Die Nachricht wurde lange erwartet und kam doch überraschend: Vorstandschef Wolfgang Dehen verlässt zum Jahresende Osram, der Lichttechnik-Hersteller bekommt frühzeitig einen neuen Chef. Auf Dehen folgt ab Januar 2015 Olaf Berlien, derzeit noch Chef der M+W Group. Davor arbeitete der 52-Jährige unter anderem für ThyssenKrupp, Carl Zeiss und IBM Deutschland.
Der bisherige Vorstandsvorsitzende Wolfgang Dehen scheide zum gleichen Zeitpunkt „auf eigenen Wunsch und im besten Einvernehmen“ aus dem Vorstand und seinen weiteren Ämtern bei Osram aus, heißt es weiter.
Dehen war in den vergangenen Monaten stark in die Kritik geraten. Bereits im Sommer gab es Medienberichte, dass sich der Aufsichtsrat nach einem Nachfolger umsehe.
Dehen wird vor allem die miese Stimmung in der Belegschaft angekreidet. Technikvorstand Peter Laier galt bei den Angestellten als Hoffnungsträger, doch er zog im Machtkampf mit Dehen den Kürzeren – und verließ das Unternehmen im Juni. Seitdem steht Osram still. Das im MDax notierte Unternehmen mit seinen mehr als 30.000 Mitarbeitern befindet sich in dem wohl tiefstgreifenden Umbruch seiner fast 100-jährigen Geschichte. Doch statt dem Konzern mit einer schlüssigen Langfriststrategie eine klare und eindeutige Richtung zu geben, verkroch sich Dehen zunehmend hinter stundenlangen Präsentationen, in denen ein Chart auf den anderen folgte.
Miserables Betriebsklima
PowerPoint-Folien zum Einbruch des Geschäfts mit Leuchtstoffröhren und Glühlampen, PowerPoint-Folien zum geplanten Stellenabbau, PowerPoint-Folien zu den Geschäftserwartungen in Amerika, PowerPoint-Folien zur Entwicklung des LED-Geschäfts: „Dehen lebt in Folien“, sagt ein ehemaliger Osram-Manager.
Vor lauter Diashows und Strategieplanung verlor der Chef offenbar den Bezug zu den drängenden Probleme in der Realität. Dann folgte das böse Erwachen.
„Die Stimmung im Unternehmen ist ganz unten“, sagte ein Mitglied des Aufsichtsrats in der vergangenen Woche. Im Juli kündigte Dehen an, dass Osram im Rahmen einer zweiten Restrukturierungswelle insgesamt 7800 Stellen streichen will. In Deutschland entfallen 1700 Arbeitsplätze, vor allem in Berlin, Augsburg und Eichstätt. Im vergangenen Jahr hatte Osram bereits den Abbau von weltweit knapp 8700 Jobs verkündet. Die dritte Kündigungswelle, so viel steht jetzt schon fest, soll 2017 anrollen. Von weltweit 44 Fertigungsstandorten sollen am Ende noch 33 übrig bleiben, so der derzeitige Plan.
Osram und Phillips im Vergleich
Die kräftigen Zuwächse im LED-Geschäft werden die erwarteten Einbrüche im Geschäft mit traditioneller Beleuchtung kaum aufwiegen. Osram fehlt nach wie vor eine schlüssige Zukunftsstrategie.
Osram Geschäftsjahr zum 30.09.2013; Phillips Geschäftsjahr zum 31.12.2013
Osram: 5 289
Phillips: 23 329
(in Mio. Euro)
Osram: 28
Phillips: 1 169
(netto, in Mio. Euro)
Osram: 0,5
Phillips: 0,5
(in Prozent)
Osram: 36 696
Phillips: 115 365
Osram: 6,5
Phillips: 6,3
(in Prozent)
Osram: 26,45
Phillips: 21,48
(in Euro)
Osram: 11,5
Phillips: 12,6
(09/2015 bzw. 12/2015)
Osram: 2 769
Phillips: 20 549
(in Mio. Euro)
Bloomberg; Thomson Reuters
Dabei hatten sich die Geschäfte des Münchner Traditionsunternehmens nach der Abspaltung vom Mutterkonzern Siemens zunächst vielversprechend entwickelt. Dehen, der Ende 2012 von Siemens an die Osram-Spitze wechselte, half mit, das Unternehmen im Juli vergangenen Jahres erfolgreich an die Börse zu bringen. Vom Ausgabekurs in Höhe von 24 Euro kletterte der Kurs der Aktie zwischenzeitlich auf mehr als 50 Euro. Erstmals nach verlustreichen Jahren wies Osram für das am 30. September 2013 abgelaufene Geschäftsjahr wieder einen Gewinn aus.
Das brachte Dehen den Ruf des guten, wenn auch eiskalten Sanierers und Restrukturierers. Doch dass der 60-jährige Diplomkaufmann aus Solingen das Zeug dazu hat, den Konzern mit einer langfristigen Strategie durch den schwierigen Übergang von der traditionellen Beleuchtung hin zur halbleiterbasierten LED-Beleuchtung zu führen, bezweifelten immer mehr Beobachter.
Dehen wurde für Osram zum echten Problem
Dazu kam: Der Konzernchef selbst tat wenig, um die miserable Stimmung im Unternehmen zu drehen – im Gegenteil. Durch sein ruppiges Auftreten bar jedes Verständnisses für moderne Personalführung verprellte Dehen systematisch einen Manager nach dem anderen.
Auf seine Art angesprochen, erwies sich Dehen als beratungsresistent. Er pflegte bei Osram schneidende Distanz anstelle persönlicher Nähe. Ein früherer Weggefährte schildert ihn als Zeitgenossen, der „auch morgens um drei an der Bar noch reserviert ist“. Hin und wieder haben Vertraute im Konzern versucht ihn zur Seite zu nehmen und vorzuschlagen, ab und zu wenigstens mal durch die Büros zu gehen und mit Mitarbeitern zu sprechen. Doch Dehen tat solche Vorschläge als Anbiederei ab.
Als einige führende Manager ihm im Sommer rieten, vor der Ankündigung des neuerlichen Stellenabbaus die Arbeitnehmervertreter zu informieren, wurde der Chef unwirsch und wischte den Vorschlag vom Tisch. Erst müssten Fakten geschaffen werden, lautete die knappe Antwort. Ein Konzernsprecher erklärte, die Vorwürfe seien so nicht richtig, und sprach von einer „Schmutzkampagne“ gegen Dehen.
Keine Kreativität mehr
Damit wurde Dehen für Osram zum echten Problem. Denn Kreativität und Begeisterung können in einem solchen Klima der Angst nicht entstehen; die aber wären in dem Unternehmen dringend nötig. Die gesamte Lichtindustrie befindet sich in einem gewaltigen Umbruch.
Leuchtstoffröhren, die althergebrachte Glühlampe, auch Energiesparlampen und Halogenleuchten werden in den kommenden Jahrzehnten vom Markt verschwinden und von energiesparenden LEDs, den sogenannten Licht emittierenden Dioden, ersetzt werden. Der Digitalisierung in den Fabriken folgt jetzt die Digitalisierung des Lichts.
Deshalb legt der Osram-Aufsichtsrat das Schicksal der ehemaligen Siemens-Tochter jetzt in die Hände eines ehemaligen ThyssenKrupp-Vorstands. Berlien folgt aber nicht nur auf Dehen, er wird eine Art Super-Vorstand: Neben dem Vorstandsvorsitz soll der 52-Jährige in Personalunion auch noch das extrem wichtige Technikressort führen.
Erfahrung im Technik-Bereich bringt Berlien bereits mit. Bevor er Chef bei M+W wurde, war der Manager Chef der Technologiesparte von ThyssenKrupp. Doch als Investoren bei dem schlingernden Konzern einen personellen Neuanfgang forderten, drängte der damalige Aufsichtsratschef Gerhard Cromme Berlien aus dem Unternehmen.
Die Berufung an die Spitze der einstigen deutschen Industireperle Osram ist für Berlien selbst eine Art Rehabilitation. Jetzt muss er Osram rehabilitieren.