Geplant war, dass die BASF-Tochter Wintershall das bislang gemeinsam betriebene Erdgashandels- und Speichergeschäft vollständig an Gazprom überträgt. Dies hätte auch das Kasseler Gashandelsunternehmen Wingas betroffen. Gazprom hätte sich zudem mit 50 Prozent an der Wintershall Noordzee beteiligt, die in der Nordsee Erdöl und Erdgas fördert. Im Gegenzug war die gemeinsame Erschließung von Gasfeldern in Westsibirien vorgesehen.
Die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas und Öl
Deutschland kann aus eigenen Quellen gut zehn Prozent seines Bedarfs decken. Der Rest wird überwiegend aus Norwegen (gut ein Viertel) und den Niederlanden (knapp ein Fünftel) geliefert. In unterirdischen Speichern wird im Regelfall der Bedarf für mindestens zwei Monate vorgehalten. Russland ist somit größter Lieferant beider Brennstoffe für Deutschland. Beim Gas bezieht auch die EU insgesamt rund ein Viertel ihres Verbrauchs aus Russland.
Die Hälfte des russischen Gases nimmt den Weg über die Ukraine. Da beide Länder schon häufig über Preise, Transitgebühren und Lieferungen stritten und zeitweise die Versorgung unterbrochen war, wurden in Europa Alternativen gesucht. So wurde die Pipeline Nord Stream, die von Russland über den Ostseegrund direkt nach Deutschland führt, gebaut. Sie ist nicht ausgelastet und könnte weiteres Gas aufnehmen, sollte über die Ukraine nicht mehr geliefert werden. Daneben strömt ein großer Teil des Brennstoffes auch über die Jamal-Pipeline über Weißrussland und Polen nach Deutschland.
Ein weiterer Weg wäre der Import von flüssigem Erdgas etwa aus dem Nahen Osten über Tanker nach Deutschland. In der Bundesrepublik gibt es aber kein Terminal zum Entladen. Auch eine Einfuhr etwa über Rotterdam spielt kaum eine Rolle.
Gas wird in Deutschland zum Heizen, für die Industrie und die Stromherstellung gebraucht. Letztere hat im Zuge der Energiewende an Bedeutung verloren, da die Kraftwerke durch Ökostrom-Anlagen verdrängt werden.
Daran ändert auch der Druck auf die Gaspreise weltweit nichts. Zwar steigt der Energiehunger in China und Indien. Auf der anderen Seite aber hat der Boom der Schiefergas-Gewinnung, dem sogenannten Fracking, die USA von Importen unabhängig gemacht. Das Land will nun sogar Gas ausführen. Auch die Ukraine wollte das Potenzial von Schiefergas nutzen und sich unabhängiger von Russland machen. Das erste Projekt zur Schiefergasförderung wurde Anfang 2013 zwischen der ukrainischen Regierung, dem Konzern Royal Dutch Shell und dem ukrainischen Partner Nadra geschlossen. Es geht um eine Fläche von der Größe des Saarlands. Der russische Gasmonopolist Gazprom hatte sich angesichts der Fracking-Konkurrenz zuletzt verstärkt bemüht, den Absatz nach Westeuropa zu sichern.
Russland ist auch Deutschlands größter Öllieferant. An Position zwei und drei liegen Großbritannien und Norwegen mit jeweils um die zehn Prozent. Auch Libyen, Nigeria und Kasachstan spielen ein Rolle. Gespeichert wird in Deutschland Öl für den Bedarf von mindestens 90 Tagen.
Der größte Teil des russischen Öls kommt über die Pipeline Druschba (Freundschaft) über Weißrussland und Polen ins brandenburgische Schwedt. Ein zweite Leitung führt über das Gebiet der Ukraine.
Öl wird als Treibstoff, für die Chemie, aber auch in vielen anderen Grundstoff-Industrien benötigt. Auch als Heizöl wird es in Deutschland oft eingesetzt. Der Preis ist nach jahrelangem Anstieg auf dem Weltmarkt etwas zurückgegangen. Die EU und Deutschland versuchen sich über den Einsatz von Biokraftstoffen und Elektroautos langfristig unabhängiger von Erdöl zu machen. Die Abhängigkeit bleibt aber für die kommenden Jahrzehnte hoch.
„Aufgrund des aktuell schwierigen politischen Umfelds haben BASF und Gazprom beschlossen, den zum Jahresende geplanten Tausch von Unternehmensanteilen nicht zu vollziehen“, sagte Wintershall-Sprecher Stefan Leunig. Insgesamt trugen die Aktivitäten, die BASF ins Tauschgeschäft einbringen wollte, im Jahr 2013 rund 12 Milliarden Euro Umsatz bei.
Erdgashandel soll fortgesetzt werden
Die Beziehungen zwischen Russland und der EU sind derzeit angespannt. Die EU hatte Russland wegen des Ukraine-Konflikts mit scharfen Wirtschaftssanktionen belegt. Noch Anfang Dezember hatte BASF-Vorstandschef Kurt Bock betont, das geplante Tauschgeschäft mit Gazprom werde bis zum Jahresende abgeschlossen.
Das Erdgashandelsgeschäft wird nun den Angaben zufolge weiterhin als Gemeinschaftsunternehmen zwischen Gazprom und Wintershall fortgeführt. BASF-Chef Bock sagte, er bedaure, dass der Tausch nicht abgeschlossen werde. Der Konzern werde seine Zusammenarbeit mit Gazprom in den bestehenden Gemeinschaftsunternehmen fortsetzen. „Unsere Strategie im Öl-und-Gas-Geschäft bleibt unverändert: Wir konzentrieren uns auf profitables Wachstum an der Quelle in ausgewählten öl- und gasreichen Regionen.“
Die Absage des Tauschgeschäftes mit Gazprom zeigt, dass BASF insbesondere im Russland-Geschäft ein hohes politisches Risiko geht. Erst vor wenigen Wochen stoppte Präsident Wladimir Putin das South-Stream-Pipelineprojekt, an dem die BASF ebenfalls beteiligt war. Durch die Pipeline sollte russisches Gas nach Südeuropa transportiert werden. Die BASF-Tochter Wintershall wollte etwa 1,5 Milliarden Euro investieren.
Probleme hatte der Chemiekonzern mit seinem Öl- und Gasgeschäft auch in Libyen – ebenfalls aufgrund der politischen Lage. In dem nordafrikanischen Land fördert BASF große Mengen Öl, rund zwei Milliarden Dollar soll Wintershall in dem Land investiert haben. Während des Bürgerkriegs musste die Förderung jedoch zeitweise eingestellt werden, Mitarbeiter das Land verlassen.
Der Stopp des Geschäfts hat auch Auswirkungen auf die BASF-Zahlen. Das Ergebnis vor Steuern und Zinsen (Ebit) dürfte im laufenden Jahr daher nur noch „leicht“ statt „deutlich“ steigen, für 2013 wird das Ebit auf 7,1 Milliarden Euro nach unten korrigiert. Die Belastungen bezifferte BASF auf 113 Millionen Euro im vergangenen und 211 Millionen Euro im laufenden Jahr.
Das geplante Geschäft mit dem staatsnahen Gazprom-Konzern war wegen der russischen Rolle in der Ukraine-Krise in die Kritik geraten. Anfang Dezember hatte Gazprom nach dem Stopp der transeuropäischen Erdgasleitung South Stream einen Strategiewechsel für Europa beschlossen.
Kurswechsel von Gazprom
Die Einstellung Russlands zum europäischen Markt ändere sich grundlegend, hatte Gazprom-Chef Alexej Miller gesagt. „Das ist der Anfang vom Ende unseres Modells, bei dem wir uns auf Lieferungen bis zum Endverbraucher auf dem europäischen Markt orientierten“, sagte Miller.
Der Konzernchef begründete den Kurswechsel von Gazprom mit der EU-Bürokratie, die auch South Stream zum Scheitern gebracht habe. Die EU-Kommission hatte bemängelt, dass Gazprom sowohl das Gas liefern als auch die Leitung betreiben sollte. Das sei mit EU-Recht nicht vereinbar. Die Gasleitung South Stream hätte vor allem die Länder Südosteuropas mit Gas aus Russland versorgen sollen. Anfang Dezember hatte Russland den Stopp des Projekts verkündet.
Das nun gestoppte Tauschgeschäft hatten BASF und Gazprom vor zwei Jahren angekündigt. Gazprom wollte damit ursprünglich Zugang zum wichtigen Endkundenmarkt in Westeuropa bekommen. BASF hätte sich damit vom Gashandel verabschiedet.
Anleger befürchten nun auch das Scheitern des geplanten Verkaufs der RWE-Öl- und Gasfördertochter Dea an einen russischen Investor. Wie die BASF-Aktien verloren auch die RWE Aktien stark an Wert. Ein RWE-Sprecher erklärte am Freitag in Essen: „Wir arbeiten daran, die Transaktion zügig abzuschließen. Allerdings stehen noch einige Zustimmungen Dritter aus. Ob wir die Gespräche hierzu bereits 2014 abschließen können, lässt sich derzeit nicht absehen.“
RWE will Dea für 5,1 Milliarden Euro an den russischen Oligarchen Michail Fridman verkaufen. Doch die britische Regierung blockiert wegen der politischen Sanktionen gegen Russland dieses Geschäft. Eigentlich sollte der Deal bis Ende 2014 über die Bühne gehen.
Bei BASF haben damit nun die Bedenkenträger Oberwasser, die Russland als strategischen Partner kritisch sehen. Zu ihnen dürfte auch Konzernchef Kurt Bock zählen, der viele Jahre seines Berufslebens in den USA zugebracht hat. Bei Wintershall in Kassel beklagen Manager die mangelnde Unterstützung aus der Führungsetage des weltgrößten Chemiekonzerns. Dort äußerte sich Bock nach Absage des Asset-Swaps nur lapidar: Er werde die bestehenden Russland-Projekte fortsetzen.
Tatsächlich ist es insbesondere Kremlchef Wladimir Putin selbst, der die deutsch-russische Kooperation im Energiesektor torpediert. Der Baustopp der Pipeline „South Stream“ soll Putins spontane Entscheidung gewesen sein, als er auf einem Staatsbesuch beim türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan die Bereitschaft zum Abschluss eines großen Gasvertrags verspürte.
Weder Gazprom noch die am Projekt beteiligten Juniorpartner wie Wintershall sollen vorab informiert gewesen sein. Wintershall-Chef Rainer Seele weilte da gerade im sibirischen Nowy Urengoj auf Pressereise und lobte die Russen als zuverlässigen Partner – bis diese just in diesem Moment das Gegenteil bewiesen.
Vorläufig ist das Verhältnis zwischen Deutschen und Russen ziemlich frostig. Putin gilt als Risikofaktor für die strategische Planung, zumal das politische Klima angesichts der weiter schwelenden Ukraine-Krise unkalkulierbar bleibt. Die Russen indes sind eben wegen der politischen Großwetterlage bereit, ihre nibelungentreuen Partner aus Deutschland zugunsten neuer Geschäftsbeziehungen mit China oder der Türkei zu opfern.
Gleichwohl ist man in Kassel bei Wintershall davon überzeugt, dass sich Gazprom nie ganz vom Westen lösen wird – zumal der Konzern im Moment unter enormen Druck steht und ein Viertel seiner über 400.000 Mitarbeiter entlassen muss. Technologisch sind die Russen unterdessen auf Partnerschaften wie jene mit Wintershall angewiesen. Die Chinesen können kein Gas in großen Tiefen bohren. Und die Türken erst Recht nicht.