Ivo Betke will Unternehmen dabei helfen, dass es zu solchen Verzögerungen nicht kommt. Mit seinem Berliner Start-up Webcrowd vermittelt er seit drei Jahren Internet-Fachkräfte, vor allem an andere Start-ups. Nemad Simic zum Beispiel hat er zu seinem aktuellen Job verholfen. „Meistens müssen die Unternehmen um den Kandidaten buhlen“, sagt Vermittler Betke, „nicht umgekehrt.“
Der 29-Jährige kennt die Szene. Er weiß, wer gerade wen sucht und wie viel IT-Experten verdienen: Junior-Entwickler könnten mit rund 42.000 Euro Einstiegsgehalt rechnen, manche Experten sogar mit dem Dreifachen. „Wer weniger als 65.000 Euro bieten kann, muss sich schon sehr anstrengen gute Leute zu kriegen“, sagt der Gründer, der sich eine erfolgreiche Vermittlung mit 20 Prozent des Jahresgehalts entlohnen lässt. Die Nachfrage gibt das allemal her: Betke schätzt, dass es allein in Berlin aktuell rund 1000 offene IT-Stellen gibt.
Deswegen sucht Betke auch dort ganz gezielt nach Fachkräften, wo das Angebot größer, der Lohn niedriger und die Ausbildung ähnlich gut ist: In Ländern wie Spanien, Portugal, Russland oder Indien. Jeder zweite Kandidat, den Webcrowd vermittelt, kommt inzwischen aus dem Ausland. Dabei hilft Betke sein Netzwerk: Kürzlich etwa habe er ein ganzes Programmiererteam in Armenien aufgetan, weil dort ein Unternehmen Stellen streichen musste.
Sie herzuholen ist aber nicht einfach, wie Betke regelmäßig feststellen muss: Das deutsche Konsulat in Istanbul sei nur per Fax zu erreichen, erzählt der Gründer. Andere Behörden krümmen keinen Finger, wenn im Antrag der Firmenstempel fehlt. Einmal hat Betke gar einen Bundestagsabgeordneten eingeschaltet, weil sich Auswärtiges Amt, eine Botschaft und eine Ausländerbehörde die Zuständigkeiten zugeschoben haben, obwohl es eine feste Jobzusage gab. „Start-ups müssen sich nach wie vor mit sehr viel Bürokratie herumschlagen, wenn sie Fachkräfte aus dem Ausland holen wollen“, sagt Betke.
Die Blaue Karte EU, unter Gründern geläufig als Blue Card, soll die Vermittlung von Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern erleichtern. Erfunden hat sie die Europäische Union im Jahr 2009, seit 2012 wird sie von den deutschen Ausländerbehörden ausgestellt.
Um sie zu erhalten, müssen die Antragsteller einen Hochschulabschluss sowie einen Arbeitsvertrag und ein Bruttogehalt von mindestens 47.600 Euro vorweisen. Ausnahme: Bei IT-Profis, Ingenieuren, Ärzten und Naturwissenschaftlern genügt ein Jahresgehalt von 37.128 Euro – denn in diesen sogenannten „Mangelberufen“ sind Spezialisten besonders knapp.
Anfangs wurde die Blaue Karte kaum nachgefragt, doch sie wird immer populärer: Seit August 2012 sind nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge rund 16.000 Beschäftigte damit eingereist – etwa die Hälfte davon übte einen „Mangelberuf“ aus. Fast jeder Vierte kam aus Indien, es folgen China, die Russische Föderation und die USA, außerdem Konfliktstaaten wie die Ukraine, Syrien und Ägypten. Allein im Start-up-Mekka Berlin wurden im ersten Quartal dieses Jahres rund 206 Blaue Karten verteilt – fast halb so viele wie im gesamten Jahr 2013.