leary betont.
Wie es bei der Lufthansa besser werden soll
Service: | andere sind besser |
Lösung: | mehr und besser maßgeschneiderte Angebote |
Kosten: | sind zu hoch |
Lösung: | schlankere Abläufe und neue Ansätze |
Veränderungen: | dauern viel zu lange |
Lösung: | Probierkultur statt perfekt geplanter Programme |
Wartungstochter: | Technologievorsprung bröckelt |
Lösung: | neue Geschäftsfelder mit anspruchsvolleren Produkten |
Fracht: | wachsende Billigkonkurrenz |
Lösung: | automatisierte Abfertigung und neuer Hightechservice |
Auch im Luftverkehr müssen die rechtlichen Beziehungen neu geordnet werden. Experten stellen in Frage, ob das innerhalb von zwei Jahren erreichbar ist. Das Vereinigte Königreich ist bislang Vollmitglied im weitgehend liberalisierten und vereinheitlichten Luftverkehrsmarkt Europa. Ob britische Gesellschaften auch nach einem Brexit überall in Europa starten und landen dürfen, ist zumindest fraglich. Weltweit üblicher sind Abkommen auf Gegenseitigkeit, die zwischen den EU-Staaten und Großbritannien neu ausgehandelt werden müssten. Die EU hat zudem mit Drittstaaten Luftverkehrsabkommen geschlossen, die für die Briten nicht mehr gelten würden und ebenfalls neu ausgehandelt werden müssten. Ökonomisch wichtig ist hier insbesondere der „Open-Skies“-Vertrag mit den USA.
Die sechs größten Baustellen der Lufthansa
13 Mal haben die Piloten der Lufthansa in den vergangenen gut eineinhalb Jahren gestreikt. Die Vereinigung Cockpit sorgt sich, dass die Piloten unter anderem Abstriche Altersvorsorge hinnehmen müssen - und trotzdem immer mehr Jobs aus dem Tarifvertrag ausgelagert werden. Sie liefern dem Konzern deshalb den härteste Arbeitskampf in seiner Geschichte. Das ist nicht der einzige Knatsch mit dem Personal: Die Flugbegleiter von Ufo sind etwas moderater unterwegs, wollen aber auch ihre tariflichen Besitzstände verteidigen.
Carsten Spohr hat die Lufthansa auf eine Strategie mit zwei sehr unterschiedlichen Plattformen festgelegt, die jetzt gerade erst anlaufen. Die Kernmarke Lufthansa soll bei gleichzeitiger Kostensenkung zur ersten Fünf-Sterne-Airline des Westens aufgewertet werden - eine Luxus-Auszeichnung des Fachmagazins Skytrax, die bislang nur Airlines aus Asien und dem Mittleren Osten erreicht haben. Am anderen Ende der Skala steht künftig „Eurowings“, die nur noch als Plattform für die diversen und möglichst kostengünstigen Flugbetriebe des Lufthansa-Konzerns dienen soll. Die ersten Eurowings-Langstrecken ab Köln werden beispielsweise von der deutsch-türkischen Gesellschaft Sunexpress geflogen. Noch komplizierter wird das Angebot durch die Strategie, auf beiden Plattformen jeweils unterschiedliche Service-Pakete anzubieten.
So richtig gut läuft es für die Lufthansa mit ihrem schwierigen Heimatmarkt Zentraleuropa eigentlich nur in den Neben-Geschäftsbereichen Technik und Verpflegung. In ihrem Kerngeschäft der Passagier- und Frachtbeförderung fliegt die Lufthansa unter dem Strich Verluste ein. Spohrs Plan, Wachstum nur noch in kostengünstigen Segmenten stattfinden zu lassen, bedeutet eigentlich einen Schrumpfkurs für die Kerngesellschaft der Lufthansa Passage. Doch den Mitarbeitern wird Wachstum auch dort versprochen.
Sinkende Ticketpreise sind gut für die Passagiere, knabbern andererseits aber an den schmalen Margen der Fluggesellschaften. Bereits im vergangenen Jahr sind die Erlöse auf breiter Front um drei Prozent zurückgegangen. Der zuletzt stark gesunkene Kerosinpreis begünstigt derzeit Gesellschaften, die sich nicht gegen starke Preisschwankungen abgesichert haben. Lufthansa gehört nicht dazu, sondern hat einen Großteil ihres Spritbedarfs für die kommenden zwei Jahre bereits abgesichert und leidet zudem an der ungünstigen Währungsrelation zwischen Euro und Dollar. Um ihre Tickets zu verkaufen, muss sie aber die Kampfpreise der Konkurrenz halten.
In regelmäßigen Abständen verlangt Lufthansa politischen Schutz vor dem angeblich unfairen Wettbewerb durch Fluggesellschaften vom Arabischen Golf. Zuletzt stimmten auch die großen US-Gesellschaften in den Chor ein. Aber es bleibt dabei: Emirates, Qatar Airways und Etihad lenken mit immer größeren Flugzeugen tausende Fluggäste aus Europa über ihre Wüstendrehkreuze und haben bereits weite Teile des Verkehrs nach Südostasien und Ozeanien fest im Griff. Um streitbare Gewerkschaften, hohe Gebühren und Sozialabgaben oder Nachtflugverbote an ihren Heimatbasen müssen sich die Araber keine Gedanken machen. Zudem ändern die europäischen Billigflieger ihr Geschäftsmodell und werden für Geschäftsleute immer attraktiver. So folgt Ryanair dem Vorbild von Easyjet und verlässt die Provinz-Flughäfen. Am Eurowings-Drehkreuz Köln-Bonn treten die Iren demnächst sogar wieder mit Inlandsflügen nach Berlin an.
Auf Hilfe aus Berlin oder Brüssel hat die Lufthansa in den vergangenen Jahren meist vergeblich gewartet. Die nationale Luftverkehrssteuer verteuert Tickets für Flugreisen von deutschen Flughäfen. Sie bietet zudem der europäischen Konkurrenz Anreize, Umsteiger auf die eigenen Drehkreuze zu locken. Grenznah lebende Passagiere können gleich ganz auf ausländische Flughäfen und Airlines ausweichen. Den häufig angemahnten nationalen Luftverkehrsplan gibt es auch immer noch nicht. Dafür unsinnige Subventionen für Regionalflughäfen, die bislang das Geschäftsmodell der Billigflieger gestützt haben.
Kräftige Kursabschläge und die Easyjet-Gewinnwarnung machen klar: Zu den großen Verlierern des Brexit gehören von der ersten Minute an die beiden großen Billigflieger Ryanair und Easyjet, die nach Zahlen des Airline-Verbandes IATA 36 beziehungsweise 49 Prozent ihrer Kapazitäten im Großbritannien-Verkehr einsetzen. Ihre sehr preissensiblen Privatkunden dürften künftig weniger Geld für Flugtickets übrig haben als bislang. Der Chef des weltgrößten Reisekonzerns Tui, Fritz Joussen, bezweifelt jedoch, dass sich die Briten ihre „sehr ausgeprägte Reiselust“ so schnell nehmen lassen.
Die Billigflieger haben bislang wie niemand sonst vom einheitlichen europäischen Luftverkehrsmarkt profitiert, in dem sie ohne Einschränkungen in der EU Direktverbindungen etwa von Deutschland nach Spanien angeboten haben. Das wird sich für die irische Ryanair nicht ändern, die britische Easyjet könnte hingegen massive Probleme wegen fehlender Luftverkehrsrechte bekommen. Easyjet müsste sich in Berlin, Brüssel oder Amsterdam möglicherweise auf Flüge von und nach Großbritannien beschränken, statt wie bislang von vielen Städten auf dem Kontinent aus zu Zielen in ganz Europa zu starten. Easyjet-Chefin Carolyn McCall prüft laut Berichten daher die Einrichtung eigener Flugbetriebe (AOC) in anderen EU-Staaten außerhalb Großbritanniens.
Bei einem Ausscheiden Großbritanniens drohen nicht nur britischen Airports einschneidende Veränderungen. Während in Deutschland die Drehkreuze Frankfurt und München auf leicht positive Verlagerungseffekte aus London hoffen dürfen, sind beispielsweise Hamburg, Köln oder Berlin auf Ryanair und Easyjet als Kundschaft angewiesen. Der Hauptgeschäftsführer des deutschen Flughafenverbandes ADV, Ralph Beisel, forderte die britischen Airlines im Gespräch mit dem Branchenportal airliners.de bereits auf, „möglichst schnell eine Lösung zu finden“, sofern sie Flughäfen in Deutschland anfliegen.
Die wichtigsten Billigflieger in Deutschland
Transavia
Starts pro Woche: 64
Sitze: 9616
Strecken: 19
Vueling
Starts pro Woche: 67
Sitze: 12.160
Strecken: 11
Aer Lingus
Starts pro Woche: 71
Sitze: 12.354
Strecken: 8
Norwegian Air Shuttle
Starts pro Woche: 106
Sitze: 19.929
Strecken: 33
flybe
Starts pro Woche: 130
Sitze: 10.800
Strecken: 16
Wizz
Starts pro Woche: 208
Sitze: 38.590
Strecken: 73
Easyjet
Starts pro Woche: 531
Sitze: 86.868
Strecken: 90
Ryanair
Starts pro Woche: 1058
Sitze: 199.962
Strecken: 243
Euro-/Germanwings
Starts pro Woche: 2595
Sitze: 390.692
Strecken: 516
Die einstige Staatsfluglinie British Airways und ihr Mutterkonzern IAG hoffen, dass der Brexit sie nicht so hart trifft wie möglicherweise Easyjet. Die IAG, zu der auch die spanischen Fluglinien Iberia und Vueling sowie die irische Aer Lingus gehören, erwartet 2016 nun zwar keinen so großen Gewinnsprung mehr wie zuvor. Langfristig fürchtet IAG-Chef Willie Walsh aber keine große Belastung für sein Geschäft. British Airways konzentriert sich schon lange auf den Mittel- und Langstreckenverkehr am Weltdrehkreuz London, dessen Bedeutung als Finanzzentrum aber abnehmen könnte. Die Lufthansa sieht sich ohnehin nicht als Hauptbetroffene: Nur fünf Prozent seines Umsatzes macht Europas größter Luftverkehrskonzern im Verkehr mit der Insel und kann nun möglicherweise sogar auf einigen zusätzlichen Verkehr über Frankfurt hoffen.
Die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft Air Berlin gehört zwar einer sogenannten Plc-Holding nach britischen Recht. Der Luftverkehrsbetrieb ist aber in Deutschland registriert, und auch die Streckenrechte werden über das Luftfahrtbundesamt vergeben. Luftverkehrsrechtlich hat der Brexit für Air Berlin also keine Bedeutung, gesellschaftsrechtlich will das Unternehmen die noch neue Situation überprüfen.