Mobilität Der Wahnsinn des Pendelns

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Der typische Pendler

In diesen Städten stehen Sie am meisten im Stau
Der zehnte Platz im Stau-Ranking geht an das Ruhrgebiet Ost, konkret an das Ballungsgebiet Dortmund - Bochum. Autofahrer brauchen hier im Schnitt 18 Prozent länger als bei staufreiem Verkehr.Quelle: Statista - Stauauffälligste Städte und Regionen in Deutschland im Jahr 2014 Quelle: dpa
Pendler und Reisende in Bremen müssen in den Hauptverkehrszeiten eine um 20 Prozent längere Fahrzeit einplanen, weil sie im Stau stehen. Macht Platz neun für Bremen. Quelle: dpa
Noch weniger Spaß haben Autofahrer in Düsseldorf. Mit einer durchschnittlich 21 Prozent längeren Fahrzeit zu den Hauptverkehrszeiten rangiert die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt auf Platz acht unter den deutschen Großstädten. Quelle: dpa
Der siebte Platz geht an das Ruhrgebiet, diesmal die Städte Duisburg, Essen, Moers und Oberhausen. In diesen Ballungsgebieten brauchen Pendler in der Rushhour 22 Prozent mehr Fahrtzeit. Quelle: dapd
Platz sechs geht an Frankfurt am Main, wo Fahrer 27 Prozent mehr Stauzeit einplanen müssen. Quelle: dpa
Auch in München kann es ratsamer sein, das Auto stehen zu lassen und auf öffentliche Verkehrsmittel zu setzen: In der bayerischen Landeshauptstadt müssen Autofahrer zu den Stoßzeiten durchschnittlich 27 Prozent mehr Zeit einrechnen. Macht Platz fünf im Ranking. Quelle: dpa
Die Hauptstadt Berlin landet auf dem vierten Platz. Mit 28 Prozent mehr Zeitaufwand ist hier zu rechnen. Quelle: dpa

Wie stark Pendler unter Strom stehen, hat bereits 2004 der britische Stressforscher David Lewis untersucht. Sein Ergebnis ist alarmierend: Droht ein Pendler seinen Zug zu verpassen, kann sein Stresspegel stärker steigen als der von Kampfpiloten im Einsatz. Die Gesundheit leidet mit steigender Entfernung. Laut einer von der AOK veröffentlichten Studie fehlen Arbeitnehmer umso häufiger wegen psychischer Erkrankungen, je weiter sie vom Arbeitsplatz weg wohnen.

Der typische Pendler ist männlich, älter als 35, hat Frau und Kinder. Doch die sind im Unterschied zu früher nicht mehr bereit, bedingungslos hinterherzuziehen. Auch, weil die Partnerin heute oft selber Karriere macht. „Männer sind lieber auf Achse“, sagt Norbert Schneider, Leiter des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden. Sie verließen nur ungern ihre gewohnte Umgebung. Andere pendeln, weil ihr Büro umgezogen ist oder weil sie Angst haben, keinen anderen Job zu finden. „Manche leiden Jahrzehnte unter dieser Situation, ohne etwas daran zu ändern“, sagt Soziologe Schneider. Wochenendpendler wiederum bildeten sich sogar ein, mit der Reiserei ihre Karriere zu befördern. Ihr Kalkül: Werktags gilt die volle Konzentration dem Beruf, das Wochenende gehört der Familie. „Der typische Wochenendpendler ist hoch qualifiziert und gebildet“, sagt Schneider. Eine Zweitwohnung oder ständige Hotelübernachtungen können sich oft nur Top-Verdiener leisten.

Auf der Überholspur

So wie Peter Körner. Der 49-Jährige hat jahrzehntelang ein Leben auf der Überholspur geführt: Nach seinem Studium in Kiel, Informatik und Wirtschaftswissenschaft, und ersten Jobs bei TUI-Vorgänger Preussag in Hannover und dem genossenschaftlichen Berater Genoconsult bei Frankfurt holt ihn die Telekom als Personalentwickler. Schon in den Neunzigerjahren ist Körner berufsbedingt ständig auf Achse, den Kontakt zu seiner Frau hält er vor allem übers Handy. „Unter 600 Mark im Monat“, erinnert sich Körner, „hatte ich selten auf der Rechnung.“

Die fünf Großstädte mit dem höchsten Anteil an Pendlern

Bis in den Zirkel der 70 wichtigsten Konzernmanager steigt Körner auf, verantwortet die gesamte Personalentwicklung seines Arbeitgebers. Als er 2006 von Darmstadt wieder in die Zentrale nach Bonn beordert wird, bleibt seine Frau mit den beiden Kindern in Hessen. Die Berufsschullehrerin hatte sich gerade erst nach Darmstadt versetzen lassen. Also nimmt sich Körner eine Zweitwohnung am Rhein und pendelt jedes Wochenende mit dem Auto über die A3. Rund 200 Kilometer, sieben Jahre lang. Allein für die Heimfahrt am Freitagabend braucht Körner oft bis zu vier Stunden. „Die Raststätten konnte ich irgendwann nicht mehr sehen“, erinnert er sich. „Wenn mir einer erzählt, dass Pendeln nicht stressig ist, lache ich mich schlapp.“

Zu Hause bei der Familie bleiben ihm oft nur 36 Stunden: In dieser Zeit geht er Sprudel holen, tauscht verschwitzte Hemden und Anzüge in der Reinigung gegen frische und begleitet seinen Sohn zum Fußball. Ab Sonntagmittag verschwindet der Manager in seinem Arbeitszimmer und bereitet die neue Woche vor. Körner steigt so rasant auf, dass er kaum merkt, was alles auf der Strecke bleibt. Seine alten Freunde aus Kiel trifft er höchstens einmal im Jahr. „Je höher ich kam, desto mehr war ich fremdbestimmt“, sagt er heute.

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