Doch - wie so viele der gehypten „Alter Wein in neuen Schläuchen“-Maßnahmen - ist auch dieses, nennen wir es Mystery Marketing, nicht wirklich neu. In Sachen mysteriöser Ankündigungen ist Apple ungeschlagener Weltmarktführer. Bevor Apple ein neues iPhone einführt, wird gern einmal ein Prototyp in einer Bar liegengelassen, völlig unbeabsichtigt natürlich. Und die Öffentlichkeit fällt jedes Mal darauf herein.
Doch Apple wäre nicht Apple, würden sie nicht auch ihre Marketingkünste auf immer neue Spitzen trieben. Die angeblich von Erst-Besitzern kolportierte Nachricht, dass sich das iPhone 6 in der Hosentasche verbiegt - ein genialer PR-Schachzug - führte zu einem kaum versiegenden Strom von News, Tweets, Likes und Videos - und wie von Apple minutiös geplant zu einer Explosion der Nachfrage. In Sachen Mysterium macht Apple so leicht keiner etwas vor.
Twitter selbst, stets verlegen um ein nachhaltiges und für jedermann verständliches Geschäftsmodell, lanciert immer wieder gern das Gerücht, von Google aufgekauft zu werden - und schon ist die Welt in Ordnung und der Aktienkurs wieder im Lot.
Die Autobauer beherrschen diese Disziplin seit Jahrzehnten in Perfektion. Sie nennen es „Erlkönig“: Da wird ein angeblich neues Automodell hübsch verkleidet und solange über Autobahnen und Landstraßen gejagt, bis selbst der letzte Provinzjournalist ein Foto davon sein eigen nennen darf und es stolz seinen Lesern präsentiert. Selbstverständlich erhalten die Cracks unter den Automobiljournalisten die Route des Erlkönigs bereits Tage zuvor.
Opel hätte alles einfacher haben können
Nicht anders gingen die Werber von Opel vor, als sie ihre neue „Umparken im Kopf“-Kampagne erschufen. Unter Reklameleuten nennt man es „Teaser“: Der Betrachter erblickt ein Plakat mit einer Botschaft, jedoch ohne Absender. Er ist zunächst verwirrt ob dieses Mysteriums, wird aber bald von einer sündhaft teuren TV-Kampagne erlöst, die ihm verrät, dass in diesem Fall Opel hinter dem Geheimnis steckt.
Wie wir inzwischen alle wissen, war die Kampagne ein voller Erfolg: Opel verschaffte sich ein attraktiveres Image, verkaufte mehr Autos und steigerte seinen Marktanteil. Der einzige Wermutstropfen: Die Kampagne kostete ein Vermögen. Und spätestens seit Tesla wissen wir: Ein Tweet hätte völlig ausgereicht.
Was Erfolg hat, wird sofort kopiert. Der Verbraucher freut sich bestimmt riesig auf die nächsten Mystery-Kampagnen bei Twitter, etwa:
Activia: „Noch besser als Joghurt und Blähbauch. Seien sie gespannt auf den 30. April.“
Deutsche Bank-Vorstand Jürgen Fitschen: „Wir können Bank auch ohne Kunden. Warten Sie nur ab.“
Vodafone: „Der neue Red-Tarif - Voda erstmals ohne Phone.“
Deutsche Bahn: „Umgekehrte Wagenreihung war gestern. Breaking! Unsere neuesten Störungsursachen für den Sommerfahrplan…“
Jetzt muss allerdings noch ein schnittiger, cooler Begriff her: Ein passendes Buzzword für die Gerüchte- und Mystery-Marketingdisziplin. Denn ohne Buzz würde sie, das weiß jedes Kind, in der Marketing- und Werbebranche niemals zur Höchstform auflaufen. In Anlehnung an Elon Musk und zu seiner gebührenden Ehrung sollte man es „Musking“ taufen.
Es vergehen nur wenige Wochen, bis die ersten, hoch spezialisierten Musking- Agenturen aus dem Boden sprießen. Und die neuen Planstellen in den Marketingetagen hießen dann folgerichtig: CMM „Chief of Mystery Marketing“.