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Quelle: imago images

Goldene Windbeutel und Marketing mit heißer Luft

Marken und Werbeversprechen, die Verbraucher bewusst täuschen, schaden nicht nur ihrem eigenen Ansehen. Das muss ein Ende haben. Wir brauchen jetzt Vorbilder, nicht noch mehr Ignoranten.

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Es ist noch kein halbes Jahr her, da präsentierten wir an dieser Stelle die fragwürdigen Sieger des Schmähpreises Mogelpackung des Jahres: Upfield (Rama), Lactalis (Leerdammer), Reckitt Benckiser (Calgon), Haribo (Goldbären) und Kelogg (Pringles). Zitat daraus:

„Das Thema ist weitaus größer als nur Betrug am Verbraucher und Inflationstreiberei: Die Umwelt wird durch Mogelpackungen stark in Mitleidenschaft genommen. Die Verbraucherzentrale rechnet vor: Für das Abfüllen von 1000 Tonnen Rama benötigt Upfield nun eine halbe Million Plastikbecher mehr. Dieses Verhalten ist im Jahre 2023 indiskutabel. Zumal wir wissen, dass es für Deutschland offenkundig schwer wird, die Klimaziele einzuhalten. Was Unternehmen wie Upfield hier machen, ist die Klimaziele mit Anlauf zu torpedieren.“

Nun ist es die dreisteste Werbelüge des Jahres, der Goldene Windbeutel, der erneut von Foodwatch verliehen wurde. Die Verbraucherschutzorganisation prangert jedes Jahr besonders irreführende Verpackungen von Lebensmittelherstellern an. Bei der Wahl des Negativpreises wählten 28 Prozent der mehr als 50.000 Teilnehmer die „Pom-Bär Ofen Minis“ von Intersnack auf den ersten Platz.

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Die Kritik: „Intersnack bewirbt den Snack mit ‚50 Prozent weniger Fett‘ und erweckt so einen gesünderen Eindruck – doch die Chips in Bärenform enthalten etwa sechs Mal so viel Zucker wie die Original Pom-Bären. Nach den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation dürften die Pom-Bären aufgrund des Zucker- und Salzgehalts nicht an Kinder beworben werden.“

Intersnack wird abgestraft

„Die Verbraucher:innen strafen Intersnack für seine zuckrige Kinder-Werbelüge ab“, so Rauna Bindewald von Foodwatch. „Intersnack will mit seinen fettreduzierten Chips offenbar gesundheitsbewusste Eltern ansprechen – und verschweigt den hohen Zuckergehalt der Ofen-Pom-Bären. Mit ‚50 Prozent weniger Fett‘ zu werben und gleichzeitig den Zuckergehalt zu erhöhen – das passt nicht zusammen.“

Das Ergebnis im Detail:

  • 1.Platz: Pom-Bär Ofen Minis von Intersnack Deutschland (28 Prozent der Stimmen)
  • 2. Platz: Trinkmahlzeit von Yfood (22,4 Prozent) 
  • 3. Platz: Porridge von 3 Bears (20,2 Prozent) 
  • 4. Platz: Philadelphia mit Ziegenkäse und Rosmarin von Mondelez (20,0 Prozent) 
  • 5. Platz: Tuc Bake Rolls von Mondelez (9,4 Prozent).

Foodwatch verleiht seit 2009 den Goldenen Windbeutel – in diesem Jahr zum zwölften Mal. Bisherige Preisträger waren Actimel von Danone (2009), die Milch-Schnitte von Ferrero (2011) und das Smart Water von Coca-Cola (2018). 2021 gewann Rewe den Goldenen Windbeutel für die Klimaneutral-Werbung auf seinem Hähnchenfleisch und stellte die Verbrauchertäuschung später ein. Offenbar zeigt der Preis Wirkung, hält aber viele Unternehmen nicht von immer neuen Täuschungen ab.

Goldener Windbeutel: Mondelez belegt gleich zwei Plätze

Am Unternehmen Yfood wird kritisiert, dass der Drink laut Werbung ohne Zuckerzusatz sei, in Wirklichkeit jedoch mit 22 Gramm Zucker und 500 Kalorien Energiegehalt verkauft würde, somit „weder als Mahlzeit noch zum Abnehmen geeignet“ sei. 3 Bears bewirbt seinen Porridge als „geheime Mischung aus Vollkornhaferflocken“, das Produkt enthalte jedoch nichts weiter als normale Haferflocken, sei dafür aber sechsmal so teuer wie die Eigenmarken der Supermarktketten.

Mondelez (Milka, Oreo, Toblerone) belegt gleich zwei Plätze. Die Bake Rolls wurden früher unter der Marke Seven Days verkauft. Unter der neuen Marke Tuc ist die Packung um 40 Prozent kleiner und 139 Prozent teurer, ein klassischer Fall von Shrinkflation: „2023 fiel es Foodwatch aufgrund eines bestimmten Phänomens leicht, Produkte zu finden, die sich für den goldenen Windbeutel qualifizierten. Durch die sogenannte Shrinkflation, also einem gleichen oder höheren Preis bei kleinerer Packungsgröße, haben viele Unternehmen ihre Produkte neu angepriesen.“

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Noch dreister als ihre Werbelügen und Verbrauchertäuschungen sind nur noch die Ausreden der Hersteller. Alle von Foodwatch „ausgezeichneten“ Marken rechtfertigen sich für ihre Produkte. Gegenüber dem Spiegel verweist Intersnack darauf, dass der Grund für den hohen Zuckergehalt der Chips ein abweichender Herstellungsprozess sei. Dennoch bewerben sie den Etikettenschwindel ihrer Pom-Bär-Chips mit einem 500 Prozent höheren Zuckergehalt irreführenderweise und offensichtlich an gesundheitsbewusste Eltern.

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Yfood rechtfertigt den Einsatz von Süßstoffen damit, dass „kein herkömmlicher Zucker eingesetzt werden müsse. Somit sei die Stoffwechselbelastung gering. Außerdem verweist der Hersteller darauf, dass es sich nicht um ‚Diätdrinks‘ handele.“

Öl ins Feuer der Werbeverbote

Das alles ist schwer zu ertragen. Hersteller wie Intersnack sind das Öl im Feuer der laufenden Kampagne des Bundesernährungsministeriums. Foodwatch schreibt: „Marktstudien haben in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass ein Großteil der an Kinder beworbenen Lebensmittel zu viel Zucker enthält. Der aktuell von Bundesminister Cem Özdemir vorgelegte Gesetzentwurf zum Schutz von Kindern vor Junkfood-Werbung sei ein wichtiger Schritt für die Kindergesundheit. Die geplanten Regelungen beschränken die Werbung für unausgewogene Produkte im TV, Internet, Hörfunk und auf sozialen Medien.“

Da das geplante Werbeverbot jedoch die gesamte Lebensmittelindustrie beträfe, gefährdet es in der Folge unsere Medienvielfalt und sogar die demokratische Grundordnung des Landes. Das hat Özdemir inzwischen verstanden und eine Entschärfung des Gesetzesvorhabens angekündigt. Unmittelbar schuld an diesem Fiasko sind aber am Ende die Hersteller selbst, die Foodwatch in den letzten Jahren mit der Verleihung des Goldenen Windbeutels an den Pranger stellte.

Markenhersteller wie Intersnack, Yfood oder Mondelez erweisen anderen Marken einen Bärendienst, die die Sorgen der Verbraucherinnen ernst nehmen. Diese Sorgen betreffen sehr häufig die Gesundheit – die eigene und die ihrer Kinder – ebenso sorgen sich viele Menschen um Umwelt und Klima.

Unternehmen sind Teil des Problems

Intersnack schreibt auf seiner Homepage: „Zugleich wollen wir Produkte anbieten, die einen gesünderen Lebensstil fördern und die auch in puncto Umweltschutz, Arbeitsbedingungen und Umgang mit den Menschen in unseren Lieferketten überzeugen.“ Und Mondelez: „That’s why, at Mondelēz International, we empower people to snack right. This is our Purpose.“

Markenhersteller, die ihrer eigenen Haltung widersprechen, möchte man fragen: Was stimmt mit Ihnen nicht? Was ist daran so schwer, Menschen nicht zu täuschen, ihnen zu helfen, sich gesünder zu ernähren und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen? Was haben Hersteller und Marketingverantwortliche an „Customer Centricity“ nicht verstanden? Andernfalls lassen Sie das Purpose-Geschwurbel bitte bleiben.

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Solange Mogelpackungen des Jahres und Goldene Windbeutel an Unternehmen verliehen werden müssen, die Vorbilder zu sein haben, werden sich Marketing und Werbung in diesem Land nicht positiv weiterentwickeln können. Diese Unternehmen sind Teil des Problems. Das macht betroffen und wütend.

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