Seitdem Sie Ihren Posten im August 2013 antraten, haben Sie den Konzern regelrecht vom Kopf auf die Füße gestellt. Manchem Mitarbeiter wurde angesichts des Tempos schwindelig.
Natürlich ist es nicht immer ganz einfach, in einer solchen Umbruchphase die Mannschaft vollständig mitzunehmen. Das ist der Drahtseilakt zwischen dem Wünschenswerten und dem Machbaren. Ich habe mir beim Umbau des Unternehmens von September 2013 bis Mai 2014 viel Zeit genommen, um mir Wünsche und Vorstellungen der Mitarbeiter genau anzuhören. Natürlich konnte ich nicht alles berücksichtigen. Aber jeder sollte Gelegenheit haben, seine Meinung zu sagen.
Die wichtigsten Fakten zum erwarteten Hörgeräte-Verkauf bei Siemens
Die Siemens-Hörgerätesparte (Audiologische Technik) gehört neben Sonova aus der Schweiz und William Demant aus Dänemark zu den großen Anbietern der Branche. Das Geschäft hat eine lange Tradition im Konzern: Bereits vor gut 100 Jahren brachte Siemens das erste industriell gefertigte Hörgerät auf den Markt. Heute sind bei dem Tochterunternehmen mit einem Umsatz von rund 700 Millionen Euro weltweit etwa 5000 Menschen beschäftigt, davon fast 700 in Deutschland an den Standorten Erlangen und Herford (Nordrhein-Westfalen). Die Profitabilität machte Siemens-Chef Joe Kaeser zuletzt durchaus Freude - die Sparte dürfte noch besser dastehen, als die ohnehin renditeträchtige Medizintechnik von Siemens insgesamt.
Siemens konzentriert sich unter Kaesers Führung zunehmend auf das Projektgeschäft mit Großkunden. Als vielversprechende Geschäftsfelder hat der Siemens-Chef die Elektrifizierung, Digitalisierung und Automatisierung ausgemacht. Im Energiegeschäft will Kaeser zudem vom Öl- und Gasboom in den USA profitieren und hatte erst kürzlich die Milliarden-Übernahme des US-Kompressorenherstellers Dresser-Rand auf den Weg gebracht. Produkte für Verbraucher wie auch die Hausgeräte, die Siemens dem langjährigen Joint-Venture-Partner Bosch überlässt, passen da nicht mehr recht hinein. Eine Trennung von den Hörgeräten wäre nun für die Münchner der endgültige Abschied vom Endkundengeschäft mit seinen speziellen Spielregeln und Vertriebswegen. Auch in der restlichen Medizintechnik setzt Siemens auf Geschäftskunden: Röntgengeräte, Computertomographen, Ultraschallgeräte und Labordiagnostik-Systeme etwa finden ihre Abnehmer vor allem bei Kliniken, Forschungseinrichtungen und großen Labors.
Die Nase vorn soll der skandinavische Finanzinvestor EQT haben, aber auch andere Interessenten waren in Medienberichten genannt worden, darunter auch der dänische Hörgerätehersteller GN Resound. Ein anderer Spieler aus der Branche dürfte aus Kartellgründen kaum infrage kommen, hieß es in Industriekreisen.
Arbeitnehmervertreter sähen eine mögliche hohe Schuldenlast im Falle eines größtenteils fremdfinanzierten Deals mit Sorge und haben Standort- und Beschäftigungsgarantien gefordert. Sie fürchten, dass ein entsprechender Käufer einen harten Sparkurs einschlagen könnte. Dem Vernehmen nach könnte es aber auch Absprachen zwischen Siemens und einem Käufer zur Zukunft der Arbeitsplätze geben. Damit könnte Siemens auch versuchen, Negativmeldungen zu vermeiden, hieß es im „Handelsblatt“.
Nicht nur die Konjunktur, auch die Börsen erleben im Moment unsichere Zeiten. So liefen beispielsweise die Börsendebüts von Zalando und Rocket Internet eher mau, und die Zalando-Aktie notiert noch immer deutlich unter ihrem Ausgabepreis. Zuletzt hatte beispielsweise das Schweizer Biotechnologie-Unternehmen Molecular Partners seinen Gang aufs Parkett wegen eines „ungünstigen Börsenumfelds“ vorerst abgesagt.
Sie haben den Umbau des Konzerns mit „Vision 2020“ überschrieben. Warum braucht es heute diese plakativen Überschriften wie auch „Agenda 2010“, um einen mitunter mühsamen Prozess zu beschreiben?
Mit der Agenda 2010 ist Deutschland doch ziemlich gut gefahren. Manche versuchen zwar jetzt, das Rad zurückzudrehen, aber bisher profitieren wir noch davon. Der Anspruch unserer Vision 2020 ist es, ein besseres Unternehmen zu bauen. Wir wollen damit unseren Kunden, der Öffentlichkeit, den Mitarbeitern und den Aktionären eine klare Richtung aufzeigen. Das zurückliegende Jahr war für uns deshalb vor allem ein Jahr der Richtungsweisung. Wir haben es geschafft, dass heute bei Siemens keiner mehr sagen kann, er wisse nicht, wo es langgeht. Das kommende Jahr wird das Jahr der operativen Konsolidierung. Da hoffe ich, dass wir die mit allen Beteiligten und den entsprechenden Interessenvertretern fair und einvernehmlich hinbekommen. 2016 werden wir dann wieder auf Wachstumskurs gehen können.
Wird das Jahr 2015 auch das Jahr des Börsengangs der Medizintechnik?
Nein. Ich sehe bei der Medizintechnik in Zukunft einen Paradigmenwechsel. Molekularbiologie, Molekulardiagnostik, die Entschlüsselung des menschlichen Genoms, auch Biotechnologie können mittelfristig das Geschäft mit der bildgebenden Diagnostik, also beispielsweise mit Ultraschallgeräten oder Computertomografen, merklich verändern. Darauf müssen wir vorbereitet sein und wollen der Sparte Medizintechnik darum mehr Handlungsspielraum geben, etwa auch für mögliche Akquisitionen.
Was halten Sie von der Aufspaltung des Energieriesen E.On in zwei Teile?
Ich finde diesen Schritt sehr respektabel, im Grunde ist es der einzig richtige Schritt, sich aus einer Sackgasse zu befreien. Das Geschäftsmodell der Versorger ist durch den neuen regulatorischen Rahmen, den die Politik mit der Energiewende gesetzt hat, weggefallen. So etwas kann einem Unternehmen aber genauso gut durch technologische Veränderungen passieren. Das sind Paradigmenwechsel, die sehr weitreichend sind, weil sie ein Unternehmen in eine existenzielle Sackgasse führen können.
Sie selbst haben das Energiegeschäft als einen ganz wichtigen Pfeiler für Siemens definiert, vor allem mit Blick auf den Schiefergasboom in Amerika. Nun befindet sich der Ölpreis praktisch im freien Fall, im Energiegeschäft gibt es weltweit Überkapazitäten. Schlechtes Timing, oder?
Bei den großen Gasturbinen gibt es in der Tat deutliche Überkapazitäten. Das liegt auch daran, dass der Trend weltweit eher Richtung dezentrale und kleinteilige Energieversorgung geht. Das hat übrigens auch den Vorteil, dass man diese riesigen Überlandleitungen möglicherweise nicht mehr braucht, was manchen Ministerpräsidenten in Deutschland freuen dürfte. Ein weiterer Trend ist die Elektrifizierung der Öl- und Gasförderung. Um diesen beiden Entwicklungen Rechnung zu tragen, haben wir von Rolls-Royce das Geschäft mit kleinen Turbinen übernommen und außerdem das amerikanische Unternehmen Dresser Rand gekauft, einen Premiumanbieter für die wachsenden Öl- und Gasmärkte.
Ihr früherer Vorstandschef-Kollege Thomas Middelhoff ist zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Empfinden Sie das als gerecht?
Ich kenne die Fakten nicht gut genug. Im Gerichtssaal bekommt man ein Urteil. Ob ein Gerichtsurteil auch gerecht ist, ist oft eine andere Frage. Ich kann und will das aus der Ferne nicht bewerten.