Werner knallhart

Männer, keine Scheu vor Modesünden!

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Ein Stückchen toleranter

Große V- oder Rundhalsausschnitte. Den sollen laut Brichzi nur Modells um die 20 tragen. Weil? Weil jemand um die 40 seinen Körper nicht mehr herzeigen sollte?

Ich sage: Wenn ein Bereich des männlichen Körpers den Alterungsprozess am längsten standhält, dann ist es das männliche Dekolleté. Selbst wenn langsam die Bauchmuskeln nachlassen. Der Mann 30+ muss also gerade nicht zum von gewissen Experten favorisierten "normalen Halsausschnitt" greifen. Zum Normalen zu raten, ist ohnehin der lahmste Tipp von allen.

Den Hals im Sommer mit Tüchern und Schals zu verbergen, das ist Brichzi aber auch nicht recht. Weil das ja albern aussieht. Und Ketten dürfen Männer auch nicht tragen. Ohne Begründung.

Was bleibt einem noch als Mann über 30?

Ich lese weiter: Trainingsjacken darf man nicht anziehen, das sieht aus wie Provinz-Sportverein. Schmale Sonnenbrillen sehen offenbar irgendwie scheiße aus. Bei Hüten sind nicht die beliebtesten im Stil des verstorbenen Musikers Roger Cicero erlaubt, sondern da muss man sich vom Experten beraten lassen - der eigene Geschmack reicht da nicht aus. Slipper sind tabu, weil man die ja nur ohne Socken tragen kann, aber dann wäre der Fuß ja nackt und das findet Herr Brichzi ja iiih. Ich frage mich: Ist jemandem schon mal aufgefallen, dass ein Fuß nackt im Socken steckt?

Quergestreifte Hemden und Pullover über den Schultern? Nur erlaubt, wenn Sie eine Yacht im Mittelmeer haben. Logisch. Denn wer reich ist, der steht laut Brichzi ja über allen Moderegeln.

Aber jetzt kommt der Knaller: Rucksäcke sind tabu! Als ich das gelesen habe, wusste ich, worüber ich meine Kolumne diese Woche schreibe. Da wird uns geraten, Schlüssel, Geldbeutel und Handy in die Hosentaschen zu stopfen. Auch Supermarkteinkäufe dürfen nicht in den Rucksack, sondern müssen in Tüten. Sollen Dokumente oder ein Laptop mit, braucht man eine - ACHTUNG - Aktentasche! Oje! Die einen tragen eben Rucksack, die anderen finden es schicker, mit ausgebeulter Hose, Aktentasche und Tüten von Saturn und Kaufhof behängt durch die Gegend zu rennen. Übrigens: Umhängetaschen gehören laut Brichzi an die Uni. Mir hingegen war, als trüge dort fast jeder Mann längst einen Rucksack.

Was bleibt einem noch als Mann über 30? Wie muss man sich einen Mann mittleren Einkommens vorstellen, dem folglich keine modische Eskapade erlaubt ist?

Ich habe mir ein Foto von Herrn Brichzi im Internet angeguckt. Da blickt er in die Kamera und trägt einen schwarzes Sweatshirt mit an den Nacken gezurrter Kapuze. Ein Kapuzen-Pulli. Damit kann man seit Jahrzehnten nicht viel falsch machen. Aber wenn wir uns zum Motto machen, bloß nichts anders machen zu dürfen als früher, weil man damit ja daneben liegen könnte, wenn wir uns nicht trauen aufzufallen, weil sonst irgendwelche Experten an der Straßenecke im Boden versinken vor Fremdscham - wenn dieses verschnarchte kapuzenpulli-hafte Mode-Prinzip auf andere Lebensbereiche wie etwa das Berufsleben oder die Politik durchschlägt, dann gute Nacht, Freunde.

Es könnte doch so einfach sein: Liebe Mode-Götter, hört auf, euch für andere zu schämen und schreibt doch einfach: "Sommertrend 2017: Tennissocken in Sandalen und Banker mit Gesichts-Tattoo" - und macht die Welt damit ein Stückchen toleranter.

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