Quelle: dpa Picture-Alliance

WiWo History Tatort Droht ein zweites Rheinhausen?

Werden Hochöfen erkalten? Droht in Duisburg eine Entlassungswelle? Die Stahlsparte von Thyssenkrupp steht vor schweren Wochen. Der letzte große Kampf tobte um das Werk Rheinhausen. Ein Rückblick.

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Der Thyssenkrupp-Konzern sucht seit Jahren eine Lösung für das konjunkturanfällige Stahlgeschäft. Stahl-Aufsichtsratschef Sigmar Gabriel hatte zuletzt in einem Zeitungs-Interview darauf verwiesen, dass Steel Europe derzeit Produktionskapazitäten von jährlich knapp zwölf Millionen Tonnen habe, aber nur neun Millionen Tonnen verkaufe. „Es kann sicher nicht ausgeschlossen werden, dass bei Kapazitätsanpassungen auch ein Beschäftigungsabbau erfolgt“, fügte er hinzu.

Rappelt es also bald bei Thyssenkrupp? Die Zukunft der Stahlwerke scheint ungewiss, die Mitarbeiter wappnen sich. Es droht eine Auseinandersetzung wie zuletzt 1987 – damals ging es um das Krupp-Stahlwerk in Duisburg-Rheinhausen. Der Blick zurück:

Im Dezember 1987 soll das Stahlwerk von Krupp in Duisburg-Rheinhausen seinen 90. Geburtstag feiern. Es ist eine Ikone des Reviers. Alt, aber gut gerüstet für die Zukunft. Das Werk verfügt über die modernsten Hochöfen der Welt, ist perfekt angebunden ans Verkehrsnetz und kann die Welt mit täglich 12.000 Tonnen Stahl versorgen.

Allerdings ist es nur zur Hälfte ausgelastet. Seit Jahren türmen sich Verluste. Die Geschäftsführung hat daher ein Kooperationsmodell mit Mannesmann beschlossen – und will das Werk in Rheinhausen, in dem mehr als 6000 Kruppianer arbeiten, schließen.

Als die Pläne Ende November 1987 durchsickern, ist das Entsetzen groß. Erst im September hat der Betriebsrat einer „Gesundschrumpfung“ zugestimmt: Werkserhaltung gegen Stellenabbau, das war der Deal.

Bruckschen

„Norbert, die haben uns belogen und betrogen“, brüllt Manfred Bruckschen, Betriebsrat bei Krupp Rheinhausen, in den Telefonhörer. „Die Tinte unter unserem Vertrag war noch nicht trocken, da hat Cromme schon mit Mannesmann im Bett gelegen“. Am anderen Ende der Leitung: Norbert Blüm, Bundesarbeitsminister.

Gerhard Cromme, Vorstandsvorsitzender der Krupp Stahl AG, adressiert die Arbeiter direkt: „Sie müssen wissen, dass man wirtschaftliche Tatsachen nicht einfach übergehen kann. Krupp kann keine Hüttenwerke betreiben, mit denen jedes Jahr Hunderte Millionen D-Mark Verlust gemacht werden.“ Die nüchterne betriebswirtschaftliche Analyse kommt nicht gut an: Cromme muss sich in diesen Tagen unter Pfiffen, Buhrufen und fliegenden Eiern wegducken.

Crommen

Die Belegschaft tritt eine Welle von Protestaktionen los, viele Wochen lang. Am 10. Dezember 1987, dem „Stahlaktionstag“, steht fast das gesamte westliche Ruhrgebiet still: Die Stahlarbeiter und bundesweit 100.000 Menschen, die sich mit ihnen solidarisieren, blockieren Brücken und Autobahnauffahrten. „Rheinhausen soll leben“ – das ist das Motto. Und Rheinhausen – das ist Krupp. Ein Leben ohne das Werk ist für die Bewohner des Duisburger Stadtteils nicht vorstellbar.

Am 20. Januar 1988 ziehen Tausende Stahlkocher in einem Protestzug auf die Brücke, die Rheinhausen und Hochfeld verbindet.

Map

Dort bringen sie das von Auszubildenden gefertigte Namensschild „Brücke der Solidarität“ an – ein Name, den die Stadt Duisburg noch im selben Jahr offiziell übernimmt.

Retten kann der allseits demonstrierte Zusammenhalt den Produktionsstandort allerdings nicht. Mitte 1988 steht fest: Das Werk wird geschlossen. Nicht zum Jahresende, wie ursprünglich geplant, sondern erst 1993. Aber Schluss ist Schluss.

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Die Brücke der Solidarität erinnert bis heute an einen Arbeitskampf, wie es ihn in Deutschland seither nicht mehr gegeben hat: ein Denkmal des Industriezeitalters – mit Krupp-Stahl gebaut.

Hinweis: Dieser Artikel wurde erstmals am 21. Oktober 2023 bei der WirtschaftsWoche veröffentlicht. Wir haben ihn aktualisiert und zeigen ihn erneut.

Dieser Artikel erscheint in unserer neuen Reihe WiWo History.

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