Das Wulff-Syndrom Warum Macht Politiker und Manager verblendet

Die Kreditaffäre um den Bundespräsidenten zeigt: Umgeben von Ja-Sagern und getäuscht vom übermächtigen Selbstbild eigener Wichtigkeit, verlieren Politiker und Manager den Blick für die Realität.

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Illustration Mann läuft in einer Krone Quelle: Illustration: Thomas Fuchs

Seit 1971 kürt die Gesellschaft für deutsche Sprache das Wort des Jahres, der letzte Sieger hieß „Stresstest“. 2012 ist noch jung, doch ein Wort könnte bei der diesjährigen Wahl gute Chancen haben: Salamitaktik.

Mit eben dieser Strategie verärgert Bundespräsident Christian Wulff seit Beginn seiner Kredit- und Medienaffäre viele Bürger. Statt Fehler zuzugeben und alle Fakten offenzulegen, informiert er die Öffentlichkeit nur scheibchenweise. Was hat den höchsten Mann im Staat dazu getrieben?

Trotzdem oder deswegen?

An mangelnder Erfahrung kann es nicht liegen, der 52-Jährige ist seit mehr als 30 Jahren in der Politik. Trotzdem geriet er ins Zentrum einer Affäre, die bislang kein Bundespräsident durchleben musste.

Trotzdem? Oder gerade deswegen?

Bundespräsident Christian Wulff Quelle: dpa

Die Causa Wulff

Die Causa Wulff hat nicht nur eine Diskussion entfacht über die Zukunft des höchsten politischen Amtes. Deutlich wurde vor allem: Wer die Möglichkeit hat, weitreichende Entscheidungen zu treffen, Einfluss zu nehmen auf die Geschicke eines Landes oder eines Unternehmens, sprich: Macht auszuüben über andere, gerät nicht nur immer wieder in Affären und Skandale. Umgeben von Ja-Sagern und duckmäuserischen Einflüsterern, geblendet von den eigenen Einflussmöglichkeiten, läuft er Gefahr, den Blick für die Wirklichkeit zu verlieren. Kurz: Er wird blind vor Macht.

Egal, ob günstige Kredite oder Gratis-Urlaube, egal, ob Spitzenpolitiker oder Top-Manager: Immer wieder erliegen Personen in herausragenden Positionen dem süßen Gift der Macht. Sie verlieren das Gespür für die Realität, stolpern über ihre Gier, Dummheit oder Hybris. Sie verkennen, was juristisch vielleicht noch legal, aber moralisch schon längst nicht mehr legitim ist. Manchen passiert es früher, manchen später.

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Audienz statt Konferenz

„Gib einem Menschen Macht“, sagte der frühere US-Präsident Abraham Lincoln, „und du erkennst seinen wahren Charakter.“ Zum Vorschein kommen, vereinfacht gesagt, zwei Charaktertypen: Die einen können sich nicht mehr selbst hinterfragen, ignorieren im Glauben an die eigene Unverwundbarkeit und Unfehlbarkeit jeden guten Ratschlag. Von ihren Mitarbeitern fordern sie Engagement, bügeln aber jeglichen Widerspruch ab. Jede Konferenz wird zur Audienz.

Die anderen schaffen es nicht mehr, gesunde Distanz zu wahren gegenüber dem üblichen Apparat an Assistenten, Beratern und Fachleuten. Natürlich können Vorstandsvorsitzende oder Ministerpräsidenten weder ihre Termine selbst koordinieren noch jeden Vorgang im Detail kennen. Sie brauchen Leibwächter für ihre Sicherheit, Referenten für Fraktionssitzungen, Sekretärinnen für die Termine. Sie werden im Dienstwagen zu Terminen chauffiert, Assistenten bereiten Reden vor.

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