Es ist 10.30 Uhr morgens in der Innenstadt von San Francisco. In den Büroräumen von Mesosphere wippt Florian Leibert auf seinem Stuhl hin und her. Still zu sitzen ist nichts für den Chef und Mitgründer eines der weltweit heißesten Start-ups in der Softwarebranche. Und so springt der 33-jährige Schlaks an eine weiße Wandtafel, schnappt sich einen grünen Faserstift und entwirft seine Vorstellungen zur Zukunft der Datenzentren.
Was der deutsche Informatiker skizziert, ist die Neuerfindung des Cloud Computing, des wichtigsten Trends der Informationstechnik. Leibert und seine Mitgründer Tobias Knaup und Ben Hindman wollen so etwas wie die Über-Cloud schaffen.
Heute können Unternehmen unterschiedlichste IT-Dienste aus dem Netz beziehen: Rechenleistung von einem Anbieter, Speicher beim anderen, Datenanalyse beim Dritten. Sensible Kunden- oder Konstruktionsdaten aber wollen viele nicht aus der Hand geben und halten sie auf eigenen Rechnern. Dieser Mix von Diensten und Dienstleistern aber macht Cloud Computing komplex und weniger effizient als gedacht. Leibert will das ändern und den Rechenbetrieb im Netz massiv flexibilisieren: Er und sein 165 Köpfe starkes Team haben das Mesosphere Datacenter Operating System entwickelt, ein Betriebssystem für die Cloud. Das ermöglicht es, Anwendungen über Rechenzentrumsgrenzen zu managen, ganz egal, wo diese stehen und wer sie betreibt.
Vor- und Nachteile von Cloud Computing
Wer all seine Informationen in einer Cloud speichert, ist vom Anbieter abhängig. Sollte der sich möglicherweise nur unzureichend um seine Kunden kümmern, ist ein Wechsel zu einem anderen Anbieter meist schwierig, da die Datenmengen groß sind. Ein weiteres Problem: Für den Fall, das ein Anbieter pleite geht, gibt es keine klaren Regelungen. Erst wenn es Standards gibt, die einen Anbieterwechsel ermöglichen, sinkt die Abhängigkeit.
Dienstleister, die Clouds anbieten, beschäftigen sich in der Regel intensiv mit dem Thema Datenschutz. Allerdings sind große Datenmengen auch immer ein attraktives Ziel für Hacker. Die Auslagerung der eigenen Daten in eine Cloud bedeutet somit auch immer einen Kontrollverlust.
Die Menge des Speicherplatzes im Netz kann flexibel angepasst werden. Benötigt man mehr Speicherplatz, kann man einfach die angemieteten Kapazitäten erhöhen, anstatt sich teure Hardware kaufen zu müssen.
Der Administrationsaufwand sinkt, wenn man eine Cloud benutzt. Da die Installation auf dem eigenen Computer entfällt und auch Updates von den Cloud-Anbietern durchgeführt werden, kommt es hier zu einer großen Zeitersparnis.
Wer mit einer Cloud arbeitet, kann flexibel auf Daten zugreifen. Dabei spiel der Ort keine Rolle. Sowohl von Smartphones, als auch von Tablets und Computern aus können die Informationen abgerufen werden.
So entsteht eine Art virtueller Megacomputer, anpassbar mal auf Rechenleistung, mal auf Kosten, ganz wie der Kunde es wünscht. Infrastrukturdienste unterschiedlichster Cloud-Anbieter lassen sich ohne großen Aufwand verbinden, Dienste mal vom einen, mal vom anderen Anbieter beziehen. Leiberts Software macht alles austauschbar.
„Mit ihrem Ansatz sind sie wirklich disruptiv“, sagt Jay Lyman, Experte für Cloud Computing beim New Yorker Beratungsunternehmen 451 Research. Und extrem attraktiv. Gerade erst sind die Hightechriesen Microsoft und Hewlett-Packard Enterprise (HPE) bei Mesosphere eingestiegen. HPE-Chefin und IT-Milliardärin Meg Whitman persönlich ließ sich von Leibert seine Vision für künftige Datenzentren im Hauptquartier in Palo Alto erläutern.
Kongress
Wer Mesosphere-Gründer Florian Leibert live erleben möchte, hat beim Digital Transformation Summit die Chance dazu, den die WirtschaftsWoche am 6. September 2016 in Berlin ausrichtet. Hochkarätige Gäste der Veranstaltung sind auch Microsoft-Deutschlandchefin Sabine Bendiek, Exfußballer Stefan Reinartz sowie MAN-CEO Joachim Drees. Tickets gibt es bis zum 31. Juli noch zum Frühbuchertarif unter www.dt-summit.de
Am Ende investierten beide Konzerne gemeinsam 75,5 Millionen Dollar. Insgesamt ist das Unternehmen nun mit 123 Millionen Dollar ausgestattet; darunter Geld der Investoren Andreessen Horowitz sowie Koshla Ventures, zwei der ersten Adressen unter den Wagnisfinanzierern des Hightechtals. Drei Jahre nach dem Start wird das Unternehmen bereits auf rund 600 Millionen Dollar taxiert.
Rechenzentren einfacher und flexibler zu machen ist ein Standardversprechen etablierter IT-Anbieter. Doch in der Realität nimmt die Komplexität weiter zu. Dabei ist Flexibilität essenziell für die Betriebssicherheit der oft explosionsartig wachsenden Digitalunternehmen.
Leibert hingegen hat bereits bewiesen, dass seine Technik funktioniert. Beim Kurznachrichtendienst Twitter hatte der Deutsche vor Jahren schon einen Vorläufer der Mesosphere-Plattform entwickelt. Damit bekam Twitter nicht nur seine ständigen Systemausfälle in den Griff, die Technik erleichterte es zudem, neue Funktionen einzuführen.
Verizon, Time Warner, Ebay, PayPal, Twitter, Google: Kunden von Mesosphere
Später verfeinerten er und Schulfreund Knaup, die zur Jahrtausendwende in Schweinfurt bereits Webseiten und einen Onlineversand programmiert hatten, die Cloud-Plattform der Bettenbörse Airbnb. Sie legten die technische Basis für deren rasantes Wachstum. 2013 schließlich machten sie sich mit ihrer Idee selbstständig.
Ben Hindman, Sohn der Gastfamilie, in der Leibert sein US-Highschool-Jahr als Austauschschüler verlebt hatte, vervollständigte das Gründertrio. Er hatte zuvor an der Uni Berkeley die Open-Source-Software Apache Mesos mitentwickelt.
Sie macht es möglich, auf verschiedenen Computern verteilte Programme zu managen. Mesosphere erweitert dieses Konzept fürs Cloud Computing. Mit Erfolg: Der US-Mobilfunkriese Verizon und die Kabelgesellschaft Time Warner sind ebenso Geschäftskunden von Mesosphere wie Ebay, PayPal und Twitter. Selbst Google setzt die Technik ein, obwohl der Internetgigant mit seiner Plattform Kubernetes einen ähnlichen Ansatz verfolgt.
Insgesamt nutzen schon mehr als 1000 Unternehmen weltweit Mesospheres Software. Mehr als 150.000 Mal wurde sie heruntergeladen. Ein Grund ist, dass die Basisvariante als Open-Source-Produkt erst einmal lizenzkostenfrei zu haben ist. Geld verdient das Start-up trotzdem; mit dem Verkauf einer erweiterten Programmversion mit zusätzlichen Funktionen sowie mit kostenpflichtigen Dienstleistungen.
Auf rund 50 Millionen Dollar summiert sich der Umsatz nach Schätzungen aus dem Umfeld. Profitabel sei Mesosphere als Wachstumsunternehmen allerdings bisher nicht. Dass das Geschäftsmodell aber durchaus hohe Erträge abwerfen kann, belegt RedHat. Das Softwarehaus etwa machte vergangenes Jahr mit Vertrieb und Service des ebenfalls lizenzkostenfreien Betriebssystems Linux an die 2,1 Milliarden Dollar Umsatz – und knapp 290 Millionen Dollar Gewinn. Trotzdem sind es nicht in erster Linie finanzielle Ziele, die Microsoft und HPE zum Einstieg beim Start-up bewegten.
Sie setzen darauf, dass Mesosphere die Voraussetzungen schafft, den Cloud-Computing-Markt neu zu verteilen. Derzeit dominiert Amazon mit seinen Web Services das Geschäft. Werner Vogels, Amazons Technikchef, glaubt, dass langfristig alle IT-Dienste in öffentliche Cloud-Angebote wandern. Microsoft dagegen propagiert einen Hybridansatz, den Mix von eigener Infrastruktur in Unternehmen und öffentlicher Cloud.
HPE hat als führender Anbieter von Computerservern größtes Interesse, möglichst viele Abnehmer für seine Hardware zu behalten, statt unter den Preisdruck weniger Cloud-Computing-Riesen zu geraten. Bislang allerdings schmälerte die Komplexität der Hybridwolken deren Attraktivität. Leibert und sein Team sollen Mesosphere nun zu so etwas wie dem Windows des Cloud-Computing-Zeitalters machen.
Wenn ihnen das gelingt, bringt das nicht nur zusätzlichen Umsatz für Server- und Softwareanbieter. Dann wird die Macht im aktuell rund 53 Milliarden Dollar schweren Markt der Cloud-Infrastruktur tatsächlich noch einmal ganz neu verteilt.