Compliance Die Angst der Manager vor Weihnachten

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Eintrittskarten

Siemens-Aktionäre Quelle: dpa

Dass manchmal auch ein paar Eintrittskarten für einen Riesenwirbel sorgen können, musste vor sechs Jahren schon Utz Claassen erfahren: Der Ex-Chef des Energiekonzerns EnBW hatte mit der Weihnachtspost 2005 Gutscheine für Tickets der bevorstehenden Fußball-WM in Deutschland verschickt – an den damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger und fünf seiner Kabinettskollegen – und war prompt in die Schusslinie geraten. Was Claassen als nette Geste verstanden wissen wollte, interpretierte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe als unerlaubte Vorteilsgewährung und begann mit den Ermittlungen. Auch wenn Claassen im Prozess 2008 freigesprochen wurde – der Fall hatte die Unternehmenswelt aufgeschreckt. Ebenso die Enthüllungen bei Siemens im Jahr zuvor: Beim einstigen Vorzeigekonzern kam 2006 ans Licht, dass Siemens ein System geheimer Kassen für Schmiergeldzahlungen unterhielt, um international an Aufträge zu kommen. Den einstigen Vorzeigekonzern kostete das seinen guten Ruf, fast drei Milliarden Euro Strafe und Nachzahlungen. Und den damaligen CEO Klaus Kleinfeld sowie seinen Vorgänger und damaligen Aufsichtsratschef Heinrich v. Pierer Amt und Würde.

Eine Situation, die Peter Löscher in seiner Amtszeit nicht erleben möchte. Der 2007 installierte Siemens-Chef bürstet den Konzern seit seinem Amtsantritt weltweit auf Tugend, positioniert das Unternehmen als Mutter des organisierten Wohlverhaltens. Geschätzt 100 Millionen Euro im Jahr lassen sich die Münchner die Compliance kosten, rund 600 Menschen sind im Einsatz, um mehr als 400.000 Mitarbeiter an die Kandare zu nehmen.

Auch nach außen vermarkten sie das eigene System nach Kräften. Kein Podium, kein Bericht zum Thema Compliance ohne Siemens – Ziel ist Imagepflege bei den Kunden genau wie Wohlwollen seitens der Behörden und die Gunst von Investoren.

Eindrucksvolles Regelwerk

Das Regelwerk ist eindrucksvoll. Allein das Policy & Control Masterbook von Siemens definiert mehr als 740 konzernweit gültige Vorschriften. Das Business Partner Compliance Due Diligence Tool, ein hauseigenes Computerprogramm, prüft Tausende Geschäftspartner mit ihren Risikofaktoren wie Marktbesonderheiten, Transaktionsvolumina oder Kontakten zu Behörden. Selbst Weihnachten ist bei Siemens standardisiert, zumindest wenn es um den Umgang mit Amtsträgern geht, also um Politiker, Beamte, Richter oder auch Privatpersonen, die Aufgaben in öffentlich-rechtlichen Organisationen wahrnehmen. Wer sie beschenkt oder einlädt, setzt sich schnell dem Risiko der versuchten Bestechung aus. Ob in der Zentrale in München oder im fernen Peking: Siemens-Mitarbeiter müssen jede Zuwendung in der eigens dafür erstellten Gifts- and Hospitality-Scorecard eintragen.

Die Abschreckung bei Siemens scheint zu funktionieren: Kontrollen gelten als hart, Betroffene berichten von „FBI-Methoden“, wenn die internen Ermittler anrücken. „Wir gehen jedem Hinweis auf Verletzung der Regeln sorgfältig nach“, sagt Klaus Moosmayer, in dessen Ressort die Untersuchungen fallen, „in 50 Prozent der Fälle können wir Entwarnung geben.“

448 Compliance-Verstöße

Doch immer wieder knallt es auch: 448 Compliance-Verstöße bilanzierte Siemens im Jahr 2010, 108 führten zum Rauswurf. Diesen Sommer traf es drei Vertriebsmanager in Kuwait, gegen sie wird wegen Bestechung ermittelt. Und im Oktober flog der Landeschef in Brasilien, weil er gegen interne Regeln verstoßen haben soll.

Um Regeln über den Umgang mit Geschäftspartnern unter die Belegschaft zu bringen, muss sich jeder deutsche Vertriebsmanager Quartal für Quartal durch eine Online-Schulung klicken, inklusive Fallbeispiel zur Lernkontrolle. Wer durchfliegt, muss noch mal ran. Es folgt die Erklärung, dass er sich in den vergangenen drei Monaten gesetzestreu verhalten hat, dann darf er wieder raus an die Verkaufsfront.

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