Aus der Jukebox im Tiefgeschoss der 386 Oxford Street in London dröhnt The Clash, die Wände schmücken Fotos protestierender Jugendlicher. Vor den unverputzten Backsteinwänden des Shops reihen sich Stiefel und Halbschuhe verschiedener Farben und Größen. Das Revoluzzer-Ambiente passt zum Kern der Marke Dr. Martens. Wie kaum eine andere steht sie für Individualismus und Rebellion.
Auch Steve Murray trägt ein Paar zu seinen hellgrauen Jeans. „Zu Hause habe ich 25 oder 30 weitere im Schrank“, sagt der gebürtige Schotte, der die Geschicke der englischen Kultschuhe mit deutschen Wurzeln seit Oktober 2014 lenkt. Unter seiner Führung hat Dr. Martens kräftig investiert, Produktstrategie und Vertriebskanäle überarbeitet, neue Designer eingestellt und Teile des Führungsteams ausgetauscht.
Dabei hat Murray einen schwierigen Spagat zwischen Revolte und Finanzen zu leisten. Die Marke gehört dem Investor Permira, der als knallhart bekannt ist und in Deutschland unter anderem bei Hugo Boss und ProSiebenSat.1 engagiert war. Seine Manager haben ihr Berufsleben in Business Schools, Beratungen und Investmentbanken verbracht. Dr.-Martens-Schuhe dürften sie dort kaum getragen haben.
Besonders hart mit Stahlkappe
Die Wurzeln der Marke liegen in Deutschland. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich der deutsche Arzt Klaus Märtens die derben Treter mit der Luftpolstersohle gemeinsam mit seinem Partner Herbert Funck patentieren lassen. Wegen ihrer Robustheit waren sie zunächst vor allem bei Arbeitern und Soldaten beliebt. Seit sie The-Who-Gitarrist Pete Townshend 1966 bei Auftritten anzog, avancierten sie zum unverzichtbaren Begleiter jugendlicher Gegen- und Protestkultur.
Besonders populär machten sie Ende der Siebzigerjahre Punkbands wie die Sex Pistols und die Ramones. Neben Springerstiefeln waren „Docs“ das ideale Gegenmodell zu den von Hippies bevorzugten Sandalen. In der Ska-, Skin-, Rap-, Grunge- und Gothic-Szene standen sie von da an für Aufbegehren und Härte – vor allem in der verschärften Version mit den Stahlkappen.
Die Eigentümer von Dr. Martens verließen sich jedoch zu lange darauf, dass die jeweilige Gegenkultur sie schon immer brav ernähren würde. Doch ab der Jahrtausendwende nahm die Popularität ab. Jugendliche zogen lieber Sneaker an, mit der Marke ging es bergab. Vor drei Jahren dann verkaufte die Eigentümerfamilie Griggs ihr Unternehmen AirWair, das die Schuhe produziert, für umgerechnet 350 Millionen Euro an Permira.
Um die Pleite zu vermeiden, hatte der damalige Chef David Suddens schon zuvor einen Sanierungskurs eingeschlagen, den ein Finanzinvestor kaum radikaler hinbekommen hätte. Mit Ausnahme einer kleinen Manufaktur im Dorf Wollaston im mittelenglischen Northamptonshire verlegte er die gesamte Produktion nach Asien. Heute verkauft das Unternehmen jährlich bis zu sechs Millionen in China, Vietnam und Thailand produzierte Paare in 55 Ländern.
Permira wollte nicht nur sanieren, sondern auch expandieren und holte dafür den erfahrenen Schuhprofi Murray an Bord. Der hatte sich bei Vans, Ugg und Reebok bereits internationale Verdienste erworben und machte sich sofort daran, AirWair umzukrempeln. „Permira sagt immer, wir haben die Marke gekauft und nicht das Unternehmen“, sagt Murray. Er tauschte fast die gesamte Führungsmannschaft aus – nur 2 von 15 Topmanagern blieben übrig.
Seit der Übernahme hat Permira rund 40 Millionen Pfund investiert. Murray setzte das Geld unter anderem dafür ein, den Vertrieb zu straffen und eine eigene E-Commerce-Plattform aufzubauen. Von dieser stammen derzeit rund neun Prozent des Umsatzes, 15 Prozent sollen es werden.