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Quelle: REUTERS

Marketing in den Fängen der Hypes (die keine sind)

Keine Branche läuft Hypes hinterher wie Marketing und Werbung. Manche Werber sind schon so blind, dass sie nicht merken, wie schnell jeder neue Hype verglüht. Zeit, die Kräfte neu zu justieren. Eine Kolumne.

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Es war wieder Dmexco. Die nach eigenen Angaben führende Veranstaltung für die Digital- und Tech-Branche setzte unter dem Motto „Empowering Digital Creativity“ im September Akzente und erneut strömten 40.000 Fachbesucher nach Köln. Sie lauschten 800 Vorträgen zu besonders gehypten Themen der Branche wie KI und Retail Media:

Künstliche Intelligenz war in aller Munde – und klebte entsprechend an jedem Stand. Retail Media war ein wichtiges Thema, das deutlich stärker war als vor einem Jahr. Das zeigte sich daran, dass Obi-Vermarkter Obi First Media Group oder Schwarz Media, die zentrale Mediagesellschaft für die Unternehmen der Schwarz Gruppe (Lidl, Kaufland), mit eigenen Ständen präsent waren.

Auch ein existentiell wichtiges Thema wie Nachhaltigkeit bekam in diesem Jahr einen gebührenden Platz. Dmexco-Veranstalter Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) lässt verlauten: „Wie vielfältig die Digitale Wirtschaft und ihre Themen sind, zeigt sich am Schwerpunkt Nachhaltigkeit, der nicht mehr nur als gesellschaftliche Verpflichtung angesehen wird. In zahlreichen Vorträgen waren sich die Experten einig: Unternehmen sollten Nachhaltigkeit fest in ihre Strategien integrieren. Es wurden konkrete Lösungsansätze präsentiert, um Unternehmen zu ermutigen, diese Entwicklung aktiv voranzutreiben und gemeinsam eine bessere Zukunft zu gestalten.“

Nachhaltigkeit im Einzelhandel spielt für die Verbraucher eine wichtige Rolle. Neben Lebensmitteln wollen die Deutschen insbesondere im Transportwesen und der Kosmetikindustrie mehr Umweltfreundlichkeit sehen.
von Philipp Schneider

Neue Prioritäten für digitales Marketing

Da die Themen Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Senkung von CO2-Emissionen seitens der Digitalverantwortlichen bisweilen noch vernachlässigt oder gar ignoriert werden, aber bedeutend wichtiger sind als der Umgang mit künstlicher Intelligenz oder Retail Media, darf man hoffen, dass die diesjährige Dmexco tatsächlich Impulse lieferte. Wenn ihr das gelungen ist, wenn sie endlich auch hier Prioritäten geraderücken konnte, war sie jede Minute und jeden Euro wert.

Hypes sind das Thema der Branche. Anstatt sich auf ihre Aufgaben zu konzentrieren, Marken zu positionieren, den Absatz zu fördern und Marktanteile und Umsätze zu steigern, beschäftigen sich zu viele Verantwortliche zu viel mit Themen, die gerade besonders angesagt sind. Dass ihnen dabei lediglich ihr schwerverdientes Marketingbudget aus der Tasche gezogen werden soll – das kommt ausgerechnet den Marketingexperten nicht in den Sinn. Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man darüber eine Satire schreiben.

Der Hype um NFTs hat sich in Luft aufgelöst

Erinnern Sie sich, als NFTs – Non-fungible Tokens – ein großes Marketingthema waren? Marketingleuten wurde eingeredet, NFTs für ihre Marken einzusetzen: als Krypto-Kunst und digitale Sammlerobjekte. Marken wie Adidas, Nike, Prada, Louis Vuitton, Porsche und VW ließen sich das nicht zweimal sagen.

Heute spricht kein Mensch mehr davon. Marketer investierten bisweilen Hundertausende in NFTs und heute liest man, dass 95 Prozent aller NFTs völlig wertlos sind und die wertvollsten Kollektionen gerade noch fünf bis zehn US-Dollar bringen. Der Freitag kommentiert: „Vor zwei Jahren startete die Idee, mit NFTs Internet-Kultur finanzkapitalistisch verwertbar zu machen. Die angebliche Idee: Urheber von digitaler Kunst zu den Besitzern ihrer Produkte machen. Das konnte nur schiefgehen.“ Für den NDR ist schlicht der „NFT-Hype vorbei“.

Vom Metaverse redet auch niemand mehr

Erinnern Sie sich an die Aufregung um das Metaverse, das vermeintliche Web3? Mark Zuckerberg pumpte als einer der Initiatoren der virtuellen Welt aberwitzige Summen in das Projekt. Als vielfacher Milliardär ist das sein gutes Recht. Nicht richtig war es, den Markenverantwortlichen jedoch weltweit einzureden, sie müssten um jeden Preis mitinvestieren. Wer nicht augenblicklich sechs- bis siebenstellige Summen überweiste, verpasste quasi den wichtigsten Zug der Marketinggeschichte.

Unzählige Unternehmen kauften im Metaverse Grundstücke, bauten darauf luxuriöse Anwesen – und stehen nun mit leeren Händen da. Die Reise ins Web3 endet, bevor sie überhaupt begonnen hat: Disney stampft seine Metaverse-Abteilung nach nur einem Jahr wieder ein. t3n berichtet über den Ausstieg von Microsoft: „Das Metaverse wird im März komplett geschlossen. Große Nutzerzahlen hat das Projekt nie gesehen – es wurde zu keinem Zeitpunkt von mehr als 740 Nutzern gleichzeitig besucht.“


„Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“ kommt einem als Zitat in den Sinn. „Die Menschen werden nicht erreicht“, schreibt Monopol, „oder es interessiert sie einfach nicht. Die Europäische Union, die sich natürlich auch auf der Höhe der Zeit präsentieren möchte, ließ eine Metaverse-Party ausrichten, die fast 400.000 Euro gekostet haben soll. Gekommen sind am Ende sechs Leute. Das tut alleine beim Hören weh.“

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