Schon beim Versuch, den Verfall aufzuhalten, versetzte der Clan die Branche in Erstaunen. Anton und Gattin Christa Schlecker gaben Ende 2010 einen Teil ihrer Macht an ihre Kinder Lars und Meike ab. „Jugend forscht“, wurde der Wachwechsel intern bespöttelt. Zu schwer fiel es Führungskadern, sich die beiden beim montäglichen Familienrat mit Vater Anton vorzustellen.
Lars, 40, ausgestattet mit wallender Dirigentenmähne und einer Abneigung gegen Krawatten, könnte auch als Berliner Start-up-Unternehmer durchgehen. Meike, 38, gern gewandet in ein adrettes Businesskostüm, würde man eher in einer Kanzlei oder Bank vermuten denn an der Spitze des schwäbischen Windel- und Spülihändlers. Doch das Duo stürzte sich mit Verve ins Geschäft, holte Berater, setzte eine Werbekampagne auf und tauschte das Logo in einen geschmeidigeren Schriftzug. 230 Millionen Euro sollten zudem in den Umbau von Sortiment und Läden fließen.
Allein, es half nichts. Am 23. Januar, nachdem die Suche nach einem Investor gescheitert war, eine Zwischenfinanzierung wegbrach und angeblich die Schweizer Einkaufskooperation Markant Forderungen in Höhe von 20 bis 30 Millionen Euro fällig gestellt hatte, kapitulierte der Clan: Schlecker meldete Insolvenz an, wenige Tage später folgte die Tochter Ihr Platz.
Familiäres Risiko
Um ihren Einfluss zu sichern, versuchen der Patron und seine Kinder nun, das Verfahren mitzusteuern. Das Management und die Familie streben eine Planinsolvenz in Eigenregie an. Kommt es dazu, wird der vom Ulmer Amtsgericht am vergangenen Montag bestellte Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz eher kontrollieren und beraten denn durchgreifen. Zentrale Gläubiger sollen aber bereits gegen den Vorstoß murren, den Verursachern des Dilemmas nun die Gesundung des Konzerns anzutragen.
Schleckers Aufstieg und Fall
Deutschlands gemessen an der Zahl der Filialen größte Drogeriekette ist untrennbar mit der Familie Schlecker verbunden. In rund 36 Jahren wuchs aus den Anfängen in Baden-Württemberg ein europaweit agierender Handelsriese.Wichtige Stationen in Familie und Firma Schlecker:
Anton Schlecker wird am 28. Oktober in Ulm geboren
Schlecker beginnt seine Berufslaufbahn im Unternehmen seines Vaters, einer Fleischwarenfabrik samt 17 Metzgereien. Erste Selbstbedienungswarenhäuser entstehen in mehreren Orten im Südwesten.
Die Preisbindung für Drogerieartikel fällt weg. Zur gleichen Zeit startete auch dm-Gründer Götz Werner seine ersten Gehversuche als Drogerist. Vorher hatte es nur kleine Drogeriefachgeschäfte gegeben.
Schlecker eröffnet in Kirchheim/Teck (Kreis Esslingen) seine erste Drogerie. Zwei Jahre später sind es 100 Filialen.
Der 100. Discounter mit dem Namen Schlecker eröffnet.
Im Jahr 1984 öffnet Filiale Nummer 1000 die Türen.
Als ersten Auslandsmarkt erschließt Schlecker Österreich; später folgen Spanien, die Niederlande, 1991 - durch die Übernahme von „Superdrug“ - Frankreich
Am 22. Dezember überfallen drei Maskierte die Familie Schlecker, als Anton und Christa mit den beiden Kindern Meike und Lars nach Hause kommen; die beiden Kinder werden entführt, ihr Vater handelt das Lösegeld von 18 auf 9,6 Millionen Mark herunter. Nach der Übergabe können sich die 14 und 16 Jahre alten Geschwister am 23.12. selbst befreien. Die Polizei wird erst später informiert. Die Familie zieht sich noch stärker als bisher aus der Öffentlichkeit zurück
Nach dem Fall der Mauer expandiert Schlecker auch relativ schnell in die neuen Bundesländer.
Schlecker betreibt nach eigenen Angaben rund 5000 Läden; zugleich werfen Gewerkschafter dem Konzern vor, Mitarbeiter systematisch zu schikanieren und zu schlecht zu bezahlen - solche Kritik prägt in den kommenden Jahren immer wieder die Schlagzeilen über den „Drogeriekönig“. Schlecker weist Vorwürfe stets zurück und spricht von Einzelfällen.
Schlecker übernimmt zum Ende des Jahres die ehemals insolvente Osnabrücker Kette "Ihr Platz"
Das Amtsgericht Stuttgart erlässt gegen Christa und Anton Schlecker Strafbefehle von jeweils zehn Monaten auf Bewährung wegen vielfachen Betrugs - weil sie Mitarbeitern eine tarifliche Bezahlung bloß vorgetäuscht hätten.
Der Drogerieriese macht nach Gewerkschaftsangaben 52 Millionen Euro Verlust bei 7,42 Milliarden Euro Umsatz
Im Januar erneute Kritik über Arbeitsbedingungen bei Schlecker, wo bestehende Arbeitsplätze mit Leiharbeitsverträgen ersetzt werden sollten; die Bundesregierung will mit einer „Lex Schlecker“ gegensteuern. Zugleich muss der Drogerieriese einen Umsatzrückgang von rund 650 Millionen Euro auf noch etwa 6,55 Milliarden, davon 4,51 Milliarden Euro im Inland, hinnehmen und schreibt weiter rote Zahlen.
Patriarch Anton Schlecker holt im November seine Kinder Meike und Lars in die Führungsspitze und gibt einen Teil seiner Verantwortung ab; der Familienrat bleibt aber wichtigstes Entscheidungsgremium
Schlecker beginnt einen radikalen Umbau seines Filialnetzes; aus den überall verfügbaren Billigläden sollen hochwertige Drogerien in der Nachbarschaft werden - samt Slogan „For You. Vor Ort.“; Neue Führungsgrundsätze sollen schlechte Mitarbeiterführung ein für alle Mal verhindern; das Magazin „Forbes“ führt Anton Schlecker auf seiner Reichen-Liste noch mit 3,1 Milliarden Dollar Vermögen (rund 2,4 Milliarden Euro)
Nach Wochen voller Gerüchte um finanzielle Engpässe gibt Schlecker am 20. Januar bekannt, in die Planinsolvenz gehen zu wollen.
Doch selbst wenn die sogenannte Eigenverwaltung scheitert, muss das nicht das Aus für die Filialkette bedeuten. Eine Planinsolvenz, bei der der Verwalter das Unternehmen selbst saniert und später an Investoren weiterreicht, wurde zum Beispiel beim Essener Warenhauskonzern Karstadt vorexerziert. Selbst bei einer Abwicklung und Zerschlagung des Konzerns könnten Unternehmensteile überleben. Für die Familie wären letztere Szenarien jedoch der GAU. Das Risiko, aus dem Unternehmen gedrängt zu werden und Schulden bedienen zu müssen, stiege enorm.
Wie bei Karstadt eröffnet das deutsche Insolvenzrecht dem leckgeschlagenen Seifenprimus zunächst aber reihenweise Sparpotenzial. Eines der wichtigsten Instrumente ist das Insolvenzausfallgeld.