Meine Herren, in den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Studienanfänger in den Ingenieurwissenschaften um etwa 50 Prozent gestiegen. Bei dieser Entwicklung kann man der Diskussion um den Fachkräftemangel doch gelassen entgegensehen...
Brenke: Gelassen? Mich besorgt sie. Aber nicht mit Blick auf den Fachkräftemangel – den sehe ich bei Ingenieuren ohnehin nicht. Sondern weil wir in einigen Jahren zu viele Ingenieure haben werden und die jungen Leute Probleme bekommen, einen Job zu finden. Die Unternehmen klagen über Ingenieurmangel, die Abiturienten orientieren sich daran und stürmen diese Studienfächer. So einen Schweinezyklus hatten wir schon mal Ende der Achtziger, Anfang der Neunzigerjahre, bei EDV-Kräften.
Plünnecke: Ach was, dieser Schweinezyklus existiert doch gar nicht. Die steigende Studentenzahl wird den Arbeitsmarkt entspannen. Von 2005 bis 2012 waren mehr Ingenieure in Lohn und Brot, weil Ältere länger gearbeitet haben und viele Arbeitnehmer aus dem Ausland zugewandert sind. Diese Sondereffekte wird es nicht mehr geben. Die absehbaren Lücken müssen die Absolventen also ausgleichen.
Zu den Personen
Karl Brenke, 61, ist Konjunktur- und Arbeitsmarktexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin und erregte 2010 Aufsehen, als er den Fachkräftemangel eine Fata Morgana nannte.
Axel Plünnecke, 43, leitet beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln den Bereich Humankapital und Innovationen. Außerdem berät er die Bundesregierung und erstellt für sie Gutachten zur Fachkräftesicherung.
Ob das gelingt? Ingenieurstudenten brechen ihr Studium schließlich überdurchschnittlich oft ab.
Brenke: Es ist immer eine Fehlinvestition, wenn junge Menschen eine Ausbildung nicht abschließen.
Sollten Abiturienten lieber gleich etwas anderes studieren?
Brenke: Ingenieure kommen immer noch besser am Arbeitsmarkt unter als Wirtschafts-, Geistes- oder Sozialwissenschaftler.
Plünnecke: In diesen Fächern werden wir wirklich Probleme bekommen, alle Absolventen adäquat am Arbeitsmarkt unterzukriegen.
Durch die doppelten Abiturjahrgänge wird es in den nächsten Jahren ohnehin mehr Hochschulabsolventen geben.
Plünnecke: Ja, und für den Ingenieurmarkt ist das auch gut. Denn so wird es bis etwa 2020 bei regionalen Fachkräfteengpässen bleiben – ein allgemeiner Mangel wird ausbleiben.
Und nach 2020?
Plünnecke: Durch den demografischen Wandel werden die Probleme eher größer als kleiner.
Brenke: Was ich sogar unterschreiben würde: Dass wir regional durchaus Probleme haben bei den Ingenieuren.
Plünnecke: Aha.
Brenke: Das liegt aber nicht an zu wenigen Ingenieuren auf dem Arbeitsmarkt. Sondern daran, dass vor allem in Ostdeutschland manche Unternehmen keine marktgerechten Löhne zahlen. Die setzen darauf, möglichst billig zu produzieren, um ihre Preise konkurrenzfähig halten zu können. Jetzt stellt sich heraus, dass die jungen Leute eher nach Baden-Württemberg oder Bayern gehen, weil dort besser gezahlt wird. Wir haben also nicht per se zu wenig Ingenieure, sondern zu wenig billige Ingenieure.
Plünnecke: Das ist empirisch leider komplett falsch. Die großen Engpässe haben wir in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen, aber nicht in Ostdeutschland. Es ist kein Lohnproblem, wenn die Unternehmen keine Ingenieure bekommen, sondern es gibt in der Summe aktuell mehr offene Stellen als...
Brenke: Jetzt hören Sie doch mit den offenen Stellen auf. Ein Unternehmen sucht seine Ingenieure nicht per Stellenanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit. Die Nachfrage nach Ingenieuren können Sie nicht anhand offener Stellen nachweisen. Genauso wenig wie Sie das Angebot an Ingenieuren anhand der Arbeitslosen messen können. Das ist doch ein grundsätzliches Unverständnis über die Bewegungen am Arbeitsmarkt.